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​Wie es sich anfühlt, ein Jahr ohne Krankenversicherung zu leben

Von der Angst, krank zu werden und Albträumen über Unfälle und spontane Amputationen.
Titelbild: VICE Media

Vor ein bisschen weniger als einem Jahr habe ich meine langjährige Pokerkarriere an den Nagel gehängt—bis dahin mein Job und Quell eines sorglosen Lebens. Warum das Geldverdienen im Bademantel aber nicht das High Life Nonplusultra ist, habe ich ja bereits hier verarbeitet. Außerdem wurde ich vor etwas mehr als einem Jahr 27, was bedeutet, dass ich mich nicht mehr bei meiner Mutter mitversichern lassen konnte. Plötzlich hatte ich also keinen geregelten Zuverdienst aus dem Internet mehr und rezeptgebührenbefreite Apothekenbesuche gehörten der Vergangenheit an.

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But wait, there's more! Ich musste mich also selbst versichern. Oder hätte es tun sollen, um ab sofort für 54.11 Euro pro Monat das haben, was ich bis jetzt schon gratis hatte. Die zusätzliche Selbstversicherung ist neben dem Wegfallen des Semestertickets ab dem 26. Lebensjahr oder dem Ende der Studienbeihilfe nur ein weiterer Wegfall einer Leistung, die für einen bis dahin selbstverständlich war. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, der vor Hitze schon zu Lava geworden ist, sich unter dem Druck aber zu einem Diamanten formen müsste. Es ist der Staat, der dir sagt, wo du im Leben zu sein hast. Du bist noch Student? Pech gehabt. Zahl deine Versicherung und such dir eine Arbeit, du Sozialschmarotzer!

Wenn man dann gerade noch so die letzten Mieten seiner bereits aufgelösten Wohnung abstottern kann und 5 Tage in der Woche Penne mit Käsesauce isst, denkt man nicht wirklich daran, 50 Euro pro Monat für etwas zu zahlen, dass einem greif- und spürbar erstmal nichts bringt—ich hatte andere Sorgen—außerdem war ich eh bestimmt schon mehr als ein Jahr lang nicht mehr krank.

Dass ich im Sommer 2014 einen geringfügigen Job begonnen habe, hilft mir in dieser Hinsicht natürlich auch nicht weiter. Als geringfügig Angestellter wirst du nicht mitversichert, mit einem geringfügigen Gehalt kommt man in Sachen Selbstversicherung auch nicht unbedingt weiter. Das war mir aber auch irgendwie nicht wirklich wichtig, ich war ja stets gesund und munter.

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Ein Krankheitsbild aus „Welche tödliche Krankheit ist das?"

Mit dem Wissen, nicht versichert zu sein, lebt es sich aber irgendwie trotzdem komisch. Man weiß, dass man nicht einfach so zum Arzt gehen kann. Auf der anderen Seite wusste ich, oder glaubte zu wissen, dass man sich im Ernstfall auch rückwirkend versichern lassen kann, im Falle eines Beinbruchs oder sonstigen Missgeschicken also nicht mit absurd hohen Rechnungen bombardiert wird. So weit, so gut. Und klar, für kurze Zeit waren schon viele nicht versichert—weil einem bei einem Auslaufen der Versicherung, meistens weil man vergessen hat, irgendeinen Ausbildungsbescheid einzusenden, auch niemand Bescheid sagt.

Was man allerdings nicht weiß, ist wie man sich so als Langzeit-Versicherungsloser fühlt: Mit der Zeit lernt man über immer mehr neue Sachen, die man nicht machen kann. Mal eben ein bisschen Blutplasma spenden, um sich was auf der Seite dazuzuverdienen, ups, geht natürlich nicht. Meine Allergie-Behandlung kann ich ebenfalls nicht fortsetzen—immerhin kann ich mir Allergietabletten aus dem Internet bestellen. Mit der Zeit häufen sich einfach Probleme an, die man so schnell nicht alleine lösen kann. Am schlimmsten ist aber, dass man einfach Angst davor bekommt, krank zu werden. Oder man möchte es einfach tunlichst vermeiden, weil man es sich einfach nicht leisten kann. Mein Masterplan bestand also aus genügend Schlaf und einem Vermeiden der U-Bahn im Winter.

In meinem Fall kann man natürlich einfach sagen, dass ich selbst Schuld an der ganzen Geschichte bin. Ich habe die Schule abgebrochen, das Bundesheer vor der 8ten Klasse fertiggemacht und auch mein Studium geht eher schleppend voran.

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Dann hatte ich noch diesen Traum. Ich kann mich meistens sehr gut an meine Träume erinnern, auch ein paar Luzidträume habe ich schon zusammengebracht. Ich träumte also davon, dass mir zwei rechte Zehen und zwei rechte Zähne ausbrechen, als wären sie Teil einer Haselnussschokolade. Im Traum wusste ich auch, dass ich nicht krankenversichert bin, während ich die zwei Zehen am Stück und die Zähne samt Zahnfleisch irgendwie in der Hand gehalten habe um sie vor dem Verfaulen zu bewahren und zum Arzt zu retten. Als ich dann einem unbekannten Gegenüber meine abgetrennten Körperteile präsentierte, begann ich fürchterlich zu weinen und erklärte, dass ich doch keine Versicherung habe. Ich bin zwar generell ein begeisterter Anhänger Freuds und finde Traumdeutung—egal wie abstrus und sexuell überladen—ziemlich interessant, trotzdem bedeuten Träume ab und zu auch einfach genau das, was man denkt.

Man kann es sich nach 27 theoretisch gesehen eigentlich gar nicht leisten, einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen, wenn man versichert sein möchte. Nicht mal, wenn man wieder zuhause lebt. Außer man schränkt sich noch weiter ein, als man das sowieso schon tut. Und davon hat man einfach irgendwie die Schnauze voll. Im Winter wurde ich drei Mal krank, das Hausrezept dagegen ist Tee und Suppe. Eine gute Hühnersuppe bringt vermutlich auch einfach viel mehr als irgendwelche Tabletten, bis die Suppe dann im Magen landet vergehen aber auch ein paar Stunden und oft hat man auch einfach keine Lust, einem nackten Vogel ein paar Stunden beim Kochen zuzusehen, bevor man 2 Teller Suppe erntet.

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In Österreich leben laut diesem Artikel aus dem Standard und diesem Artikel aus dem Kurier—beide aus dem Jahr 2010—zirka 100.000 Menschen ohne Krankenversicherung. Das sind ein bisschen mehr als ein Prozent, das sich aus Studenten, Freiberuflern, Einwanderern oder Leuten an der Armutsgrenze zusammensetzt. Viele davon hätten auch Anspruch auf eine Versicherung, nehmen aus Scham aber keine Sozialhilfe entgegen, weil sie unter anderem Angst haben, in eine Armutsspirale zu geraten.

Laut Pressestelle des Hauptverbandes der Krankenversicherungsträger sind 99.9 Prozent aller Wohnungsträger versichert, was ja nur einem Zehntel der Zahl aus den jeweiligen Artikeln entsprechen würde. Diese Zahl ist laut dem Hauptverband irgendwo „herumgegeistert" und man hat dann einfach gegenseitig voneinander abgeschrieben—außerdem kann man die Anzahl der tatsächlich nicht krankenversicherungstechnisch erfassten Leute ohnehin nicht so einfach feststellen. Die Wahrheit liegt also irgendwo zwischen 0.1 und einer Dunkelziffer über einem Prozent.

Man kann aber bei mehreren Institutionen auch eine Behandlung ohne gültige Krankenversicherung oder E-Card bekommen. In Wien nehmen sich zum Beispiel die Barmherzigen Brüder oder die Amber-Med Leuten ohne Krankenversicherung an, doch die Kapazitäten sind begrenzt und so können gewisse Leistungen auch einfach aus Geld- und Platzgründen nicht garantiert werden.

In meinem Fall kann man natürlich einfach sagen, dass ich selbst Schuld an der ganzen Geschichte bin. Ich habe die Schule abgebrochen, das Bundesheer vor der 8ten Klasse fertiggemacht und auch mein Studium geht eher schleppend voran. Mein sozialer Hintergrund erschwert mir statistisch gesehen die Aufstiegschancen und das böse Biest „System" gibt mir das Gefühl, dass ich es mir gar nicht leisten sollte, zu studieren, geschweige denn geringfügigen Jobs nachzugehen.

Im Prinzip ist alles aber eine Informationsfrage. Man sollte sich einfach ein wenig besser informieren, ein bisschen mehr Entgegenkommen oder Aufklärungsarbeit von Seiten der Krankenkassen (oder auch deinen Studienplätzen) wäre natürlich auch wünschenswert. Denn irgendwie sind wir alle schon mal beim Arzt gewesen, und haben erfahren, dass unsere Versicherung nicht mehr gültig ist. Mit ein bisschen Vorausplanung und Aufklärung kann man sich also vor unangenehmen Nachrichten beim Arzt und noch unangenehmeren Albträumen schützen. Und demnächst bin auch ich wieder krankenversichert.

Adrian ist trotz dieses Depri-Ausflugs ein fröhlicher Geselle, den ihr auch auf Twitter findet: @doktorSanchez