Die Hochzeitsmesse hat mir meine Lebenskrise erst richtig bewusst gemacht

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Die Hochzeitsmesse hat mir meine Lebenskrise erst richtig bewusst gemacht

Eigentlich wollte ich mir nur beweisen, dass ich als Single total glücklich bin. Dann habe ich zwischen Cowboyhut-Trägern und Alkoholikern ein Brautkleid angezogen.

Vor ein paar Wochen fiel zwischen einer Freundin und mir zum ersten Mal das große Unwort. Der Satz, für den man sich eigentlich immer zu besonders und aufregend gehalten hat: „Ich würde gerne heiraten." Während wir früher bei jeder Gelegenheit, mit Longdrink in einer Hand und Kippe in der anderen, unsere Unabhängigkeit von allem und jedem gefeiert haben, sehen wir die Leute und Pärchen, die wir früher langweilig fanden, jetzt mit anderen Augen. Unsere Mienen blasierter Herablassung sind schlecht zu verhehlendem Neid gewichen. Wenn man jahrelang sein Sozialleben auf stetiger Feierei mit ungebundenen Gleichgesinnten aufgebaut hat, wer schaut dann einen kompletten Sonntag Serienstreams mit einem, wenn man zu müde dazu ist, die Wohnung zu verlassen?

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Nach all den Jahren regte sich in mir plötzlich der Wunsch nach dem guten, alten „Ankommen". Irgendwann, irgendwo, mit irgendjemandem. Vielleicht ist das der Punkt, an dem man richtig erwachsen geworden ist: Wenn man zu erschöpft ist, um weiter jung zu sein. Um diesem unbestimmten Gefühl auf den Grund zu gehen und auszuloten, ob der Bund fürs Leben wirklich das ist, was mir in meinem Leben fehlt, habe ich beschlossen, die Hochzeitsmesse in Berlin zu besuchen.

Alle Fotos: Grey Hutton (außer anders angegeben)

Die Veranstaltung findet in einem kleinen Gebäude direkt neben der deutlich prominenter beworbenen Cosmetica statt und wirkt—zumindest auf den ersten Blick—ziemlich mickrig. Es gibt keine Musik im Eingangsbereich, die einen auf den Emotions-Overkill vorbereitet. Stattdessen empfangen einen die teuerste Garderobe aller Zeiten (2 Euro für ein Stück? WIRKLICH?) und ein Bockwurst-Stand. Meine innere Überzeugung, dass man als Braut-in-spe die zartrosanen Cupcakes und Champagnerflöten nur so hinterher geworfen bekommt, beginnt schon jetzt zu bröckeln.

Für einen Samstagmittag ist die Messe vergleichsweise gut besucht und auch das Publikum selbst überrascht. Aus irgendeinem Grund hatte ich flächendeckend mit jungen, attraktiven Vorzeige-Paaren, die beim Gesellschaftsspieleabend „Get Lucky" pumpen, gerechnet. Stattdessen scheinen sich die Besucher unter anderem auch aus typischen Frauentausch- und RTL-Kuppelshow-Kandidaten zusammenzusetzen. Ein Mittfünfziger in exzentrischer Cowboy-Kluft umarmt mehrfach seine Angetraute und zeigt, dass Liebe kein Alter kennt. Ich bin gerührt und frustriert zugleich. Es ist Zeit, sich in bessere Stimmung zu trinken.

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Wenn neben Pastellfarben noch etwas anderes auf der Hochzeitsmesse onmipräsent ist, dann ist es der Stoff, der Menschen schon immer ein bisschen näher zusammengebracht hat: Alkohol. Standmitarbeiter schenken sich hinter ihren Aufstellern diskret Wein in ihre Papp-Kaffeebecher und eine größere Bar im hinteren Teil der Ausstellungshalle bietet augenscheinlich sogar richtige Cocktails an. Mein geschultes Auge macht jedoch schnell eine bessere Möglichkeit aus, die eigene Einsamkeit zu ertränken. Beim Großteil der Stände gibt es Sekt umsonst—man muss sich nur bequatschen lassen.

10 Minuten später sitze ich bei Christ und lasse mir am Bildschirm einen Ehering zusammenstellen. „Ich würde Ihnen Palladium vorschlagen, das ist billiger als Weißgold oder Platin", sagt die Verkäuferin und lächelt mich dabei irritierend an. Entdecke ich Herablassung in ihrem Blick? Glaubt sie, dass ich ARM bin? Ich nehme meine Piccolo-Flasche mit Strohhalm und verabschiede mich. Event-DJ Guido tritt auf dem Brautmoden-Catwalk auf und das will ich auf gar keinen Fall verpassen. Auf dem Weg dahin reihen sich verschiedene Fahrzeuganbieter aneinander, die Luxus-Limousinen, Oldtimer und Pferdekutschen vermieten. Aus tierschutzrechtlichen Gründen sind weder echte Pferde vor Ort, noch kann man mit der Kutsche durch die Ausstellungshalle fahren—aber dazu hätte ich auch gar keine Zeit.

Guido steht bereits auf der Bühne und sieht so gar nicht aus wie auf seinen Pressefotos mit dem keck zur Seite fliegenden Schlips. Die Enttäuschung verfliegt allerdings schnell, denn mit der stimmlichen Brillanz eines Opernsängers und dem Star-Appeal Michael Wendlers wirbelt der Entertainer, der neben seinen Diensten als DJ und Sänger auch Crashkurse im Tanzen anbietet, gottgleich über den umgebauten Catwalk. Schon bei „Angels" von Robbie Williams wird mir ganz warm ums Herz, als er dann aber schließlich Matthias Reims Gassenhauer „Verdammt ich lieb dich" anstimmt, hält es auch die anderen Zuschauer nicht mehr auf ihren Bänken. Unter wohlwollendem Klatschen verabschiedet sich Guido schließlich von seinem Publikum und auch mich zieht es weiter.

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Lothar Stadtfeld ist ebenfalls „singing DJ", statt Massenabfertigung auf der großen Bühne bekommt man bei ihm allerdings eine ganz persönliche Kostprobe seines Könnens. Kopfhörer soll ich aufsetzen, damit ich den direkten, ungefilterten Ton von seinem Mikro bekomme. So ungefiltert, dass es sich anhört, als würde er mir direkt ins Ohr atmen. Nach zwei sehr intensiven („Ohoooh, I love your cuuuurves!") Songs gebe ich die Kopfhörer an den Fotografen weiter, der sie bereits nach wenigen Sekunden wieder absetzt und dabei aussieht, als wäre er gerade akustisch vergewaltigt worden. Unangenehm berührt gehen wir Richtung „Männeraufbewahrung". Laut der Website der Messe können sich „große Jungs, die bald heiraten" hier „mit beliebten Videospielen die Zeit vertreiben". Die Realität sieht allerdings ein bisschen anders aus.

Zwei Männer, die aussehen, als hätten sie mit ihrem Leben bereits abgeschlossen, hängen in grünen Sitzsäcken und starren auf ihre Handys. Direkt neben ihnen: Ein Kickertisch und ein weißer Hummer, unter dessen Scheibenwischer ein Tittenfoto geklemmt ist. Gerade noch denke ich darüber nach, ob dieser Teil der Messe irgendeine Scherzaktion zu gängigen Männerklischees darstellen soll, da sitze ich plötzlich schon beim Stand gegenüber und lasse mir mit einem „Massagestab" in Tierprint-Optik die Schultern kneten. Spätestens als die Verkaufsmitarbeiterin das Gerät Richtung Innenseite meiner Oberschenkel bewegt, übermannen mich dunkle Erinnerungen an die Venus. Ich muss hier weg.

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Nach einem kurzen Stop bei einem Karaokeveranstalter, bei dem es Sekt gibt, wenn man sich eine pinke Plastiktüte in die Hand drücken lässt, bin ich endlich bereit für mein emotionales Highlight des Tages: das Hochzeitskleid. Minutenlang schleiche ich um mehrere Anbieter herum, bis ich endlich einen finde, dessen Ankleiden nicht komplett überfüllt wirken. Zwei Minuten später stehe ich vor einem Spiegel und bin entzückt. Deutlich angetrunken, aber entzückt. Ich habe noch nie etwas mit einem Reifrock getragen und fühle mich wie eine zauberhafte Prinzessin—auch wenn das Kleid ein bisschen zu groß ist.

Bei all der sektgeförderten Begeisterung überkommt mich aber auch unfassbare Trauer. Eigentlich bin ich auf diese Messe gekommen, um mir meinen aktuellen Bindungswunsch austreiben zu lassen. Ich dachte, ich würde aus den Hallen schreiten und mir denken: Du bist jung, begehrenswert und kannst die Abseitsregel mithilfe von Bierdosen erklären. Welcher Mann würde dich nicht wollen? Stattdessen überkommt mich die plötzliche Eingebung, dass es total egal ist, wie viel Volumen meine Haare haben und ob ich ein sehr guter Koop-Partner in Borderlands 2 bin. Alles, was zählt ist, jemanden an deiner Seite zu haben, der dich liebt und dir einen Platinring mit eingraviertem Unendlichkeitszeichen kauft, damit ihr anschließend in einer blumengeschmückten Stretchlimo zu einer Coverversion von „What is Love" in den Sonnenuntergang fahrt. Selbst wenn derjenige einen Cowboyhut trägt.

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Wenn ihr Lisa und/oder Grey heiraten wollt, könnt ihr ihnen bei Twitter schreiben: ​@antialleslisa​@greyman01

Foto: Anastasia Tunik

Foto: Anastasia Tunik