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Für diesen Neurowissenschaftler ist Sucht keine Krankheit und einen Entzug machen Blödsinn

Früher war Marc Lewis drogenabhängig. Heute ist er der Meinung, dass die medizinischen Methoden zur Suchtbehandlung hinterfragt werden müssen.

Saubere Nadeln von einem Spritzenaustauschprogramm | Foto: Todd Huffmann | Flickr | CC BY 2.0

Marc Lewis befand sich einst in der langwierigen und düsteren Hölle der Opiat-Sucht, ging jedoch als Neurowissenschaftler und Autor aus ihr hervor. Seine Bestseller-Memoiren Memoirs of an Addicted Brain zeichnen dabei seinen Weg in die Drogensucht nach und klären dabei auch von einem neurowissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet darüber auf, wie das Gehirn auf bestimmte Stoffe reagiert.

In seinem aktuellen literarischen Unterfangen The Biology of Desire: Why Addiction Is Not a Disease schreibt Lewis, dass es nicht nur trügerisch, sondern sogar gefährlich ist, Sucht als Krankheit zu bezeichnen. Wir haben uns mit dem emeritierten Professor der University of Toronto und derzeitigen Fakultätsmitglied der Radboud-Universität Nijmegen über genau dieses Thema unterhalten.

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VICE: Sie kritisieren die Entzugsindustrie, weil sie laut Ihnen Drogensüchtige fadenscheinig eine medizinische Behandlung vorspielt, eigentlich aber kaum mehr als 12-Stufen-Programme und aufmunternde Worte bietet. Sie haben das Ganze auch schon als Augenwischerei bezeichnet. Können Sie das ein wenig mehr erläutern?
Marc Lewis: Ich halte das Ganze jetzt nicht direkt für eine böse Verschwörung, aber es kommt immer ganz darauf an, wo man sich befindet. In den USA gibt es zum Beispiel viele Verstöße und Ungehörigkeiten. Die Behandlung ist dort unzulänglich. Die Dosen der Opiat-Ersatzmittel sind falsch; der Zeitraum für den Ausstieg ist oft ebenfalls nicht richtig. Es mangelt an individueller Betreuung. Es gibt generische Vorgehensweisen, die oftmals nicht den Menschen nützen. Im Allgemeinen ist die medizinische Betreuung dort nur ein kleiner Teil des Programms; 80 bis 90 Prozent davon bestehen eigentlich nur aus der 12-Stufen-Methodik.

Dazu kommt dann noch eine ganze Reihe an Gruppentherapien, bei denen die Teilnehmer über alle möglichen Sachen belehrt werden—vom Erfinden von Ausreden bis hin zu allem anderen möglichen Gewäsch. Für einige Leute kann das alles auch funktionieren, weil sie aus ihrem Umfeld mit den Drogen herausgerissen werden und sich so davon lossagen. Langfristig gesehen bringt es jedoch nichts, weil sie irgendwann wieder in ihr Umfeld zurückkehren und alle Trigger wieder da sind. Dann fehlen ihnen die psychologischen Fähigkeiten, die Drogensüchtige brauchen, um dieses Kapitel ihres Lebens hinter sich zu lassen. Dafür müssen sie sich selbst kontrollieren können und bei vollem Bewusstsein sein, um ihr Leben ins rechte Licht zu rücken.

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Ich habe noch nie einen Entzug gemacht und weiß dementsprechend auch nur wenig darüber, wie die Patienten dabei behandelt werden. Wird dort behauptet, dass die Methoden auf medizinischen Vorgehensweisen beruhen? Und warum verlangen manche Suchtkliniken solch exorbitante Summen für die Behandlung?
Genau das ist der springende Punkt. Wenn man sich mal das obere Ende der Skala anschaut, dann findet man auch schon Therapiepreise von 50.000 bis 100.000 Dollar pro Monat. Im Grunde zahlt man da für eine Fünf-Sterne-Luxusbehandlung. Ich kenne Leute, die das gemacht haben—ihnen wurden Gourmet-Mahlzeiten serviert, sie hatten ein Zimmer mit Meerblick und sie bekamen täglich Fußmassagen. Die Grundlagen der Suchttherapie kosten jedoch nicht so viel. Man zahlt in dem Fall vor allem für die Zeit, die Ärzte und die anderen Mitarbeiter.

Bei vielen Entzugsleitern handelt es sich jedoch um nicht ausreichend ausgebildete Ex-Junkies, die sich nur schnell einem Crashkurs unterzogen haben. Sie unterstehen keiner kontrollierenden Behörde und es herrscht großes Chaos. Wenn man nicht so viel Geld zahlen will, bleiben einem noch die vom Staat betriebenen Entzugskliniken, bei denen es jedoch oft Wartelisten und andere Hürden gibt, die man erst überwinden muss. Die Wartezeit kann zu einem großen Problem werden, denn es ist häufig so, dass die Patienten nur für kurze Zeit gewillt sind, clean zu werden. Da dieses Zeitfenster so klein ausfällt, ist das Timing sehr wichtig.

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Lassen Entzugskliniken ihre Patienten absichtlich versagen, damit diese wiederkommen und mehr Geld in die Kasse spülen?
Über dieses Thema muss man derzeit reden. Ich weiß aber nicht, ob man das so mit Sicherheit sagen kann. Ich gehe nicht davon aus, dass das die Norm ist, aber ich könnte mir auch schon vorstellen, dass einige Kliniken so denken. Das ist aber alles nur Spekulation.

Einige der Einrichtungen in den USA werden von einer Vereinigung betrieben, der mehrere Kliniken an verschiedenen Orten unterstellt sind. Patienten können so auf hinterhältige Art und Weise von einer Einrichtung in die nächste verlegt werden. Man fängt in einem Haus mit acht Mitbewohnern an und wird dann ein paar Wochen später in eine Art Wohnheim geschickt. Man fühlt sich übergangen und frustriert, aber man kann auch nur wenig dagegen tun, denn man ist Teil des Systems und hat bereits eine Menge Geld bezahlt. Man fühlt sich wie gefangen und niemand ist da, um den Verantwortlichen auf die Finger zu schauen. Im Grunde kann da jeder machen, was er will.

Ich kritisiere hier die Art und Weise, wie das medizinische Modell dazu verwendet wird, um einerseits Sucht zu konzeptualisieren und andererseits die Philosophie der Entzugsindustrie zu untermauern, zu unterstützen und zu stärken. Eigentlich sollte man aufgrund der häufigen Misserfolge das medizinische Modell und die aktuelle Suchtdefinition ernsthaft in Frage stellen, aber das wird nicht getan und genau da liegt auch die Krux. Es handelt sich hier um ein eigendynamisches System, das einem groß vor Augen hält, dass man an einer chronischen und tödlichen Krankheit leidet und man sich deswegen besser in Behandlung gibt.

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Die Vorstellung von einer Krankheit hat viel Gewicht—vor allem deswegen, weil sie von vielen hochrangigen Behörden wie etwa NIDA (National Institute on Drug Abuse) gefördert wird. Einigen Berichten zufolge finanziert NIDA ungefähr 90 Prozent der weltweiten Suchtforschung. Man gibt also Leuten Geld, die die biologischen und zellularen Mechanismen der Sucht erforschen. Die Leute, die das Krankheitsmodell anzweifeln, gehen jedoch leer aus. So hält sich dieses System am Leben.

In anderen Worten: Die Medizin kann Drogensüchtigen nicht wirklich weiterhelfen? Heißt das, dass die Behandlung in Wahrheit eine reine Willenssache ist?
Der Wille spielt bei der ganzen Sache eine große Rolle. Viele Suchtexperten gehen davon aus, dass die eigene Stärkung, Selbstmotivation, auf einen selbst bezogene Aktivitäten und selbst gesteckte Ziele für die Fortschritte auf dem Weg zur Überwindung der Sucht extrem wichtig sind. Das medizinische Modell besagt jedoch, dass man ein Patient ist und deshalb das tun muss, was einem der Arzt vorschreibt.

Dan Morhaim, ein Arzt und Abgeordneter aus Maryland, sagte einst, dass Sucht ein „medizinisches Problem mit katastrophalen gesellschaftlichen Folgen" sei. Das ist typisch. Wenn man diese Worte umdreht, ist das Ganze gleich viel akkurater: Sucht ist ein gesellschaftliches Problem mit katastrophalen medizinischen Folgen.

Verhaftungen und Verbote sind für einen Großteil der Schäden verantwortlich, die mit Sucht einhergehen. Die Verbote schaffen einen sehr schmalen Korridor, durch den sich Drogensüchtige zwängen müssen und durch den sie ins Verbrechen abrutschen. Dieser Umstand gibt kriminellen Organisationen Aufschwung und die Kartelle profitieren vom Krieg gegen Drogen. Morhaim hat allerdings auch vorgeschlagen, dass es den Ärzten Marylands erlaubt sein sollte, den dortigen Heroinsüchtigen Heroin kostenlos zu verschreiben. Heutzutage ist das ein vernünftiger Vorschlag, der auch schon in der Schweiz, in Deutschland und in Dänemark ausprobiert wurde—und tatsächlich zu einem Rückgang des Verbrechens geführt hat.

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In Ihrem neuen Buch The Biology of Desire: Why Addiction Is Not a Disease schreiben Sie—wie der Titel schon sagt—, dass Sucht keine Krankheit ist und dass eine solche Bezeichnung für die richtige Behandlung hinderlich werden kann.
Wenn man Drogensüchtige als Patienten definiert, dann lässt sie das passiv, fatalistisch und pessimistisch werden. Wenn man erzählt bekommt, dass man an einer chronischen Hirnkrankheit leidet, die für diese ganze unschöne Scheiße verantwortlich ist, dann geht man auch nicht davon aus, diese Krankheit loszuwerden. Tatsächlich werden die meisten Süchtigen jedoch wieder gesund und dazu gibt es auch eindeutige Statistiken—egal, ob es sich nun um „weiche" oder um harte Drogen wie etwa Heroin handelt. Kann man also wirklich sagen, dass es sich hier um eine chronische Krankheit handelt?

Außerdem neigt man durch diese Einstufung dazu, andere Methoden zur Suchtbehandlung zu vergessen, die auf viel individueller zugeschnittenen psychologischen Vorgehensweisen basieren. Es gibt verschiedene Arten der Psychotherapie, der Beratung, der Support-Netzwerke und der Achtsamkeitsmeditation, die sich als sehr effektiv erwiesen haben. Wenn man zusammen mit dem behandelnden Arzt davon ausgeht, dass es sich um eine chronische Krankheit handelt, dann wird wohl kaum eine Achtsamkeitsmeditation als Behandlungsmethode in Betracht gezogen—auch dann nicht, wenn sie Berichten zufolge etwas nützt.

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Obwohl ein Opiat- oder Alkoholentzug den Süchtigen körperlich stark zusetzen kann, argumentieren Sie damit, dass Sucht eine rein verhaltensbezogene und keine physiologische Störung wie etwa Krebs ist?
Hier haben wir eine weitere Diskrepanz. Auf der einen Seite gibt es die substanzgebundene Abhängigkeit und auf der anderen die verhaltensbezogene—Beispiele hierfür wären Spiel-, Sex- und Porno-Sucht oder diverse Essstörungen. Wenn man jedoch Gehirnscans durchführt, dann erhält man bei allen Arten der Abhängigkeit das gleiche neurale Aktivierungsmuster. Allein das sollte schon reichen, um das Krankheitsmodell nichtig zu machen. Wenn es sich bei einer Sucht wirklich um eine Krankheit handelt, dann leiden die Leute, die täglich 12 Stunden Videospiele spielen, genauso stark wie die Leute, die heroinabhängig sind.

Was alle diese Muster gemeinsam haben, ist der tiefgreifende Lernprozess, der ihnen anhängt—eine Reihe an Annahmen darüber, was man braucht, um durch den Tag zu kommen. Dieser Lernprozess wird durch die Wiederholung immer weiter vertieft und so entsteht letztendlich die Sucht. Das Ganze hat jedoch nichts mit einer Krankheit gemeinsam. Man kann jegliche Sucht überwinden und das bedeutet, dass es hier nur um neurale Formbarkeit geht. Man kehrt nicht dahin zurück, wo man vorher war, denn bei Entwicklung gibt es keinen Rückwärtsgang. Stattdessen lernt man, seine Impulse zu steuern, und eignet sich neue kognitive Verhaltensweisen an. Jeglicher Lernprozess beinhaltet Veränderungen in den Synapsen—bestimmte Synapsen werden entweder erschaffen oder verstärkt und bestimmte Synapsen, die nicht gebraucht werden, verkümmern oder verschwinden ganz.

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Man liegt wohl richtig, wenn man davon ausgeht, dass Ihre Theorien in der Suchtbehandlungsindustrie nicht gerade beliebt sind. Sind Sie schon öffentlich kritisiert worden?
Ja, sogar ziemlich heftig. In der Washington Post wurde ich zum Beispiel als „Fanatiker" bezeichnet. Die meisten Leute aus der Medizin versuchen, Leute wie mich, die bei einer Sucht ein Lern- oder Entwicklungsmodell bevorzugen, zu ignorieren. Ich bin mit meiner Denkweise jedoch nicht alleine, wir werden immer mehr. Bei mir ist allerdings der Unterschied, dass ich mich mit dem Gehirn auskenne und deswegen deren Sprache spreche. Ich habe bereits mit Nora Volkow, der Vorsitzende von NIDA und einer sehr einflussreichen Person, geredet. Sie will jedoch nichts von mir hören. Im Grunde sagt sie, dass süchtigen Menschen eingeredet werden muss, dass sie an einer chronischen Hirnkrankheit leiden, weil so die Stigmatisierung reduziert wird. Dann kommen jedoch Leute wie ich an und sagen: „Nein, das sieht mir nicht nach einer Hirnkrankheit aus. OK, Gehirne verändern sich, aber das sollen sie ja auch, wenn sie etwas lernen." Und an diesem Punkt wird immer sofort abgeschaltet.

Wenn Sucht keine Krankheit ist, macht das das „Alkoholgen" zu einem Trugschluss?
Es gibt natürlich kleine Dinge, die eine genetische Verbindung zum Alkoholismus aufweisen, aber es existiert kein Gen oder Gen-Cluster, das eine Sucht verursacht. Stattdessen haben wir Persönlichkeitszüge, die genetisch veranlagt sind—zum Beispiel Impulsivität. Es gibt also generationsübergreifende Verbindungen, die wirklich real sind und mit den Genen zusammenhängen, aber ein bestimmtes Abhängigkeits-Gen ist nicht existent.

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Wie steht es um die Beziehung zwischen Sucht und Entwicklungsalter? Ist es an einem bestimmten Zeitpunkt im Leben einfacher, eine Sucht zu besiegen?
Ja, absolut. Jede Sucht hat eine durchschnittliche Dauer. Zu diesem Thema hat vor allem Gene Heyman viel Forschung betrieben. Das Medianalter für das Aufhören mit Kokain liegt bei vier Jahren nach dem Start des Konsums. Das Medianalter für Alkohol liegt bei 12 bis 15 Jahren nach dem Start. Natürlich handelt es sich nur um das Medianalter, es gibt also immer Abweichungen. Dazu kommt, dass sich das Gehirn in den Teenagerjahren und auch noch bis kurz vor dem 30. Lebensalter ständig weiterentwickelt. Zwischen 20 und 30 erlangt man immer mehr Kontrolle—also mehr neurale Hardware, um die Denk- und Verhaltensweise ordentlich zu regulieren. Man muss außerdem noch bedenken, dass sich mit steigendem Alter die Umstände ändern. Wenn man kurz vor dem 30. Lebensjahr steht, wird einem klar, dass man bestimmte Dinge geregelt kriegen muss. All das sind gute Gründe dafür, warum das Alter bei der Sucht eine gewisse Rolle spielt.

Sie haben schon zu Protokoll gegeben, dass es das Stigma bekämpft, wenn man eine Sucht als chronische Hirnkrankheit bezeichnet. Gibt es im Anbetracht der Tatsache, dass wir in einem Zeitalter der Political Correctness leben, einen Zusammenhang zwischen der Reduzierung des Stigmas und dem Festhalten an der Hirnkrankheitstheorie?
Ja, meiner Meinung nach schon. Wenn man an einer Krankheit leidet und einen damit keine Schuld trifft, ist man nicht faul, dekadent, selbstsüchtig, willensschwach oder was auch immer. Man ist krank und braucht sich deswegen nicht zu schämen oder muss deshalb keine Schuldgefühle hegen. Das ist eine bequeme Möglichkeit, Süchtigen zu verzeihen. Und Süchtige können sich so auch ganz leicht selbst verzeihen. Das ist eine Form der politischen Korrektheit. Ich wurde auch schon gebeten, in meinen Artikeln oder bei meinen Vorträgen das Wort „Süchtiger" nicht weiter zu verwenden, weil es eine Beleidigung darstellt.

Es ist nicht OK, jemanden aufgrund eines Leidens auf irgendeine bestimmte Art und Weise zu bezeichnen. Ich verstehe diesen Gedankengang, aber ich habe mich selbst jahrelang als Süchtigen bezeichnet. Ich war auch mal Student und heute nicht mehr. Das gehört einfach zu dieser ganzen „Political Correctness"-Bewegung dazu. „Es ist nicht deren Schuld, sie sind ja auch nur Menschen." Nun, sie sind in der Tat Menschen, und nein, ich will sie auch nicht leiden oder ins Gefängnis wandern sehen. Das Prinzip, dass das die einzigen beiden Alternativen sind, ist einfach nur lächerlich. Das ist quasi die Definition von Schwarz-Weiß-Denken. Wir können doch humanistisch handeln, ohne dem Ganzen gleich einen gewissen Stempel aufzudrücken.

„Wenn es sich bei einer Sucht wirklich um eine Krankheit handelt, dann leiden die Leute, die täglich 12 Stunden Videospiele spielen, genauso stark wie die Leute, die heroinabhängig sind."

Wenn es sich nicht um eine Krankheit handelt, was genau ist dann eine Sucht?
Ganz einfach ausgedrückt ist eine Sucht ein Lernprozess. Man lernt eine Denkweise. Das Ganze brennt sich richtig ein. Genauso verhält es sich auch bei Liebesbeziehungen. Selbst wenn sich der Partner oder die Partnerin gewalttätig verhält, ist man vielleicht immer noch zwölf weitere Jahre oder sogar den Rest des Lebens in sie verliebt. Dem liegt ein Lernprozess zugrunde. Das trifft auch auf Sportfans oder Dschihadisten zu. Religion ist eine weitere Konkretisierung dieses tiefgreifenden Lernens—zumindest meiner Meinung nach. Die Tatsache, dass sich das Ganze um Glücksspiel, Essen, Heroin oder Crystal Meth drehen könnte, zeigt doch, dass es bei bestimmten Süchten um Substanzen geht, die eine körperliche Abhängigkeit erschaffen. Körperliche Abhängigkeit setzt der ganzen Suchttragödie noch die Krone auf.

Psychologische und zwischenmenschliche Werkzeuge sind sehr wichtig. Sucht hat nämlich auch viel mit Isolation und Einsamkeit zu tun—dem Fehlen von Hilfe und tiefgreifenden Beziehungen zu anderen Menschen. Wenn man sich nur oberflächlich mit anderen Süchtigen zusammentut, aber keine harmonischen und erfüllenden Beziehungen aufbaut, ist man besonders suchtanfällig. Das sind Menschen, die allein, depressiv, ängstlich und traumatisiert sind. Das alles trifft aber nicht nur auf Menschen zu, sondern auch auf andere Tiere. Isolation ist niemals gut und stellt auch die Grundlage für eine Sucht dar.