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Wenn man die OSZE nicht angreifen kann, dann halt die Polizei

Nach stundenlangen Scharmützeln brachte der Demonstranten-Sprechchor: „Heigoh, heigo! Grad jetz! Heigoh, eis ad Ohre und denn ohni Znacht is Bett!" die Polizisten dazu abzuziehen.
Foto von Jan Müller

Während der letzten Woche befand sich Basel im Ausnahmezustand: Wegen der OSZE-Ministerratskonferenz waren Teile der Innenstadt für drei Tage komplett abgeriegelt. 3600 Armeeangehörige und 1000 Polizisten sorgten für die Sicherheit der 57 Aussenminister und 1200 Delegierten der OSZE-Ministerratskonferenz.

Foto von Simon Krieger

Dauernd kreisten Helikopter über die Innenstadt; der Rotorenlärm wurde normal. Es waren Scharfschützen auf den Dächern postiert, Schiffe des Grenzwachtkorps patrouillierten auf dem Rhein und sogar Gullis wurden polizeilich versiegelt.

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Der öffentliche Verkehr war teilweise unterbrochen und Trams durften die Sperrzone nur noch leer passieren. Anwohner in der „Pufferzone" rund um das abgeriegelte Gebiet mussten immer ihre Identifikationskarte bei sich tragen. Wer sich nicht ausweisen konnte, durfte die Beamten zur polizeilichen Abklärung seiner Identität auf den Posten begleiten.

Foto von Jan Müller

Diese massiven Eingriffe in das tägliche Leben sorgten natürlich für Unmut, der kompensierte, dass die OSZE kein so gutes Feindbild wie etwa die WEF oder die WTO abgibt. Zwar sind Staaten wie Russland, Weissrussland oder die USA Mitglieder der OSZE und die Politik dieser Staaten mobilisiert Kritiker gleichermassen wie die Beteiligung der OSZE an der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.

Aber die OSZE setzt sich eben auch für Friedenssicherung und Menschenrechte ein. Darum gab es inhaltlichen Protest wie jenen der Ukraine-Schweizer gegen Putins Politik, aber eben auch Widerstand gegen die Folgen der Konferenz für Basel: Die Stadt wollte sich während der OSZE-Konferenz als attraktive Kongress- und Veranstaltungsstadt präsentieren.

Foto von Simon Krieger

An der Pressekonferenz wurde gar angedeutet, dass der eine oder andere Delegierte einen Glühwein am Weihnachtsmarkt geniessen soll. Vielen in Basel macht es Angst, dass das Wohlbefinden von internationalen Delegierten über jenes der Bevölkerung gestellt wird. Es erfüllt sie mit Unmut, dass Basel künftig alle sechs bis acht Jahre Gastgeber einer Konferenz dieser Grösse sein will.

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Höhepunkt der zahlreichen Gegenveranstaltungen war die vom „Bündnis gegen die OSZE" unter dem Motto „OSZE angreifen" organisierte Demo am Freitag. Zur allseitigen Überraschung wurde sie bewilligt. Ermöglicht hat das Urs Müller, Grossrat von Basta (Basels Starke Alternative), der dem Bündnis nicht angehört, aber das Demonstrationsrecht gewahrt sehen wollte.

Foto von Jan Müller

Die Route war denkbar heikel: Neben diversen Baustellen, Filialen von Credit Suisse und UBS sowie den exklusiven Geschäften in der Freien Strasse, kam die Demonstration auch an der „Safran-Zunft" vorbei. In diesem Restaurant hatte am Tag zuvor das Gala-Dinner der OSZE-Konferenz stattgefunden, weshalb die ganze Strasse für einen halben Tag abgeriegelt worden war.

Zur Demo kamen um die 1000 Demonstranten, die neben den üblichen Antikapitalismus-Transparenten auch originelle Positionen hatten, so gab es ein kleines Grüppchen um ein Schild mit der Aufschrift „Vielen Dank und auf Wiedersehen in Basel Sergej Lawrow".

Diese „Danksagung" an den russischen Aussenminister war aber die einzige ihrer Art; andere an eine Person gerichtete Botschaften waren eher im Stil von „Keinen Platz für Rassisten wie Avigdor Lieberman".

Foto von Jan Müller

Genauso bunt durchmischt wie die Demonstranten waren die Berichterstatter: Ruptly, die deutsche Medienagentur des russischen Staates, streamte die Proteste „live" auf Youtube und Verschwörungstheoretiker und Montagsdemo-Redner Detlev Hegeler trug ein Cap mit der riesigen Aufschrift „Presse". Vom Rand schaute auch SVP-Grossrat Joel Thüring dem Demo-Treiben zu. Er legt Wert darauf, dass er absolut privat vor Ort gewesen sei.

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Foto von Simon Krieger

Obwohl von Anfang an Pyros brannten, blieben die Demonstranten lange friedlich. Die „Safran-Zunft" hätte aber besser wie UBS und Credit Suisse ihre Fassade verbarrikadiert, denn viele Restaurantgäste waren schockiert, als Vermummte Parolen wie „Fuck OSZE" quer über die Eingangstür und an sämtliche Fenster sprayten.

Die offizielle Demo endete am Claraplatz, gut 200 Meter von der Sperrzone rund um den Basler Messeplatz entfernt. Am Claraplatz wartete schon eine unpassierbare Linie aus Demo-Cops. Via Megafon erklärte ein Sprecher die Demo für beendet. Danach dauerte es noch etwa 30 Sekunden bis erste Böller und Flaschen auf die Polizisten regneten. Diese antworteten mit Tränengas und Gummischrot.

Foto von Jan Müller

Die Demonstranten zogen sich rasch zurück und versuchten, ihren Zug durch die Abzweigung nach rechts Richtung Kaserne fortzusetzen, aber auch von da kam Gummischrot. (Wofür man sich wiederum mit Flaschen und Steinen bedankte.)

Nach links ging es aber weiter und so begann eine etwa einstündige Jagd durch die engen Gassen der Basler Altstadt. Demonstranten sammelten Wurfmaterial an Baustellen, Polizisten errichteten Sperren und schossen mit Gummischrot zurück.

Die diversen Grüppchen überforderten die Polizei sichtlich, bis die Hauptgruppe der Demonstranten vor dem „Hirschi" eingekesselt werden konnte. Das „Hirschi" machte den Umsatz des Monats, während sich Demonstranten und Ausgänger vermischten.

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Foto von Jan Müller

Erst trennte ein Aktivist das Polizeiabsperrband durch, dann sang plötzlich ein grosser Chor aus Demonstranten und Ausgängern ein abgeändertes Schweizer Kinderlied: „Heigoh, heigo! Grad jetz! Heigoh, eis ad Ohre und denn ohni Znacht is Bett." Und die Polizisten waren folgsam, bestiegen die Mannschaftswagen und fuhren davon.

Hier gehts zum Trailer zu unserer Doku über die Sicherheitsvorkehrungen und Proteste rund um die OSZE-Ministerratskonferenz in Basel.

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