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Sex

Ein Plädoyer für Bisexualität

Bisexuelle haben immer noch mit Akzeptanz zu kämpfen—auch innerhalb der Gay-Community. Dabei ist es eigentlich sehr bereichernd, auf Schwänze und auf Muschis zu stehen.

Foto von Wanda Wisdom

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem sexy Boylesque-Tänzer—also einem Typen, der halbnackt auf der Bühne tänzelt, aber kein Stripper ist. Irgendwie kamen wir auf Bisexualität zu sprechen, was eigentlich kein Wunder ist, weil sich der Großteil des Gesprächs um Sex drehte. „Na, geh bitte!“, winkt sexy Boylesque-Guy ab. „Also Bisexuelle, nein, mit denen kann ich nix anfangen.

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Die können sich nur nicht eingestehen, dass sie schwul sind und am liebsten die ganze Zeit einen Schwanz lutschen wollen. Die befinden sich bloß bei der ersten Haltestelle auf dem Weg zu Gaytown.“ Der Boylesque-Boy, der eigentlich kein Boy ist, sondern ein maskuliner Manns-Mann, ist übrigens schwul (obwohl nicht alle Boylesque-Tänzer schwul sind, aber er ist es eben. Und die meisten anderen eigentlich auch).

Ja, Bisexuelle haben es in der Gay-Community echt nicht einfach. Und das, obwohl seit einigen— wenigen—Jahren Bisexualität endlich als eigene Sexualitätsform „in der Gesellschaft“ (wie das immer klingt!) anerkannt wird. Aber anerkannt ist eben nicht gleich akzeptiert. Für viele Schwule stellen Bisexuelle sowas wie eine Bedrohung dar—eine Bedrohung, die zwar fasziniert, aber eben auch nicht einzuordnen ist.

Foto von Purple Sherbet Photography

Wäre der Typ hetero: Klar, den vernasch ich dann gerne mal! Aber bi? Was will der Typ denn jetzt—Muschis lecken oder Schwänze lutschen? Er ist irgendwo dazwischen, und das auch nur, weil er sich ja nicht entscheiden kann oder es sich eben nicht eingestehen will, homosexuell zu sein. Das heißt, er geht den „leichteren“ Weg. Ein paar politisch sehr Verkabelte unter uns sehen Bi-Männer gar als Verräter der Community an.

Bi zu sein ist also echt nicht einfach—und „ein bisschen bi schadet nie“ ist eher eine augenzwinkernde Rechtfertigung für Party-Ausrutscher als eine ernstgemeinte und akzeptierte Richtlinie in irgendeiner Community. Natürlich schadet es eigentlich wirklich nicht, außer eben, was die Akzeptanz betrifft. Die Gay-Community ist, vielleicht groteskerweise, alles andere als vorurteilsfrei.

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Obwohl man jetzt argumentieren könnte: Gays sind ja auch nur Menschen (no na), und Menschen sind nun mal tendenziell eher intolerant. Aber sollten es Schwule nicht besser wissen, weil … eh schon wissen? Fakt ist zumindest, dass es unter Schwulen genauso Leute gibt, die jede Form von Anderssein nicht akzeptieren können. Schwule sind auch keine homogene Gruppe an Gleichgesinnten, sondern können auch FPÖ-Wähler sein. Man muss nicht alles verstehen.

Foto von Wanda Wisdom

Auf jeden Fall: Auch Schwule wollen Menschen einordnen können, so wie sie selbst eingeordnet werden, weil ihnen das Sicherheit gibt. Zugehörigkeitsgefühl eben. Ich gehöre dieser Gruppe an, ich habe einen Platz in dieser Welt. Bisexuelle entziehen sich dieser Weltsicht, weil sie irgendwo mittendrin stehen, „sexuelle Grenzgänger“ sind, wie manche Medien Bisexuelle reißerisch so gerne nennen. Hinzukommt, dass etliche Bisexuelle—mehr als Teile der meisten anderen Gesellschaftsgruppen—die traditionelle Zweierbeziehung hinterfragen. Eine große Anzahl von Schwulen wünschen sich, trotz aller Klischees, eine traditionelle Familie mit Mann, Kind, Haus, Hund, Garten. Man sieht es an den Kämpfen rund um die Homo-Ehe.

Aber auch aus heterosexueller Sicht wird das Bi-Sein nicht unbedingt begünstigt. Während erotische Zweisamkeit zwischen Frauen gesellschaftlich nicht nur toleriert, sondern weitgehend auch schon mal gern gesehen und geil gefunden wird, ist es schwieriger, auf einer Party zu erzählen, dass man (als Mann) auch schon mal einen Männerarsch gefickt hat. Dieses Phänomen, sofern es überhaupt eines ist, ist nicht schwer zu erklären: die weibliche Sexualität wird immer noch als passiv und biegsam angesehen, während die männliche Sexualität hart und statisch zu sein hat. Weil die Welt immer noch eine patriarchalische ist und sie quasi von der männlichen Sexualität bestimmt wird. Also muss diese eine fixe Konstante sein.

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Foto von Andy Bullock

Ein (heterosexueller) Mann sieht es gerne, wenn zwei Frauen miteinander rummachen. Da wird auch nicht so lange hinterfragt, ob die beiden nun lesbisch oder sonst was sind. Ist ja sexy. Ein Mann, der schon mal einen Blowjob ausprobiert hat, muss sich aber sofort rechtfertigen – ist er nun lebenslang schwul, weil er vor Jahren mal einen Schwanz gelutscht hat? Oder sich auch heute noch zwischendurch mit dem Kumpel gerne einen abwedelt, wenn er besoffen ist? Oder beim Bundesheer auch mal mit dem Kollegen aus Notgeilheit was hat? Oder … okay, jetzt gehen meine Fantasien mit mir durch.

Derweil ist es einzig und allein eine Erfindung der Neuzeit, Bisexualität derart stark zu hinterfragen. Die alten Griechen und Römer sahen es bekannterweise als universelle Norm an, sich von beiden Geschlechtern angezogen zu fühlen. Sogar für viele islamische Geistliche des Mittelalters war es vollkommen normal, mal in einer Frau zu stecken, und ein andermal einen Mann in sich selbst stecken zu haben.

Heute aber müssen wir alles kategorisieren. Wir legen uns Gedankenschubladen zu, um uns in einer überladenen Welt orientieren, gegenseitig einordnen zu können und uns sicher zu fühlen. Das ist eine altbekannte Geschichte und muss eigentlich nicht mehr allzu lang und breit wiederholt werden, denn jeder, der ein bisschen was im Oberstübchen hat, weiß: es sind gerade diese vollkommen willkürlichen Kategorien, die uns das Leben schwer machen.

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Foto von Sari Dennise

Wieso müssen wir uns genau festlegen, wie wir unsere Sexualität benennen? Wieso muss man sich fragen, ab wann man nun genau bi ist: Wenn man sich so fühlt? Wenn man sich so verhält? Wenn man verheiratet ist, sich aber regelmäßig auch mit Männern trifft? Weil man vor Jahren etwas mit einem süßen Typen auf der Studentenparty hatte?

Ist doch eigentlich sowas von egal! Aber echt. Nur weil ich vorwiegend Sex mit Männern habe, heißt das nicht, dass es mich nicht erregt, wenn eine Frau vor Lust richtig abgeht. Wenn ich Titten mal geil finde, bin ich nicht sofort hetero. Who cares, wenn ich heute glücklich mit einem Mann zusammenlebe, in ein paar Jahren aber vielleicht mit einer Frau eine Familie gründe (oder umgekehrt)? Man sollte doch einfach das tun, was einem das Herz—und wohl auch die Körpermitte—sagt, solange es keinem schadet (und solange eure Körpermitte noch mit euch redet).

Wissenschaftler und Philosophen nennen Menschen, die frei und abseits jeglicher gesellschaftlicher Normen leben, gerne „queer“. Auch gut. Für mich braucht es keinen Namen, keine Benennungen, um Spaß im Bett zu haben und mein Herz meinem Gegenüber zu öffnen. Auch der Berliner Sexualforscher und Professor Erwin J. Haeberle gibt mir Recht, wenn er sagt: „Wissenschaftlich gesehen macht die Einteilung zwischen Homo-, Hetero- und Bisexuelle keinen Sinn. Es gibt zum Beispiel schwule Väter oder Gefängnisinsassen, die nur während dieser Zeit gleichgeschlechtlichen Kontakt haben. Was hat man davon, wenn man die alle als bisexuell bezeichnet?“

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Foto von Armin Obersteiner

Leider sind wir davon aber in der Realität weit entfernt. Wenn Typen auf Gayromeo sich als hetero bezeichnen, trotzdem aber nach einem geilen Schwanz suchen, ist das für mich absolut nichts Irritierendes (im Gegenteil, aber das ist eine andere Geschichte). Wenn Männer im Chat sich als „bi“ bezeichnen, zweifle ich nicht daran. Ich habe etliche Typen kennengelernt, die genauso begeistert vom Sex mit ihrer Frau erzählen, im gleichen Atemzug aber meinen Schwanz im Mund haben möchten.

Viele Schwule, wie zum Beispiel der eingangs erwähnte Boylesque-Tänzer, reagieren hier jedoch mit Ablehnung. Und noch mehr meiner heterosexuellen Freunde reagieren mit Verwirrung. Wenn ich von einem verheirateten Mann spreche, der auch gerne Männer-Sex hat, kommt die Reaktion: „Der ist einfach latent schwul.“ Wenn ich den Begriff MSM („men who have sex with men“) verwende, werde ich sofort unterbrochen, bevor ich überhaupt zu weiteren Erklärungen ansetzen kann: „Naja, die sind dann also bi.“ Nein, sind sie nicht. Aber egal. Ich hab’s mittlerweile aufgegeben.

Bild von VICE Media

Zum Schluss also eine Bitte an alle Schwulen, Heten oder sonstigen Leuten: Lasst die Bi-Männer—und natürlich die Bi-Frauen!— doch einfach in Ruhe. Auch für sie selbst ist es schon schwierig genug, sich keiner der zwei standardisierten Sexualitätskategorien zugehörig zu fühlen. Die Frage „Wer bin ich?“ tritt bei Bisexuellen häufiger auf als bei Homos—auch die Suizidrate ist höher. Think about it.

Schade, wäre ein bisexuelles Leben doch sehr spannend. So habe ich von einem Mann erzählt bekommen, der im Alter von 30 Jahren die Männerwelt für sich entdeckte. Acht Jahre hat er nur Schwänze und Männerärsche gefickt, danach aber nie wieder. Die anschließenden 40 Jahre hatte er nur noch Sex mit Frauen. Oder es gibt Leute, die abwechselnd Beziehungen mit Männern und Frauen haben. Die (wenigen) Bisexuellen, die ich kenne, sind zudem toleranter, als die meisten anderen Mitmenschen in meinem und ihrem Umfeld.

Für mich ist das alles weder bedrohlich, noch merkwürdig oder irritierend. Und schon gar kein Verrat an irgendwem. Die Wahrheit ist, dass Bisexuelle ihre Sexualität genauso wenig wie irgendwer sonst für jemand anderen leben müssen. Für mich klingt das nach einem freien und vor allem sehr bunten Leben.