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Wir haben uns den Lyrikband vom Ex-„Pissoir-Poeten“ Oskar Freysinger angetan

Im neuen Lyrikband von SVP-Nationalrat und Walliser Staatsrat Oskar Freysinger dominieren Herrenwitze so angestaubt wie Playboyhefte aus dem Jahr 1959. Dieses Buch wurde für Leute geschrieben, die den „Nebelspalter" nur unter der Bettdecke lesen.

Oskar Freysinger ist der Internationalist unter den SVP-Granden: Er tourte bis zu seiner Wahl in den Walliser Staatsrat bei allen europäischen Rechtsauslegern: Angefangen bei Vlaams Belang, er hat ein Anti-EU-Gedicht für die deutsche Partei DIE FREIHEIT verfasst und durchlief kurze Kuschelphasen mit Pro NRW.

Seit der billingue Gymilehrer Walliser Bildungsdirektor ist, geht er allerdings auf Distanz zu Front National und FPÖ. Trotzdem reissen die skurrilen Schlagzeilen nicht ab: Vor einem Jahr präsentierte Freysinger einem SRF-Team die Reichsflagge in seinem Büro und zeigte sich überrascht von den Reaktionen. Die letzten Etappen im Eklat-Marathon waren die Relativierung der Völkermorde in Srebenica (1995) und an den Armeniern (1915).

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Bild von Werberverlag

Neben seiner politischen Kampagne werkelte Freysinger an einer Literatenkarriere, gewann anonyme Wettbewerbe und schrieb den Roman „Wabers Schwarm", der inklusive Illustrationen knappe 102 Seiten umfasst. Wir wollten uns ein Bild des Künstlers Freysinger machen und liessen uns deshalb den neuen Gedichtband des Rechtsnationalisten „Fabelhaft – skurrile Gedichte" in die Redaktion schicken. Freysingers Background konnte beim Lesen leider nicht vollständig ausgeblendet werden.

Trotzdem versuchten wir es. Immerhin beschreibt Peter Rothenbühler (ex-Chefredaktor Sonntagsblick & Le Matin) im Vorwort den Lyriker Freysinger und den Illustratoren Ted Scapa als „liebenswerte Verrückte" und hält den Poeten für „eine Art Renaissance-Mensch der Moderne", der „politisch zu Extremen neigt (wie so viele Künstler)". Rothenbühler mag „mehr den Künstler als den Politiker, notabene" und erteilt Freysinger als Schriftsteller seine Flatrate-Solidarität: „Dass er dichten und schreiben kann, braucht er nicht mehr zu beweisen (…) Hier zeigt er einmal mehr, was er im Bauch und im Kopf hat."

Foto von Farm9

So dann, wo wollen wir anfangen? Vielleicht damit, dass es mit dem Versuch Freysinger als Künstler ernst zu nehmen, nach dem dritten Gedicht wieder vorbei war. Tut uns ein leid, wir haben versucht Gonzo auszublenden aber der „schamlos gereimte" (Untertitel) Gedichtband tut jedem Leser im Kopf weh. Jedem, der bei Heine nicht die falsche Abzweigung genommen hat und meint die Reihung der infantil-naheliegendsten Reime thematisiere Vaterkomplexe (Blocher?) auf der Formebene. „Krokodil" auf „Nil", „Ratte" auf „Matte" auf „Platte" oder mein Trash-Liebling:

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Handywork

Ein Dandy kauft im Shop ein Handy

und findet sich nun furchtbar trendy!

Da sieht er plötzlich, dass die meisten

sich grad wie er ein Handy leisten.

Dies findet er nun gar nicht trendy,

er wirft zum trash sein brand new Handy

und kehrt, dem World Wide Web zum Hohn

zurück zum schwarzen Telefon.

Das Digitale ist nur Shit,

wähl auf der Scheibe deinen Hit.

Das kann man jetzt für Retrochic halten. Auch die peinlich-simpelsten Reime können auf einem Trashkunst-Podest idealisiert werden. Alles Geschmack, alles Bestandteil des brüchigen postmodernen literarischen Schaffens. Die brüchige Weltwahrnehmung scheint etwa im Gedicht „Der Pillendreher" durch:

Der Pillendreher

Der Pillendreher dreht im Stillen seine Pillen

und drillt mit starkem Willen tiefe Rillen.

Doch schiebt der Käfer sich auch wund,

sein Mist wird kubisch und nicht rund.

[…]

Ist „Der Pillendreher" auch eines der Gedichte, die sich auf eine Camus-Auseinandersetzung auf frühem Gymi-Niveau (der Mann ist Lehrer!) rückführen lassen, so thematisieren die meisten Gedichte nur naheliegende Wortspiele: Warzenschwein verliert seine Warze. Made (wie in Mehlmade) in Switzerland, Trendy Handy.

Foto von Wikimedia

Alles eher angestaubt, alles eher harmlos. Aber Freysinger, der

„Pissoir-Poet", muss seinem Ruf gerecht werden und verlässt die Zahnarztpraxis des guten Geschmacks mutig in Richtung Herrenwitz der späten 50er-Jahre: „Das Brot lag hitzegeil im Spalt" ist nur einer von vielen verwitterten Machoversen. Gezwungenes Phallus-Deutsch, aber irgendwie doch provokationsfrei. Wenn es denn ein dramaturgisches Muster im vorliegenden Band gibt, so ist es dieses: „Es liegt die Jette fett im Bett", oder:

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Foto von Formarcster

Fadenscheinig

Wenn der Ausschnitt grad so tief sich neigt

wie der Minirock nach oben steigt

und der Treffpunkt dieser zwei

eine Linie formt dabei…

Nun also, dieses Ding

das nennt sich String

Einziger Leuchtturm (höhö: Penis!) im gereimten Zahnarztwartezimmer ist eine Variation von Rilkes weltbekanntem Gedicht „Der Panther":

Von der hohen Brück' bei Ganther

warf sich Rilkes müder Panther.

hätt' es Stäbe dort gegeben

wär' der Panther noch am Leben.

Es fliesst, hat Wortwitz und vermittelt immerhin das Bild eines gefestigten konservativen Weltbilds: Rilkes Panther will die Freiheit, Freysingers Panther entscheidet sich für Sicherheit. Immerhin scheint sich hier irgendjemand (Autor? Erzähler? Lyrisches Ich?) etwas gedacht zu haben. Wer dem Autor dieses Artikels fünf Gedichte aus „Fabelhaft – skurrile Gedichte" auswendig vorträgt, erhält von ihm eine dentale Routineuntersuchung oder ein Jahresabo des „Nebelspalters".