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Die SBB im Zwei-Fronten-Krieg

Shitstorm jagt Shitstorm jagt Shitstorm. Dafür bedanken darf sich die SBB bei einem Nazi-Vergleich, ihrer Kommunikationsabteilung und dem Internet.
Bild von Parvez Sheik Fareed

Wer soll bei so viel Empörung von allen Seiten noch den Durchblick behalten? Die DSI-Befürworter empören sich wahlweise über eine Verunglimpfung ihrer Lieblingspartei oder ihrer Lieblingsschweiz. Die SBB-Kunden über die Werbeplatz-Policy ihrer Nicht-mehr-Lieblingsbahngesellschaft. Und die DSI-Gegner über die SBB, die ihr Lieblingsabstimmungs-Sujet verbietet.

Das alles nur wegen ein paar Strichen, die ein Schweizerkreuz zu einem angedeuteten Hakenkreuz ergänzen. Neben diesem Symbol liest—wer an diesem Punkt noch kein Capslock- und Ausrufezeichen-Feuerwerk gezündet hat—den Slogan „Nein zur Zwei-Klassen-Justiz", die Anfangsjahre des Nationalsozialismus sowie der südafrikanischen Apartheid und die Aufforderung zu einem Nein zur Durchsetzungsinitiative.

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Werfen wir einen Blick zurück auf die wichtigsten Stationen der kurzen Biografie dieses aufsehenerregenden Sujets: Am 9. Februar tauchte das Motiv mit dem Hakenkreuz zum ersten Mal auf Facebook auf. Der Werber und Erschaffer des umstrittenen Sujets, Parvez Sheik Fareed, postete das Motiv auf seinem Profil mit der Möglichkeit, es zur weiteren Verwendung herunterzuladen—was anscheinend auch fleissig getan wurde.

Knapp eine Woche später, am 15. Februar, ist das Sujet nach einer sozial-medialen Odyssee auch beim BDP-Präsidenten Martin Landolt angekommen. Ohne zusätzlichen Kommentar postete er es auf Twitter, was die ersten richtig heftigen Reaktionen hervorrief.

Screenshot von Twitter

Gefühlt alle Medien von 20 Minutenbis zur NZZ berichteten über den provokativen Tweet und gefühlt alle Schweizer mit einem Facebook- oder Twitter-Account hatten etwas zum Tweet zu sagen, der bis heute über 130 Mal geteilt wurde. Landolt selbst kommentierte aus dem Epizentrum des Shitstorms heraus trocken mit den Worten des Hakenkreuz-Schöpfers Fareed: „Wäre die Botschaft inhaltlich nicht faktisch belegbar, hätte ich das Plakat nicht so gemacht." Anschliessend wurde der Shitstorm schnell zum Stürmchen und geriet schliesslich im Abstimmungsgewusel in Vergessenheit.

Doch so schnell wie der erste Shitstorm vorbeigezogen ist, so schnell zog schon der nächste auf. Private Geldgeber erklärten sich bereit, das Sujet auf den Werbeflächen der SBB-Bahnhöfe in Zürich und Genf zu schalten. Alle drei Minuten blickten Pendler, Reisende und Hot Dog-Verkäufer nun auf das angedeutete Hakenkreuz, was wenig überraschend wieder für ein Empörungs-Durcheinander sorgte, das selbst die Aufschrei-Reporter bei 20 Minuten beinahe in den Burnout zu treiben drohte.

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Am Montag und Dienstag titelten sie noch jeweils ein lockeres „Durchsetzungsinitiative: Anzeigetafeln am Zürcher HB zeigen Hakenkreuz" und „Zürich HB: Pendler beschweren sich wegen Hakenkreuz-Plakat", aber scheinbar nur, um am Mittwoch so richtig loszulegen: Um 14:19 Uhr heisst es „Leser über Hakenkreuz-Plakat: 'Ich bin schockiert, dass die SBB das publizieren'", weniger als eine Stunde später schon „Grosse Proteste: SBB stoppen Hakenkreuz-Plakat" und zum grossen abendlichen Finale „Verletzte Gefühle: Plakat-Stopp der SBB empört Kunden".

Screenshot von 20min.ch

Die SBB selbst—die in der ganzen Geschichte eine erstaunlich steile Karriere vom Unbeteiligten zum Buhmann hinlegte—begründete das Schalten des Hakenkreuz-Sujets am Anfang noch damit, dass sie gerichtlich dazu verpflichtet sei, auch politische Werbung zu publizieren. Einige Stunden und einige Dutzend eingegangene Beschwerden später wollte die SBB von der auferlegten Pflicht nichts mehr wissen und kündigte an, das Hakenkreuz-Sujet aus ihren Bahnhöfen zu verbannen. Als Begründung führt sie an, dass „die Gefühle von Kundinnen und Kunden in tiefster Weise verletzt und ihre persönliche Vergangenheit verharmlost" wurden und dass sie davon ausgehe, das Hakenkreuz überschreite als „krasser Einzelfall" die Grenzen der gerichtlichen Verpflichtung auch politische Werbung zu schalten.

Werfen wir einen Blick in den Gerichtsentscheid, den die SBB als Basis für ihre Argumentation—absurderweise sowohl für das Schalten der Werbung, als auch für deren Verbot—benutzt, merken wir schnell, dass sich die SBB auf sehr dünnem Eis bewegt. Der Entscheid erwähnt nämlich keine Ausnahmeregelung, auch nicht bei „krassen Einzelfällen". Wortwörtlich steht dort: „Wenn der Text eines Plakats weder strafbare Äusserungen enthalte noch sonst gegen Gesetze verstosse, stehe der SBB eine weitergehende Überprüfung des Inhalts nicht zu. Falls es zu Kontroversen über das Plakat kommen sollte (Beschmieren, Abreissen, Auseinandersetzungen), sei es Sache der Bahnpolizei, die Ordnung wiederherzustellen."

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Der Dozent für Marketing- und Kommunikationsrecht Reto Inglin kommentierte das Plakatverbot der SBB im Kontext dieses Gerichtsentscheids gegenüber persönlich.com dahingehend, dass die Bahn abwägen müsse, was höher zu gewichten sei: die Wahrung der öffentlichen Ordnung oder das Recht auf freie Meinungsäusserung. Bei der Gratwanderung um das Hakenkreuz-Sujet sieht er die öffentliche Ordnung nicht gefährdet und spricht gar von staatlicher Zensur.

In eine ähnliche Richtung—aber bedeutend emotionaler—argumentieren die Shitstorm-Krieger im Kampf gegen die SBB. Sie werfen der Bahn vor, zwar auf die Gefühle der DSI-Befürworter Rücksicht zu nehmen, nicht aber auf die Gefühle, die durch die schon massenweise geschalteten SVP-Plakate verletzt wurden.


Auch in Österreich wird eine Partei öfters mit historischen Phasen der 30er-Jahre verglichen:

Und sogar ein Nationalrat der SVP selbst scheint den Motor für Nazi-Vergleiche liebend gerne am laufen zu halten. Anfang Januar schrieb Roger Köppel in seiner Weltwoche, Hermann Göring, der Mann, der wesentlich für die Erstellung der Konzentrationslager und den Befehl zur „Endlösung der Judenfrage" verantwortlich war, sei im Grunde „weder Monster noch Teufel", sondern wie so viele andere lediglich der Faszination Hitlers erlegen. Erst im vergangenen Sommer tauchten ein Zitat und ein Porträt Roger Köppels auf der Facebook-Seite der NPD auf.

Doch egal, wer nun wirklich Nazi sein könnte und wer nicht, wer nun Werbung zensiert und wer nicht, wer nun zurecht shitstormt und wer nicht—gewonnen hat in der ganzen Geschichte vorwiegend einer: der Werber, der das Hakenkreuz-Plakat gestaltet und sich dank der massiven Aufmerksamkeit wohl nie mehr Job-Sorgen machen muss. Das kann ihm kein Shitstorm dieser Welt mehr nehmen.

Sebastian auf Twitter: @seleroyale

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von Parvez Sheik Fareed