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GAMES

​Was sagen eigentlich die Spiele-Entwickler zu Sexismus und Gewalt in Games?

GamerGate ist auf den ersten Blick vor allem ein hausgemachter Skandal der Videospiel-Community, aber in Wahrheit ist hier eine viel größere gesellschaftliche Debatte am Werk.

In den letzten Monaten wurde diese milliardenschwere Industrie, sehr salopp und allgemein "Gaming" genannt, Zeuge einer Pseudo-Aufbruchstimmung unter der Flagge des Hashtags #GamerGate. Verschiedenste Fans, Anhänger und Verfechter von Videospielen argumentierten aus genauso verschiedenen Gründen, dass die Gaming-Welt vor einer Wende stünde—beziehungsweise diese abwehren müsse. Die „wahre" Elite der Gamer, die diese Bezeichnung mit einem unangebrachten Ausmaß an Stolz tragen und anscheinend Veränderung so sehr fürchten wie 70-jährige Demenz-Patienten, erkannten zähnefletschend, dass die größte Gefahr für ihr glorifiziertes Unterhaltungsmedium nicht etwa von mangelnder Qualitätssicherung oder Überproduktion ausging, sondern vom Feminismus.

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"They want to take our toys!? From our cold dead hands!" Mit dieser Braveheart-Mentalität schallt der Kampfschrei einer ganz speziellen Gruppe von Gamern mit stolz geschwellter Brust in All Caps über die Twitter- und Facebook-Timelines. Das Problem ist nur, dass die wirklich unbegründete Verlustangst und Paranoia der cholerischen Videospiel-Verschwörungstheoriker bis heute in Mord- bis Vergewaltigungsdrohungen resultiert. Kritiker von alteingesessenen sexistischen Gaming-Tropen, wie etwa Anita Sarkeesian, und einige weibliche Journalistinnen wurden Opfer von extremen Online-Belästigungen und Angriffen. Alles, ebenfalls, unter der Flagge von #GamerGate. Die Schauspielerin Felicia Days, die sich nach vorhergehenden Anschüchterungsversuchen dann doch gegen #GG ausgesprochen hatte, wurde sogar ge„doxxed". Dieser so lässig klingende Tech-Trend bezeichnet das Hacken und Veröffentlichen von privaten Informationen, Telefonnummern, Account-Zugängen und Anschriften. Wenn ihr euch also mit dem falschen Gamer anlegt, könnte dieser ähnliche Saiten wie Alpen-Donau.info aufziehen oder euch ergeht es sogar wie Jennifer Lawrence.

Demografisch sind gewisse Games immer noch stark auf den überstilisierten Geschmack des männlichen Publikums ausgerichtet, was nicht nur von Charity-Aktionen von Videospielen für Prostata- und Hodenkrebshilfe unterstrichen wird. Dicke Titten und die G-String-Rüstung sind eine eingebürgerte Stilistik und deren lauter werdende Ablehnung in Teilen der Gaming-Community wird von ein paar Idioten als Anfang der totalen Zensur gewertet—ähnlich wie Rechtskonservative glauben, dass auf die Homo-Ehe direkt Gruppensex mit Schafen im Kindergarten folgt.

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Sicher, auch männliche Figuren werden in vielen Games als dämliche Muskelpakete dargestellt und überdurchschnittlich grausam oder enthumanisiert behandelt, aber diese Argumenationsweise—wie sie von manchen #GamerGate-Vertretern vertreten wird—ändert nichts an der Wahrheit und Härte, der von Anita Sarkeesian aufgezeigten Tropen bezüglich Frauendarstellung in modernen Videospielen. Ein sehr eigenartiger Umkehrschluss ist es deshalb, ihren schlüssigen Argumenten jegliche Glaubwürdigkeit oder Legitimität abzusprechen.

Als kritischer Gamer muss man es aushalten, dass Menschen wie Anita es scheiße oder bedenklich finden, wenn in Hitman Stripperleichen im Bikini als sexy Hintergrund-Deko eingesetzt werden. Ich kenne viele dieser Titel, hatte großen Spaß mit deren Inhalten—oft auch gerade deshalb, weil so dermaßen krasse und falsche Dinge passierten, denn unter anderem sind Spiele genau dafür da: Um ein Ventil für Tabus zu bieten. Ich könnte mich aber niemals mit vollem Elan hinter überspitzte Gewaltdarstellungen und die respektlose Implementierung von Frauentropen stellen, geschweige denn mich für deren Erhalt stark machen und die Position von kleinen Online-Terroristen einnehmen.

Kritik an einzelnen Aspekten des Mediums bedeutet nicht, dass es sich um einen Frontalangriff auf Videospiele als Ganzes handelt. Verglichen mit Debatten zu so genannten „Killerspielen", in denen Counter-Strike, GTA oder das bereits erwähnte Hitman so dargestellt werden, als wären sie von Luzifer persönlich programmiert worden, ist die jetzige, kritische Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Medium ja eigentlich absolut zu begrüßen.

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Diese Meinung resultierte dann übrigens auch in meinem ersten Twitter-Streit. Die Reaktion auf meine Aussage, dass Dissoziation mit #GamerGate an einem Punkt mit Eingriffen ins Privatleben und soziopathischen Beschimpfungen sehr wohl angebracht sei, schien mir eher kindischer Trotz zu sein als hinter einer höheren Ideologie zu stehen: „Solange nicht bewiesen ist, dass eine Mehrheit von uns Leute belästigen, höre ich nicht auf den Hashtag zu benutzen."

— Chronologger (@Chronologger)September 9, 2014

Was die Community denkt, haben wir nun zur Genüge gehört. Wir wollen jetzt wissen, was die Menschen denken, die selbst Videospiele entwickeln. Deshalb haben wir mit drei Entwicklern der Gaming-Industrie gesprochen und gefragt, was sie eigentlich von diesen Extremen in der Community halten und warum das bereits Jahrzehnte-alte Thema Sexismus und Gewalt immer noch dermaßen polarisiert.

VICE: Wie weit muss oder sollte die Games-Industrie Verantwortung für ihre Fans und deren Übergriffe übernehmen? Wie stehst du zu den Vorwürfen von Sexismus in Videospielen?
Alexandre Amancio (Creative Director, Artistic Director, Far Cry): Menschen sind selber verantwortlich für ihre Taten und jeder muss sich selber dafür rechtfertigen können. Ich finde es unfair eine ganze Industrie zur beschuldigen, da sich eine allgemeinere, soziale Frage stellt. Früher waren es gewisse Bücher, dann Rock Musik oder Fernsehen, auf irgendwen zeigen sie immer mit dem Finger.
Es gibt natürlich überall, auch bei uns, Verbesserungsmöglichkeiten in Puncto Gleichberechtigung zu implementieren, in jeder Industrie. Und das ist klarerweise der richtige Weg. Aber man kann auch etwas zu viel reinlesen in Dinge, die kreiert werden. Wir hatten und haben starke Frauencharaktere in unseren Spielen. Ganz ehrlich, wir gehen aber auch bei unseren Produktionen keine politisch korrekte Check-Liste durch. Für uns ist es Kunst, für manche nicht—das ist auch OK—und wir wollen schlicht und einfach eine Geschichte erzählen.

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Reagieren Kritiker wie Anita Sarkeesian und auch die Verfechter auf der anderen Seite von #GamerGate also alle übertrieben?
Ich bin mir bewusst, dass Gleichberechtigung und ähnliche Gaming-Debatten große gesellschaftliche Relevanz haben und diskutiert werden müssen. Nur wird man sofort in eine Ecke positioniert, wenn man sich irgendwie äußert, obwohl man das vielleicht gar nicht möchte.

Manche Menschen, darunter ich, bevorzugen es alle Perspektiven und Gegenperspektiven in eine Diskussion einzustreuen.
Ja, und das ist es doch, was Freiheit definiert. Sobald man den Zugang einer Geschichte oder einer Aussage kritisiert, wird man hier aber sofort auf eine Seite der Diskussion hinkategorisiert, die man scheinbar verteidigt. Menschen sind aber nicht schwarzweiß.

Wie macht man einen Charakter so böse, dass es OK ist ihn zu töten? Reicht eine große Narbe im Gesicht?
Bevor man Gegner umbringt, sollte einem das ganze Ausmaß und der Hintergrund eines Charaktere näher gebracht werden. Unsere Protagonisten sind immer menschlich und multidimensional, im Sinne dass er Fehler und Zweifel hat. Gewalt sollte nur Teil des Ganzen sein, wenn es Teil der Zeitperiode oder des narrativen Kontextes ist.

Aber oft sieht auch bei euren Spielen das Töten cool aus. Muss das sein?
Das MUSS natürlich nicht sein. Das hängt davon ab, welche Art Spiel man machen möchte. Es gibt eben auch welche mit Altersbeschränkung, für Erwachsene. Gewalt soll in unseren Spielen auch nie unbegründet sein, sondern im Kontext des Spiels „Sinn machen". Tatsächlich wird man bei unseren Spielen oft aus den Gameplay genommen, wenn man Unschuldige auf der Straße umbringt.

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Warum sind Sexismus und Gewalt so essentielle Debatten, die scheinbar seit Ewigkeiten nicht gelöst werden konnten.
Wichtig ist, dass Leute weiter Fragen stellen und solange sie es in einer positiven Art und Weise tun, kann es die Industrie nur verbessern.

VICE: Was ist mit Gewaltdarstellung? Wie viel ist schlicht eine etablierte Stilistik und wie viel davon ist überhaupt nötig?
Lesley Phord-Toy (Produzentin, Splinter Cell): In einem Videospiel gibt es einen komplett anderen Kontext als in unserer Gesellschaft. Leute wollen Videospiele um zu entspannen oder der Realität zu entfliehen. Authentizität und Realismus kann in Spielen einen großen Unterschied machen, sogar Spannung und mehr Neugierde erzeugen. Ja, ein Spiel ist fiktiv und Unterhaltung, aber mit einem authentischen Rückhalt leistet man einen besseren Beitrag als mit komplett fiktiven Welten. Die Gewaltfrage in AAA-Games ist die gleiche Frage wie bei Filmen. Braucht man die ganzen Explosionen oder wozu die ganzen Liebesgeschichten? Es hängt immer vom Kontext der erzählten Geschichte ab.

Und solche überstilisierte Shooter mit Blut, Beuschel und Kugelregen?
Man muss immer neue Dinge ausprobieren und auch neue Genres erkunden. Aber es gibt da letztlich auch noch dieses Produkt, das wir unseren Fans verkaufen. Referenzen und der Wiedererkennungseffekt sind wichtig. Wenn wir die Fans zu sehr aus ihrer Comfort-Zone drängen, könnten wir sie verlieren. Aber klar, es muss auch andere Wege geben, Neugierde und Dialog zu erzeugen.

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Geht das überhaupt ohne Gewalt und eingebürgerte Gaming-Tropen?
Du willst jetzt hören, warum und ob wir Gewalt in Games brauchen. Nein, ich finde nicht, dass wir Gewalt in Games brauchen. Aber bestimme Genres, Spieltypi und manche Plots werden das mit sich bringen. Wenn du eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählst, wäre es paradox die Gewalt eines Krieges einfach auszuklammern. Obwohl das auch möglich ist.

Schießen ist wohl einer der ursprünglichsten und internalisierten Spielmechanismen des Menschen, ob sich das nun auf Asteroiden oder menschliche Ziele bezieht.
Stimmt, das liegt wohl in unserer Natur, Auseinandersetzung, Konfrontation und Kampf. Das ist ein interessantes Thema. Portal hat hier etwas Interessantes geschafft. Das ist ein Ego-Shooter und man feuert eine Kanone, aber niemand wird erschossen und man löst dreidimensionale Raumrätsel. Manchmal zerstört man vielleicht einen Roboter, aber das war's. Ist das Gewalt oder nicht? Es ist keine einfache, schwarz-weiß Thematik. Man wird immer etwas finden was Leuten zu gewalttätig erscheint.

Was glaubst du, gibt es die Verbindung von Gewaltbereitschaft und Videospielen?
Es gab einige Studien zu diesem Thema und ich habe letzte Woche eine gelesen—und es wurden keine Schlussfolgerungen gemacht—in der es um die Verbrechensrate bei großen Game-Releases ging. Zum Beispiel als das letzte GTA raus gekommen ist, gab es einen lesbaren Einbruch bei Delikten und Gewaltverbrechen. Sie wissen nicht warum, aber eine Theorie ist, dass die Leute eben Videospiele zocken anstatt in Autos einzubrechen oder ihre Frau niederschlagen. Es war kein Aufdeckerartikel oder so, nur gut und objektiv geschrieben, ausschließlich auf den Daten basierend, die sie erhalten haben. Solche Fragestellungen gefallen mir.

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Ich spiele Videospiele seit ich zehn bin—manchmal war es auch nicht altersentsprechend—und ich war in meinem ganzen Leben in keiner Schlägerei, hatte nie Aggressionen und den Wunsch jemanden zu schlagen oder zu erschießen. Aber die #GamerGate-Leute scheinen doch sehr aggressiv zu sein.
Solche Online-Rüpeleien im Zusammenhang mit Anita Sarkeesian und so weiter sind in unserer Zeit mit Twitter und Youtube-Comments extrem einfach geworden. Jeder kann problemlos laut schreien ohne viel Überlegung oder Auswirkung. Manche Leute haben kein Problem damit zu sagen, was auch immer ihnen einfällt, ob es nun wahnwitzig sein sollte oder nicht. Damit meine ich diejenigen, die Anita kritisieren. Wenn man diese Leute mit Anita zu einer persönlichen Diskussion von Angesicht zu Angesicht hinsetzen würde, wäre der Großteil sehr schnell sehr leise. Anonymität und das Gefühl von Distanz erlauben Menschen emotionalisiert zu reagieren ohne zu überlegen was sie sagen.

Du findest Anita also cool. Greift sie mit ihrer Kritik nicht auch deine ganze Industrie an?
Nein, gar nicht. Sie stellt Fragen und fordert uns heraus. Die Angriffe auf sie und die Drohungen sind furchtbar und lächerlich. Aber ich denke nicht, dass es die Mehrheit ist. Ein paar Leute schreien sehr laut und plötzlich ist es ein Thema.

Ist ein geschichtlicher Kontext eine gute Ausrede in einem Spiel Gewalt einzusetzen?
Vincent Pontbriand (Senior Producer, Assassin's Creed): Ich werde nicht lügen, es handelt sich in diesem speziellen Fall von AC um ein Unterhaltungsprodukt und es hat „Assassin" im Titel. Es ist natürlich fiktiv. Wir werden nicht behaupten, dass das Morden gerechtfertig ist. Wir haben auch versucht nicht zu weit zu gehen. Es gibt kein Köpfen und keine ausgerissenen Gliedmaßen. Es ist Unterhaltung, eher realistisch als episch und glorifizierend, aber es ist schwierig.

Wie stehst du persönlich zu Gewalt in Spielen?
Persönlich wird mir eher schlecht, wenn es zu brutal wird. Und wir hatten Leute in unserem Team, die Projekte verlassen haben, weil ihnen die Gewaltdarstellung zu viel wurde. Manche sind da empfindlicher. Ich bin zwar empfindlich, aber nicht so sehr, dass ich meinen Job kündigen würde. Ich weiß, dass wir auch den Anspruch haben zu unterhalten und das eine gewisse Stilistik miteinschließt.

Wir sind aufgewachsen mit solchen Spielen und deren Bilder. Ich versuche dann immer mir die Perspektive eines Außenstehenden vorzustellen, der sehr schockiert wäre. Was sagst du zur Debatte rund um Anita Sarkeesian und ihre fanatischen Kritiker?
Ich habe das verfolgt und versucht es nicht zu nahe an mich ranzulassen. Das ist und war eine sehr delikate Situation, kurz vor einer Explosion. Eigentlich gibt es keine Seite oder Möglichkeit diesen Streit zu gewinnen. Entweder man nimmt an der Diskussion teil oder man hält sich raus. Ich muss mich aus professionellen Gründen raushalten und wirklich vorsichtig sein, was ich sage, da ich mein Entwicklerstudio repräsentiere und alles was ich sage als Firmenmeinung betrachtet werden könnte.

Anita Sarkeesian hat auch Spiele von euch kritisiert.
In Bezug auf AC finde ich persönlich die Kritik etwas unfair, da ich finde, dass wir unseren Teil durchaus beigetragen haben. Sicher, wir können auch noch mehr tun, aber wir sind sicherlich nicht die Schlimmsten in dieser Hinsicht. Wir sind auch offen auf solche Themen genauer einzugehen in Zukunft, aber das geht eben nur ein Spiel nach dem anderen. Wir haben kreative Entscheidungen getroffen, auf die wir sehr stolz sind. Wir werden sehen was die Zukunft bringt.

Also tendierst du eher auf der Seite der Gamern zu stehen?
Es ist einfach sehr polarisierend. Und das ist auch die Problematik, dass wir gezwungen sind uns nun auf eine Seite zu stellen. Warum darf man nicht im Zwischenbereich bleiben? Es gibt die öffentliche Diskussion und dann haben wir auch noch unsere interne. Da müssen wir ziemlich aufpassen, weil manche Leute in unseren Teams auf diese Themen sehr sensibel reagieren und ähnliche Veränderungen wie Sarkeesian fordern. Ich will natürlich, dass diese Leute weiter an unserem Projekt arbeiten.

Also sollte man #GamerGate nicht zu ernst nehmen?
Das ist wie Star Wars. Egal ob du die Prequels mochtest oder nicht, man kann diesen Streit nicht gewinnen. Reelle Aggressionen sollten nicht aus fiktiven Geschichten heraus entstehen. Da ist definitiv eine gesellschaftliche Debatte am Werk, die größer ist als du und ich.

Folgt Josef aber streitet nicht mit ihm auf Twitter: @TheZeffo