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Fear and Floating in Vienna: Eine Übernachtung in der Kunstgalerie

Ich habe eine Nacht in der Ausstellung „Leben“ von Carsten Höller verbracht und musste mir eingestehen, dass ich keine Ahnung von Kunst habe. Lustig war es trotzdem.

Alle Fotos vom Autor.

Als ich gefragt wurde, ob ich eine Nacht in der TBA21 (Thyssen-Bornemisza Art Contemporary) verbringen wollen würde, habe ich nicht lange gezögert und zugesagt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, auf was ich mich eingelassen hatte. Ich hatte mir nur kurz die Homepage der TBA21 angesehen, irgendwas von einem gewissen Carsten Höller und seinem Aufzugbett gelesen, und beschlossen, dass das sicher eine lustige Sache werden würde. War es auch. Aber der Reihe nach:

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Meine Begleitung und ich sind ziemlich nass und verwirrt im Augarten angekommen, als uns ein junger Mann, der entspannt im Grünen saß und rauchte, fragte, ob wir die Gäste für die Nacht seien. Ich bin ein unhöflicher Bastard und habe vergessen, ihn nach seinem Namen zu fragen, deshalb nenne ich ihn jetzt einfach Thomas. Thomas hatte die ehrenvolle Aufgabe, uns die ganze Nacht lang zur Verfügung zu stehen, denn wenn man die Nacht in der Ausstellung verbringen will, wird man dort eingeschlossen, was irgendwie ziemlich gruselig ist. Will man also Zigaretten holen, muss man Thomas anrufen. Will man wieder zurück ins Bett, muss man ihn wieder aus seiner Unterkunft holen. Irgendwie wäre es wohl einfacher, den Gästen einen Schlüssel zu geben, aber dann wäre Thomas arbeitslos und das wäre traurig, denn er ist wirklich ein Netter.

Die magischen Zahnpasten.

Als er die Tür unserer Unterkunft öffnete, bekamen wir einen erschreckenden ersten Eindruck von dem, was uns erwartete. Überall waren Bewegungsmelder angebracht, die Videos starteten, sobald man den Raum betrat. Diese Videos kann man auch nachts nicht abschalten, was müde Nerven ganz schön auf die Probe stellt. Mein Kunstverständnis hört definitiv dort auf, wo meine Liebe zum Schlaf beginnt. Jedenfalls wurden in den ersten beiden Räumen die Werke „Vienna Twins“ und „Fara Fara“ gezeigt, die in erster Linie laut waren. Im dritten Raum fanden wir unser Lieblingsspielzeug vor: das Aufzugbett. Das Ding hatte vermutlich mehr Quadratmeter als meine gesamte Wohnung und war einfach nur abgedreht. Auf den Nachtkästchen, die auch noch eine Minibar und eine Kaffeemaschine beinhalteten, lag eine Fernbedienung, mit der man das runde Bett bis zu vier Meter in die Höhe fahren konnte. Wie geil ist das denn?!

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Das Aufzugbett in seiner vollen Pracht.

Im vierten Raum befand sich die „Gimpelwaage“, zwei riesige Vogelkäfige an einer Stahlwaage. In den Käfigen befand sich jeweils ein Gimpelpärchen. Thomas erzählte uns, dass eine Gimpeldame trächtig wäre, woraufhin eine Diskussion entstand, wie man schwangere Vögel nennt. Die werdenden Gimpeleltern waren jedenfalls wesentlich fetter als das andere Vogelpaar, was die Waage aber nicht anzeigte. Enttäuscht von dieser Dysfunktionalität gingen wir in den fünften Raum, wo sich die Dusche und der „Hohe Psychotank“ befanden. Das Ganze war ziemlich verrückt aufgebaut, verdammt rutschig und voller Salz. Der „Hohe Psychotank“ ist nämlich nichts anderes als eine Salzlake, in der man schwerelos herumtreiben kann. „Floating“ nennt sich dieser Spaß, den ich bislang nur aus den Simpsons kannte.

Thomas hat uns noch einiges zur Ausstellung erklärt, aber er merkte vermutlich, dass wir ihn aufgrund der vielen Eindrücke nicht mehr wirklich folgen konnten und so zeigte er uns gleich die Toiletten und den Hinterausgang, wo wir rauchen durften. Da standen wir nun und mussten unsere Gedanken erst mal ordnen. Nachdem wir die einzige Frage, die in diesem Moment relevant erschien („Was zum Teufel machen wir hier eigentlich?!“) mit der einzig richtig erscheinenden Antwort („Wir haben keine Ahnung, aber bitte lass uns mit diesem Bett spielen!“) relativiert hatten, gaben wir uns dem Abenteuerspielplatz für Kunstliebhaber hin.

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Die Gimpelwaage.

Wir sind mit dem Bett bis an die Decke gedüst und haben es herumgedreht. Nach 20 Minuten und unzähligen Fahrten wurde das jedoch irgendwie langweilig und so haben wir den „Hohen Psychotank“ erkundet. Um zu diesem zu gelangen, muss man jedoch erst die Wendeltreppe aus Plastik überwinden, was gar nicht so leicht ist. Man sollte jedenfalls nicht so fett sein wie die schwangere Gimpeldame, ansonsten bleibt man am Weg zur Entspannung in diesem Designwahnsinn stecken. Als ich die Tür zum „Psychotank“ öffnete, wollte ich sie sofort wieder zuschlagen. Ein ekelhafter Gestank schlug mir entgegen und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, auch nur meine kleine Zehe in diese gelbe Brühe zu stecken.

Die Neugierde siegte aber wie immer, wenn es um ekelhafte Sachen geht und so schickten wir eine SMS an Thomas, der irgendeine Pumpe deaktivieren musste, bevor wir zum fröhlichen Floaten übergehen konnten. Nachdem wir uns vorschriftsmäßig geduscht hatten, nahmen wir allen Mut zusammen und sind in den Tank gehüpft. Das Salzwasser darin sah aus wie Pisse, hatte die Temperatur von Pisse und roch irgendwie auch so (tatsächlich war es aber nur Salzwasser, wie wir via Facebook erfahren haben). Wenn man seinen gesamten, unschuldigen Körper in dieser Lake versenkt, sollte man keinesfalls an „Soma“ denken. „Soma“ ist ein Kunstprojekt von Carsten Höller, bei dem er sechs von zwölf kastrierten Rentieren Fliegenpilze zu fressen gab, deren Urin sammelte und ihn den Übernachtungsgästen im Aufzugbett zum Trinken anbot. Wir waren wirklich froh, dass sich in unserer Minibar ausschließlich Cola und Fruchtsäfte befanden, und wir als bewusstseinserweiternde Hilfestellung seitens des Künstlers nur Zahnpasten angeboten bekamen. Doch dazu später.

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Wir haben uns also todesmutig in den „Psychotank“ geschmissen und nachdem wir uns in den Gestank und das Geräusch des Abflusses, welches klang, als würde sich ein Alkoholiker seines Frühstücks entledigen, gewöhnt hatten, war es wirklich angenehm. Wir trieben selig umher und nichts auf dieser Welt konnte uns etwas anhaben, außer dieses verdammt salzige Wasser, das in den Augen brannte und einfach nur ekelhaft schmeckte. Nachdem meine Brüste eiskalt waren, weil sie aus dem Wasser emporragten wie Eisberge, beschloss ich der Entspannung ein Ende zu bereiten und mich zu duschen.

Hätte ich gewusst, dass man vom Augarten aus einen wunderbaren Blick auf die Dusche hat, hätte ich mich wohl nicht so lange mit dem Duschgel aus der Saint Charles Apotheke, welches roch wie das Rasierwasser meines Opas, eingerieben. Nachdem mein gesamter Körper den Duft von Irisch Moos angenommen hatte, schlüpfte ich in meinen Bademantel und wartete auf meine Begleitung, die noch immer wie ein Gummiboot in der Salzlake umhertrieb.

Thomas sagte uns, dass um Mitternacht ein Wachmann das Areal abschließen würde und wir uns dann ganz ungestört draußen bewegen könnten. Also hüpften wir fröhlich in den bereitgestellten Flip-Flops im nassen Gras herum und bestaunten unsere Herberge von außen. Wir mussten anerkennen, dass die riesigen Fenster mehr Einblicke in unsere erhoffte Zweisamkeit gaben, als erwartet. Außerdem entdeckten wir Lautsprecher und fingen an, total paranoide Überlegungen darüber anzustellen, ob unsere Gespräche nach draußen übertragen werden könnten. Die Kameras im Inneren machten das Ganze irgendwie auch nicht besser, also beschlossen wir, uns einfach unter der Decke zu verstecken und leise zu sein.

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Bevor wir uns der Nachtruhe hingeben konnten, mussten wir jedoch noch „Insensatus“ ausprobieren. Dabei handelte es sich um drei Zahnpasten und einen Aktivator, die zum Ausprobieren bereitlagen. Sie sollten angeblich—je nach Tube—die weiblichen, kindlichen oder männlichen Träume anregen. Ausgesehen hat das ganze wie Durchfall und es war wirklich schwer, sich das Zeug in den Mund zu stopfen. Der Geschmack konnte leider genauso wenig überzeugen wie die Wirkung: es war einfach nur fad. Ich habe geträumt, dass ich den versprochenen Brunch am nächsten Morgen verpasste und war total wütend. Meine Begleitung hat aufgrund der singenden Vögel und der „Halben Uhr“—einem Kunstwerk, das mitten in der Nacht angefangen hat, in allen möglichen Farben zu blinken—gar nicht geschlafen.

Die Halbe Uhr.

Am nächsten Morgen bin ich mit wundervoller Aussicht auf den Augarten aufgewacht und wollte eigentlich den Doggystyle-Griff testen (eigentlich sollte man damit das Bett im Kreis drehen, aber das Ding hatte eindeutig einen Mehrzweck!). Allerdings waren im Park schon viele sportlich motivierte Leute und Hundebesitzer unterwegs, die eine ziemlich gute Aussicht auf das Bett hatten. Eine ältere Dame, die ihren ebenso alten Hund in allen nur erdenklichen Posen ablichtete, hat meine Libido dann endgültig zum Erliegen gebracht. Der einzige Lichtblick war in diesem Moment der von Thomas angekündigte Brunch im „Die Au“, das an die Ausstellung anschließt. Allerdings gab es den erst ab 10:00 Uhr. Also saßen wir am Hintereingang, rauchten unzählige Zigaretten und warteten ungeduldig. „Ich bin müde, hungrig und muss scheißen!“ war wohl die Feststellung, die den ausgedehnten Moment am besten beschrieb.

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Nachdem es zum Schlafen zu spät und das Essen noch unüberwindbare 30 Minuten entfernt war, taten wir das einzig Richtige und nutzten die drei zu Verfügung stehenden Toiletten. Jedes verdammte Hotelzimmer sollte drei Toiletten haben! Es wäre allerdings noch besser gewesen, wenn wir nicht zuerst Thomas hätten anrufen müssen. Man wird irgendwie in ein frühkindliches Stadium zurückversetzt, wenn man von einem Erwachsenen abhängig ist, um aufs Klo zu gehen. Ich würde es Carsten Höller durchaus zutrauen, dass auch das Teil der Ausstellung ist, die sich „Leben“ nennt. Scheißen gehört nun mal zum Leben dazu. Vermutlich hätte ich diese ganze Interpretationskraft aber eher den anderen Kunstwerken zukommen lassen sollen, aber irgendwie haben diese nichts in mir ausgelöst.

Deutlich erleichtert traten wir also zum Brunch an und stopften uns voll, als hätten wir tagelang kein Essen gesehen. Die anderen Gäste starrten uns irgendwie seltsam an, aber die wussten ja auch nicht, was wir alles erlebt hatten. Die vielen Eindrücke haben uns ganz schön mitgenommen und auch der Schlafentzug bzw. die Alpträume waren nicht gerade entspannend. Wir hätten vermutlich noch eine Runde im „Psychotank“ herumtreiben sollen, um das Geschehene zu verarbeiten. Auf diese Idee hätten wir allerdings vor dem Essen kommen müssen, denn danach war allein der Gedanke an Wasser schon unerträglich. Am Heimweg musste ich zwei Pausen einlegen, um nicht direkt vom Rad zu kotzen. Die angebotenen Speisen waren einfach zu schmackhaft, um sich nicht völlig zu überfressen. Zuhause angekommen musste ich ein Verdauungsschläfchen einlegen und mir anschließend eingestehen, dass die Gimpel vermutlich ein besseres Kunstverständnis aufweisen als ich.

Falls ihr jetzt das Bedürfnis habt, in 4 Metern Höhe von Spaziergängern beim Sex beobachtet zu werden, könnt ihr das volle Paket—inklusive Thomas und Frühstück—beim „Sofitel Vienna Stephansdom“ buchen. Wenn ihr Glück habt, könnt ihr auf der Facebook-Seite der TBA21 eine Nacht um 120 Euro ergattern, ansonsten müsst ihr für den Spaß je nach Wochentag 390 bzw. 490 Euro für zwei Personen hinblättern. Ihr könnt die Ausstellung natürlich auch tagsüber besuchen. Dann müsst ihr euch die Räumlichkeiten zwar mit anderen Besuchern teilen, könnt aber trotzdem in der pisswarmen Brühe entspannen und das Ganze ist auch noch gratis!