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Ich lebe eine Woche lang draussen am Escher-Wyss-Platz!

Unser Redakteur lebt eine Woche neben dem Tramdepot im Kreis 5. Seine grösste Sorgen ist die Insektenplage und sein Eventmasochismus wird selbstverständlich protokolliert.
Foto von Benjamin von Wyl

Heute regnet es! Und das ist ein Glück, denn ich hatte schon Panik wegen all den Viechern. Ja, ich hab mich bereit erklärt, eine Woche draussen am Escher-Wyss-Platz zu leben. Ich weiss, dass am Escher-Wyss-Platz die Trams spätnachts ins Depot fahren. Ich weiss, dass der Escher-Wyss-Platz auf der Ausgang-Heimwegsroute von vielen Leuten liegt. Aber ich konnte nicht (nicht! nicht!) wissen, dass ein Holzneubau am Limmatufer zum Place-To-Be für Brummviecher wird.

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Die doofen Dinger, die bei meinem letzten Besuch bei der Draussen-Baustelle in meiner Jackentasche bis Basel mitgereist sind, heissen laut Expertenmeinungen (Experten = Zürcher) wahlweise „Wipkinger Falter" oder „Limmatbrummer". Fakt ist: Sie sind widerlich. Fakt ist: Es hat Tausende davon. Fakt ist: Auch, wenn wir uns in ferner Zukunft an den Verzehr von Insektenfleisch gewöhnt haben werden, wird die Wipkinger Falter-Cervelat nicht die Wiediker-Wurst verdrängen. Jedenfalls: Ich hoffe, dass der Regen diese Brummviecher vertreibt.

Alles voller Brummiviecher; Foto von Eric Wyss

Die Insekten am Escher-Wyss-Platz sind zwar eine interessante Zusatzherausforderung, aber die Auseinandersetzung mit Insekten ist für mein Projekt eigentlich ein Nebenschauplatz (oder sollte es einer sein, wenn es nicht so verdammt viele wären), darum nochmals zurück auf Los und von Anfang an:

Vom 21. bis 26. Mai werde ich draussen auf dem Escher-Wyss-Platz leben. An der Rückwand der Pukapuka-Bar, die dort als Temporär-Bar und -Spielstätte vom Theater Neumarkt, Meier/Franz und ortreport gebaut wird. In dieser Woche ohne Dach erscheint dann an jedem Tag um 16:00 Uhr ein Erlebnis-Blog auf tsüri.ch, von wo man zudem die Sicht aufs Geschehen aus der Perspektive meines Laptops streamen kann.

Obwohl mich sonst die Hotline der Swisscom tödlich nervt, gilt an dieser Stelle mein persönlicher Dank derjenigen Person dort, die veranlasst hat, dass man mir nur für diese Woche mehr Handy-Bandbreite zur Verfügung stellt, damit das mit dem Streamen klappt. Und wenn ich schon dabei bin und um die Liebesgrüsse an einen Konzern auszugleichen: Katya von Greenpeace will mir ein Mückennetz vorbeibringen. Nach dieser Woche sammel ich dann noch meine restliche Energie/Lebenszeit, verdränge eine mögliche Mittelohren-Entzündung und Narben von den Zigarillos, die Betrunkene auf mir ausgedrückt haben werden und fasse alles nochmals fürVICE zusammen.

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Die Pukapuka-Bar wie sie gestern Abend aussah. Die Decke voll Moos ist ein nicht angekündigtes Souvenir von ganz draussen bzw. mir an das Aufbauteam.

Dieses Kurzzeit-Leben am Escher-Wyss-Platz ist eine selbstgewählte Zwangssituation, in der ich mich mit Zürich auseinandersetzen muss. Ich hatte ja meine Vorurteile gegenüber Zürich und die gibt es immer noch, obwohl ich mich mittlerweile ausführlicher mit der Materie auseinandergesetzt und Dinge gelernt habe (zum Beispiel, dass es an der Bahnhofstrasse nur eine Werbeagentur gibt—obwohl ich den SVP-Chefwerber Alexander Segert dann auch an der Bahnhofstrasse getroffen habe; irgendeine Faszination auf Werber übt diese Adresse schon aus). Zürich intensiv gab es für mich auch eine Nacht lang im 31er-Bus oder zehn Stunden am Stück im HIVE.

Die Auseinandersetzung mit der Stadt ist mir wichtig, da ich bald hierhinzieh. Und auseinandersetzen kann man sich am besten, wenn man sich Zeit lässt, also habe ich mir eine Woche frei genommen und gehöre ganz dem Escher-Wyss-Platz. Dort ist ein Einsiedler-Dasein mitten im Kreis 5 möglich. Natürlich ist dieses masochistische Event-Zürich gar noch nicht das echte Zürich. Und ich weiss auch, dass es ganz ein anderes Zürich gibt. Eines, das vielleicht etwas realer ist. Es erstreckt sich vom Flohmarkt auf dem Kanzleiareal bis zur China-Wiese—mit gefühlten 80 Starbucks-Filialen, die wir fürs idyllische Bild jetzt mal ausblenden—bis zu den Proto-Agglo-Wohnsiedlungen in Affoltern: Das ist Zürich. Und überall dort lebt wohl viel mehr, als in der Gegend um den Escher-Wyss-Platz.

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Nicht mehr viel Leben übrig: Gegen 5:00 Uhr im 31er-Bus; Foto von Yves Bachmann

Denn irgendwie ist der Escher-Wyss-Platz so sehr Einsiedler-Eremitage wie es in einem Stadtzentrum möglich ist. Hier leben nur Trams, deren Nachbarn sind die Autos, die Richtung Hardbrücke fahren. Statt Tamilenläden gibt es den Prime Tower, diverse Konzernzentralen und an der Geroldstrasse eine Art Europa-Park für Clubgänger. Zumindest in der kurzen Phase zwischen 5:00 Uhr und 7:00 Uhr, zwischen Ende des Ausgangs und Arbeitsbeginn der Business Consulter, gibt es um den Escher-Wyss-Platz kaum Leben—abgesehen von den Wipkinger Faltern und meiner Wenigkeit vor ein paar Wochen, als ich bis 4:00 Uhr im Exil tanzen war, auf dem Bürosofa geschlafen habe und um 7:00 Uhr von einem Architekten des Nachbarbüros geweckt wurde. Aber das war doch nicht so alltäglich.

Und ich denke schon, dass es in dieser Woche, in der ich dann die ganze Zeit draussen und da bin, sehr alltäglich, sprich langweilig, wird. Darum: Ich bin immer da. Komm mich besuchen. Vielleicht weil wir uns seit Jahren schon wieder mal sehen wollten. Oder weil du Till Rippmann bist und mir schon lange das Meditieren beibringen wolltest. Oder weil du mir Hass-Kommentare gerne mal mündlich überbringen wolltest. Oder weil du mir etwas Zoo-Feeling geben und mich mit Erdnüssen beschmeissen willst. Komm vorbei!

Neben mir gibt es noch sehr viel spannenderes in der PUKAPUKA-Bar am Escher-Wyss-Platz und was genau steht auf der Homepage des Theater Neumarkts. Das meiste ist aber in der Bar drinnen.

Benjs Erlebnisse draussen stehen dann auch auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland