Es liegt idyllisch in den Alpen, gebettet zwischen zwei Flüssen am Waldrand, eine gute Länge entfernt vom nächsten Wohngebiet: Das Sommercamp, wo ich in diesem Jahr bereits zum achten Mal als Leiter gearbeitet habe. Nachdem ich einst schon als Kind am selben Camp teilgenommen hatte, zog es mich Jahre später auf die andere Seite. Es drängte in mir, das Treiben aus den Augen des Opponenten kennenzulernen. Und wo sich 50 bis 60 Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren für zehn Tage zusammenfinden, ergibt sich ein Spannungsfeld, das prädestiniert ist für grundlegende Erkenntnisse über kindliches Tun. Die wichtigsten Erkenntnisse:
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Macht ist da, um gebraucht zu werden
Vertrauen ist da, um missbraucht zu werden
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Die Kinder schlafen üblicherweise in Mehrbettzimmern. Unfassbar, in welcher Zeit sich die dortige Luft zu einem olfaktorisch bedenklichen Klumpen verdicken kann. Ich bewundere die stoische Ignoranz, mit welcher Kinder Übelgerüchen begegnen können. Einmal musste ich ausrücken, da sich aus einem Bubenzimmer ein Geruch in unsere Leiternasen geschlichen hatte, der sich unverkennbar zur Gattung der Fäkalien zählen liess. Wir fanden kurz darauf im Abfalleimer wiederum eine Unterhose mit zünftigem Kackstrich.Als ich die Kleinen fragte, ob das niemand bemerkt habe, bekam ich die lapidare Antwort: "Doch, doch, die liegt schon lange da." Lerne also: Du fragst nicht nach dem Warum, fragst nicht: "Warum hat das niemand weitergeleitet?" Weil du mit der Antwort wohl nicht zufriedener sein würdest, als mit deiner eigenen: Kinder sind Kinder. Je früher du lernst, derartige Phänomene unreflektiert hinzunehmen, umso weniger Zeitverschwendung.Du willst neben den Qualen auch etwas Spass haben. Es wäre reizvoll, ein Stanford-Experiment mit Unmündigen durchzuspielen. Aber widerstehe dem Reiz, du weisst, wie es ausgehen wird. Auch die Hunger Games würden ihre Opfer haben, in dem Moment, in dem du jedem Kind eine andere Waffe in die Hand drückst—noch bevor der Startschuss zu hören wäre. Widerstehe dem Reiz, soziale Experimente durchzuführen. Du hast weder die Kompetenz, noch die rechtliche Absicherung. Warte einfach ab. Deine unwissenschaftliche Neugier wird schon ihr Brot bekommen.So oft du auch versucht hast, die Hausregeln eindeutig zu proklamieren, das Chaos wartet mit schelmischem Lächeln hinter einer Ecke. Entweder in Form von Zahnpastakunstwerken auf Badezimmerspiegeln. Oder wenn irgendwelche Alphas den Betas beim Abendessen vorgaukeln, der Pappbecher des Speiseeis sei essbar, und du kurz darauf Kotze mit Pappestückchen aufputzen musst. Jetzt kommst du zum Zug, füge dich deiner Rolle. Schick die Verdächtigen ins Leiterzimmer, dimme das Licht, ziehe zwei Sessel herbei und starte das FBI-Verhör. Das Schauen von zahlreichen Crime-Serien zahlt sich endlich aus.
Neugier ist da, um Grenzen kennenzulernen
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Du wirst gelegentlich selbst Zeuge kindlicher Neugier. Ich hörte an einem Abend, längst nach Nachtruhe, Flüstergeräusche, sah Licht unter einer Zimmertüre durchdringen, öffnete die Tür und blickte einem blanken Kinderhintern entgegen. Einige Kinder sassen im Lagerfeuerkreisstil um den Hintern und starrten auf seine Mitte. Niemand bemerkte mich. Ich, völlig perplex: "Was ist hier los?" Schock. Alle verkrochen sich in die Schlafsäcke, stellten sich schlafend. Irgendwann brach ich in Lachen aus. Sie krochen mit ihren Nasen unter den Schlafsäcken hervor. Ich konnte ein eigentlich unnötiges "Warum?" nicht zurückhalten und bekam tatsächlich eine logische Antwort: Weil sie wissen wollten, "wie das ausschaut, wenn es sich hinten öffnet und schliesst." Und nun ist es an dem Leiter das Urteil zu fassen, den Begriff "Normalität" vor den Kleinen festzulegen. Ich sage: Normalität ist relativ, Neugier ist normal.Hüte dich davor, deiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Unbedachte Bemerkungen wie "der Baumstumpf da hinten im Wald schaut aus wie ein untersetzte Frau" kann Konsequenzen haben, deren Folgen kolossal sein können. Denn in einem Camp-Heim im Alpengebiet, weit weg vom nächsten Wohngebiet, ist Grusel besonders den kleinen Kindern ein grosses Leid. Aber sie werden von den Abgründen ihrer Psyche selbst übertrumpft: Ihr Fantasievermögen spinnt unbewusst in radikaler Schnelligkeit neue Geschichten. Das Rad ist losgetreten. In Kürze wird aus dem Baumstumpf eine hühnenhafte Waldhexe, die Kinder frisst. Die Geschichte breitet sich aus wie stille Post.Nach einer halben Stunde kommt bereits die Jüngste der Kinderhorde zu dir, mit Tränen in ihren grossen, süssen Augen blickt sie zu dir hoch: "Ich habe Angst vor den Zombies mit den Motorsägen." Viel Spass dabei, vor dem Zubettgehen den Fantasieflächenbrand zu löschen, bevor das ganze Heim in Angst aufflammt.
Fantasie ist da, um schlafende Monster zu wecken
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Wenn Kinder Krieg spielen: Child Warriors of Donetsk
Erlösung ist da, um den Schmerz zu vermissen
Foto von Leslie Science & Nature Center | Flickr | CC BY-SA 2.0