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It's still real to me, damn it! Die Vice Wrestling-Kolumne

Wrestling und VICE - gut geölter Scheiß! Diesmal mit der ersten schwulen TV-Hochzeit ever.

Manche Dinge sind einfach vorbei. Zum Beispiel sagt heute im Fernsehen niemand mehr "Mannometer" oder "Affengeil", obwohl das verdammt schade ist und total gut zu euren katergeprüften, neonbunten Nickelodeon-Nachmittags-Sitcoms passen würde, von denen ihr nie zugeben würdet, dass ihr sie euch anseht, aber die in Wahrheit das einzige TV-Programm sind, das man nach der Afterhour an seine Augenstäbchen lassen kann, ohne sofort einer Gehirnblutung zu erliegen, ob euch das nun passt oder nicht (und wenn nicht solltet ihr wahrscheinlich die Drogen gegen Dildos tauschen, einfach mal schön zuhause bleiben und euch zur Abwechslung vom anderen Ende her mit Kicks versorgen, wenn ihr versteht, was ich meine).

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Außerdem wird im Fernsehen auch nicht mehr geraucht, es sei denn, in Nachrichtensendungen übers Rauchen, über Hautfarbe gesprochen und schon gar nicht die sexuelle Ausrichtung von Typen verarscht, denen sowieso die halbe Welt unterstellt, dass sie schwul sind (während die andere Hälfte es ganz einfach weiß). Das Ganze nennt sich "Political Correctness" und sollte inzwischen selbst im tiefsten Hinterland gesunkenes Kulturgut sein, was man ganz einfach daran erkennt, dass sogar die entlegenste vierzehnköpfige Grenzgemeinde einmal im Jahr einen stocknüchternen Informationsabend zu den "Wundern der Klitoris" im Pfarrhaus abhält, für den extra der transsexuelle Sprössling der örtlichen Wirtin aus der Großstadt eingeflogen wird, um zu erzählen, wie er die weibliche Anatomie verstehen gelernt  und warum Alltagsdiskriminierung auf direktem Wege zum Bau heutiger Großraumdiskos geführt hat.

In dieser Welt der Relative tut sich ein Spaßspektakel wie Wrestling mit seinen Absoluten naturgemäß ein bisschen schwer. Und vermutlich ist das auch der Grund, warum die WWE im Jahr 2002 eine Art schizophrenes Schwulentheater zwischen Akzeptanz und Abscheu auf die quadratische Bühne gebracht hat – und damit auch (fast) die erste (gefakete) Homohochzeit der Fernsehgeschichte. Hier kommt der zweite Beitrag zum Thema Die Auferstehung des Schwulen im Wrestling, diesmal in drei Akten.

ERSTER AKT: DIE CHARAKTERE

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Zum Inhalt muss ich diesmal wohl nicht sonderlich viel sagen, weil die beiden Videos unten eigentlich recht selbsterklärend sind. Oder auch nicht – schließlich kann man bei all der Gratwanderung zwischen Homo- und Hetero-Sphäre schon mal durcheinander kommen und sich wie eine Matroschka-Puppe fühlen, nur dass statt russischen Kartoffelgesichtern sexuelle Ausrichtungen ineinander verschachtelt sind und man am Ende einen winzigen Stummel der Unsicherheit in Händen hält, der genau aussieht wie die plastisch zusammengeschnipselte Klitoris unseres fiktiven transsexuellen Bäcker-Sprösslings aus dem Grenzkaff.

Aber egal, da müsst ihr jetzt durch. Ich habe 2002 auch nicht schlecht über das nachfolgende Hochzeitssegment gestaunt (es war damals eine ganz andere Welt) und genaugenommen bin ich mir bis heute nicht sicher, ob ich wirklich kapiert habe, wer hier eigentlich auf welcher Seite steht (und warum hast du überhaupt eine Maske auf?). Wo ich euch aber zumindest ein bisschen weiterhelfen kann, ist in bezug auf die Figuren, die das Schmierentheater miteinander aufführen, also tu ich das jetzt ganz einfach mal:

Chuck Palumbo …………………….. Chuck ist ein mächtiger Lackel und wenn ihr letzte Woche mitgelesen habt, versteht ihr es wohl auch, wenn ich sage: Chuck ist sowas wie ein inverser Adrian Adonis, weil er zuerst Boytoy und danach Biker war. Lustigerweise ist ausgerechnet sein Name nicht erfunden, obwohl Wrestler sonst fast immer unter falscher Flagge wrestlen. Seid also vorsichtig, wenn ihr das nächste Mal über einen Bühnennamen scherzt. Man weiß nie, wer einem vom Pissoir nebenan zuhört.

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"Badass" Billy Gunn ………………. Billy Gunn hatte in seiner Laufbahn viele Gesichter und genau wie bei Harrison Ford hatten sie alle denselben Grinser. Wichtiger als seine Unfähigkeit zu multimodaler Mimik ist aber, dass Billy Gunn früher als eine Hälfte der Smoking Gunns zu den ganz Großen der Neunzigerjahre-Tag Teams zählte, was diese Phase in seinem Lebenslauf umso merkwürdiger aussehen lässt.

Rico Constantino …………………… Rico war der persönliche Stylist und insgeheimer Puppenspieler des Pärchens, konnte Pirouetten drehen wie eine Schwanenprinzessin und hatte zu jedem Zeitpunkt die schönsten Koteletten seit dem Niedergang der österreich-ungarischen Monarchie (übrigens eine gewaltige historische Irrung, deren Ungerechtigkeit meiner Meinung nach heute viel zu wenig Beachtung findet).

Stephanie McMahon ……………… Wie der versierte Wrestlologe bereits am Nachnamen erkennt, ist Beisteherin Stephanie aufs Engste mit der Herrscherdynastie verbandelt und so etwas wie das reine Gewissen oder die gute Fee oder der Spiegel der Rechtschaffenen in der ganzen Geschichte. Achtet einfach ein bisschen auf die Tochter des Bosses, wenn später dann die Scheiße hochgeht, und ihr werdet sehen, was ich meine.

The Godfather ……………………….. Dieser Pate ist eigentlich ein Pimp, aber wie sowohl seine Dezenz bei der Berufsbezeichnung als auch seine Eleganz beim Einzug zu den stilvollen Melodie von "Pimping ain't easy" verrät, ist er definitiv keiner von der billigen Sorte, was für seine "Good Time Girls" dasselbe bedeutet, wie der Unterschied zwischen Friseur und Coiffeur – nämlich zirka ein Hunni mehr pro Stunde. Vor seiner Zeit als The Godfather hieß der Typ übrigens Papa Shango, war Voodoo-Priester und ließ den Ultimate Warrior giftgrünen Schaum spucken. Good times, great memories.

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ZWEITER AKT: DIE ZEREMONIE

Genau ein Jahr und einen Tag nach 9/11 (never forget Thomas Anders und so) war es dann soweit: Die erste schwule Hochzeit der Fernsehgeschichte sollte in einem Wrestling-Ring abgehalten werden. Mehr oder weniger. Mehr sag ich gar nicht, seht selbst:

Vielleicht sollte man noch dazu sagen, dass Chuck und Billy hier nicht (ausschließlich) für ihre Ausrichtung ausgebuht werden, aber wenn ich jetzt sage, dass das schon Sinn macht, weil sie nun mal auch noch die Bösen sind, setze ich mich wohl nur noch mehr in die Nesseln, weshalb ich lieber den Zeigefinger an die gespitzten Lippen lege und so tue, als würde mich das alles nur zoologisch interessieren. Oh Gott, habe ich das gerade geschrieben? Das bezieht sich natürlich nicht auf … okay, wisst ihr was, glaubt einfach, was ihr wollt.

DRITTER AKT: DER CLUSTERFUCK

Hier beginnt es allmählich, ein bisschen seltsam zu werden. Bevor ihr jetzt also eure Heten-Hatemail abschickt oder eure Homo-Hasstirade an mich verfasst, seht euch doch noch schnell den zweiten Teil der Hochzeit an und dann sagt mir, was man davon halten soll und was das alles über die Wrestling-Welt und das Universum und Billy Gunns bösen Arsch aussagt:

Chuck und Billy sind also zuerst unbeliebt und schwul, bekommen dann aber eine Abreibung, als sich herausstellt, dass sie doch hetero sind und werden am Ende dafür gehasst, dass sie die Welt an der Nase – beziehungsweise die Schwulenwelt ganz speziell an der Eichel – herumgeführt haben. Dass auch die einzige Frau in der Runde ihr Fett weg bekommt (ganz anti-bulimisch gesprochen), soll wahrscheinlich untermalen, wie egalitär man in der WWE der Jahrhundertwende generell auf alle Normen scheißt, ohne irgendwen vergraulen zu wollen.

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Nachdem der Ring dann gestürmt, die Hochzeitsdeko verwüstet und der Feenstaub endlich zur Ruhe gekommen ist, bleiben eigentlich nur noch mehr Fragen. Wie zum Beispiel, was es in einer christlichen Gesellschaft mit all dem Schwulenhass auf sich hat, wo man doch mehrheitlich einem Gott huldigt, der uns nach seinem Ebenbild erschaffen hat und uns angeblich trotzdem liebt, was ihn nicht zwangsweise als homosexuell, aber zumindest stark autoerotisch ausweist, aber gut, so genau sollte man es wohl nicht nehmen.

Jedenfalls finde ich die Vorstellung amüsant, dass Gott an sich selbst rumspielt und uns Ketzer am anderen Ende des Regenbogens nicht mit einem Goldtopf belohnt, sondern stattdessen mit einer Golden Shower bestraft, weil wir uns nicht ausreichend selbst befingert und anal befriedigt haben. Und als erste werden wohl Chuck und Billy geduscht. Aber egal, wie zwiespältig die Botschaft ihrer Pseudo-Liaison auch sein mag, die erste Homo-TV-Hochzeit wird man trotzdem immer mit Wrestling verbinden. Oder erinnert sich von euch irgendwer daran, dass der erste TV-Kuss zwischen Kirk und Ohura nur passiert ist, weil ein böses Überwesen sie dazu gezwungen hat? Eben. Lange leben die Legenden. Mahalo!

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