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Eine Ex-MI5-Agentin erklärt, was wir gegen die NSA machen können

Annie Machon ist Ex-MI5-Agentin und Whistleblowerin. Sie hat uns erzählt, wie es sich anfühlt, vor Geheimdiensten und Behörden auf der Flucht zu sein und dass Geheimdienste keine Rücksicht auf Gesetze nehmen.

Wie genau die Zusammenarbeit von NSA und der österreichischen Regierung ausgesehen hat, weiß niemand so genau. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) hat zumindest eine "fallweise" Zusammenarbeit eingeräumt. Währenddessen wurde in Deutschland die Diskussion durch ein No-Spy-Abkommen, das bald unterschrieben werden soll, beendet.

Aber Edward Snowdens neueste Enthüllungen zeigen uns, dass sich die NSA nicht um Abkommen und Gesetze schert und massenhaft Bürgerrechte verletzt hat.

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Wir haben Annie Machon getroffen—Whistleblowerin und Ex-Agentin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5. Sie hat uns erklärt, weshalb wir der NSA nicht vertrauen sollten, wie es sich anfühlt, vor Geheimdiensten und Behörden auf der Flucht zu sein, und warum es falsch wäre, nicht mehr über die Machenschaften der NSA zu sprechen. Stattdessen fordert sie eine öffentliche Grundsatzdebatte über den Sinn von Geheimdiensten und ihren Befugnissen. Machon stieg 1997 zusammen mit ihrem damaligen Freund aus dem Geheimdienst MI5 aus und beide begannen, die Öffentlichkeit über Fehler des MI5 aufzuklären. Sie veröffentlichten unter anderem Informationen zu illegalen Abhörmaßnahmen, IRA-Bomben, die hätten entschärft werden können, und der versuchten Ermordung Gaddafis, bei der Zivilisten ums Leben kamen. VICE: Warum hast du dich dazu entschieden, geheime Informationen des MI5 zu veröffentlichen und Whistleblowerin zu werden?
Annie Machon: Ich bin 1990 vom MI5 rekrutiert worden. Damals wurde eine neue Generation von Geheimdienstmitarbeitern ausgebildet. Der Kalte Krieg war so gut wie vorbei und das neue Ziel war die Terrorismusbekämpfung. Dazu gab es eine ganze Reihe von neuen Gesetzen, die die Geheimdienstarbeit transparenter machen sollten. Das haben sie mir zumindest so erzählt, als ich rekrutiert wurde. Leider war das nicht ganz so. Wir wurden zum Beispiel auf politische Aktivisten angesetzt, und die geplante Neuausrichtung zur Terrorismusbekämpfung vollzog sich viel zu schleppend. Die Arbeitsmethoden waren noch die gleichen wie im Kalten Krieg. Das ist zu einem großen Problem geworden, denn es gab zu diesem Zeitpunkt schon Terrorgruppen, die ganz anders agierten, als wir das gewohnt waren. Dann sind viele Dinge schiefgelaufen; Bomben sind explodiert und Terroranschläge geglückt, die wir hätten verhindern können. 1996 hat der MI5 dann versucht, Gaddafi in Libyen zu ermorden, wobei unschuldige Menschen ums Leben gekommen sind. Eine ganze Reihe von Sachen wurde allmählich immer schlimmer, deswegen haben wir uns entschlossen, aufzuhören und an die Öffentlichkeit zu gehen.
 
Was ist dann passiert? Musstet ihr fliehen, so wie jetzt Snowden?
Es war interessant für mich, den Snowden-Fall zu verfolgen, weil er der einzige andere Whistleblower ist, der vorsorglich abgehauen ist, bevor er den Medien Informationen zugespielt hat. 1997 haben wir das genauso gemacht. Einen Monat lang sind wir quer durch Europa geflüchtet. Danach bin ich zurück nach Großbritannien gegangen, wurde verhaftet und verhört, aber nie angeklagt und nie verurteilt.

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Mein damaliger Freund David allerdings hat drei Jahre in Frankreich im Exil verbracht und war davon vier Monate im Gefängnis, als er nach Großbritannien abgeschoben werden sollte. Der Versuch ist jedoch gescheitert und er ist danach freiwillig zurück nach Großbritannien gegangen. Dort wurde er verhaftet und wegen des Verstoßes gegen den Secret-Service-Act verurteilt. Ich bin zu dieser Zeit zwischen Paris und London hin und her gereist, um mit Anwälten zu sprechen und auf den Inhalt unserer Veröffentlichungen aufmerksam zu machen.

 
Wie hast du dich damals gefühlt? Hattest du Angst, dass dir irgendetwas angetan werden könnte?
Absolut. Ich denke, dass viele Whistleblower darauf spekulieren, dass öffentliche Aufmerksamkeit dich schützen kann. Wenn du im Fokus der Medien stehst, ist es weniger wahrscheinlich, dass du irgendeinen unerklärlichen Autounfall hast.  Kritiker sagen, dass die Veröffentlichungen am Ende nichts bringen würden, da die NSA ihr Programm Prism einfach fortführe. Lohnt es sich für Whistleblower wie Snowden, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Was Snowden erreicht hat, ist, eine Debatte darüber ins Rollen zu bringen. Dadurch, dass er die Dimensionen der weltweiten Überwachungsgesellschaft öffentlich gemacht hat, können wir diese Debatte auf einer ganz anderen Ebene führen. Viele Sicherheitsexperten haben schon vor den Enthüllungen gesehen, dass potenziell eine Menge Überwachung stattfindet. Aber ohne den Beweis dafür war es schwer, das an die Öffentlichkeit zu tragen. Snowden hat Beweise dafür geliefert, dass es diese Überwachung wirklich gibt. Leute, die jetzt darüber sprechen wollen, sind viel glaubwürdiger.

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Obama und auch Bundesinnenminister Friedrich haben sich in diese Debatte eingemischt und behaupten, dass wir Programme wie Prism brauchen, da sie schon Terroranschläge verhindert hätten.
Ich glaube nicht, dass das korrekt ist. Ich glaube, dass sie uns bewusst fehlleiten. Als in Großbritannien schärfere Gesetze dazu verabschiedet werden sollten, wie lange man Terrorverdächtige festhalten darf, hat der Chef der städtischen Polizei einfach gelogen und die Zahl der Fahndungserfolge, die durch diese Methode erzielt wurden, verdoppelt. Er musste sich später dafür entschuldigen.
 
Das Problem ist, dass niemand mal einen Gang zurückschaltet und fragt, was denn eigentlich eine realistische Bedrohung für die nationale Sicherheit ist und was eine angemessene Reaktion darauf wäre.
 
Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass man Informationen zu den Anschlägen vom 11. September bereits weit vor den Anschlägen hatte, aber niemand hat sich darum gekümmert. Die Informationen wurden nicht an die richtigen Stellen weitergegeben. Der 11. September war ein riesiges Geheimdienstdebakel. Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits alle notwenigen Mittel, um die Verantwortlichen zu identifizieren und aufzuspüren, aber die Informationen wurden niemandem mitgeteilt.

Alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen und alle auszuspionieren, um noch mehr Informationen zu sammeln, ist einfach keine angemessene Reaktion auf das Problem. Außerdem können diese Programme auch für andere Sachen benutzt werden. Zum Beispiel, um Leute auszuspionieren, die nicht damit einverstanden sind, was unsere Regierungen machen. Wir bewegen uns im Moment auf eine Ära zu, in der Dissidenten gezielt abgehört werden und in der Terrorismus nur noch als Entschuldigung dafür dient.
 
Also mehr Informationen zu sammeln, bedeutet nicht gleichzeitig mehr Sicherheit?
Kein Terrorist mit ein bisschen Selbstrespekt wird doch jetzt noch offen über das Internet oder das Telefon kommunizieren. Die bereiten sich jetzt schon verstärkt darauf vor, ihre Privatsphäre zu schützen und vermeiden jede Form der elektronischen Kommunikation. Die einzigen Menschen, die von solchen Programmen aufgegabelt werden, sind Leute, die denken, dass sie wirklich nichts zu verbergen hätten.
  
Würdest du sagen, dass Prism einfach eine riesige Überwachungs-Überreaktion ist?
Ja es ist eine massive Überreaktion. Wenn du als Geheimdienstmitarbeiter versuchst, Informationen über ein bestimmtes Ziel zu bekommen, benutzt man idealer Weise Informationen, die direkt von Menschen stammen. Du hast am besten Agenten direkt vor Ort, oder eingeschleust in einer Gruppe, die dir Informationen geben. Dadurch bekommt man genaue Informationen. Prism allerdings ist ein riesengroßes Big-Brother-Panoptikum, das unsere demokratischen Werte untergräbt.
 
Während des IRA-Terrorismus sind viele Bomben in Großbritannien explodiert, das hat aber nicht dazu geführt, dass wir unsere Freiheiten aufgeben mussten. In einer wirklich freien Gesellschaft muss die Antwort auf den Terrorismus proportional zur eigentlichen Gefahr sein. Wir wollen ein bestimmtes Maß an Freiheit in dieser Gesellschaft und wir sind bereit, ein bestimmtes Risiko dafür einzugehen.

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Glaubst du Geheimdienste interessieren sich für die Gesetzeslage?
Sie müssen es natürlich und sie reden viel darüber, aber eigentlich bezweifele ich das. Gerade die USA haben gezeigt, dass sie denken, dass sie machen können, was sie wollen. Geheimdienste beteuern immer wieder, dass wir ihnen einfach vertrauen müssen, weil es ja diese Bedrohungen gibt. Doch wir erwischen sie immer wieder dabei, wie sie unser Vertrauen missbrauchen. Dann stellt sich natürlich die Frage: Wie sollen wir damit umgehen?
 
Also sollten wir die Geheimdienste abschaffen, weil wir sie nicht kontrollieren können?
Das ist eine interessante Frage. Und ich glaube ja. Das Problem ist, dass Terrorismus nicht so eine existenzielle Gefahr für unsere nationale Sicherheit ist, wie das behauptet wird. Nur wird das nie aufhören und es wird neue Bedrohungen für die nationale Sicherheit geben. Die werden immer Arbeit für die Jungs finden. So lange wir als Gesellschaft keine tiefgreifende Debatte darüber führen, was die eigentlichen Bedrohungen sind, denen wir heute begegnen, wird sich der Eindruck verschärfen, dass es diese Bedrohungen schon immer gab und dass es sie immer geben wird. Aber das ist nicht der Fall. 
 
Brauchen wir also mehr Whistleblower?
Ja, das würde ich immer unterstützen und es ist ganz wichtig, dass Whistleblower dadurch, dass sie an die Öffentlichkeit gehen, nicht komplett zerstört werden. Wenn Snowden überleben kann, ist das eine Inspiration für andere potenzielle Whistleblower.

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