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Ich wurde für eine Amokläuferin gehalten

Als Goth lief Gina Tron in ihrer Kleinstadt rum und malte Comics, in denen ihre Mitschüler elendig umkamen.

Inzwischen ist der Amoklauf in der Grundschule im US-Bundestaat Connecticut, bei dem 27 Menschen ums Leben kamen, fast in Vergessenheit geraten. Neue Nachrichten haben das schreckliche Ereignis bereits überschattet. Aber mir steckt es immer noch in den Gliedern. Nicht nur weil es so grauenvoll war, sondern weil es ganz andere Emotionen in mir hervorruft: Ich wurde nämlich als Teenager auch für ein Amokläufer gehalten. 

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Ich bin in einem kleinen Ort namens Barre im Bundestaat Vermont aufgewachsen. Das ist ein verarmter, kleiner und hässlicher Ort, mit halbfertigen und kaputten Häusern und vielen leerstehenden Geschäften.

Ich war ein exzentrisches Kind. Entweder war ich ganz still und und sprach nie, oder genau das Gegenteil, und sprang hyperaktiv in der Gegend herum. Außerdem hatte ich einen schwarzen Humor und liebte skurrile Outfits. Ich hab immer versucht, meine ungewöhnlichen Charakterzüge zu verstecken, um in der Schule nicht so aufzufallen. Aber es half nichts, und ich wurde von meinen Mitschülern erbarmungslos schikaniert.

Im Sommer 1997, kurz vor meinem zweiten High-School-Jahr, kam ich zu der Erkenntnis, dass ich mich, egal wie ich mich auch anstelle, nie in das bestehende soziale Umfeld eingliedern werde. Ich war noch immer schüchtern und verschlossen und drückte meine Rebellion statt durch Worte durch meine Klamotten aus—exzessives Augen-Make-up, Hundehalsband, T-Shirts mit provozierenden Prints—also das ganze Avantgarde-Programm.

Damals war ich die einzige, die auf Gothic stand, und fiel ziemlich auf; ich war das verrückteste Mädchen der Stadt. Wie zu erwarten war, eskalierten die Schikanen—ich wurde regelmäßig verbal und physisch angegriffen, bekam mindestens einmal im Monat Todesdrohungen. Auch die Lehrer versuchten nicht mal, mich zu verteidigen.

Eine weitere Art, meine Rebellion auszudrücken, bestand aus einem Buch mit Illustrationen, Reimen und Kurzgeschichten, das ich angelegt hatte—als ich 15 war, hatte ich bereits eine Sammlung mit allerlei Auszeichnungen, die meinen Frust und allerlei Albernheiten ausdrückten. Ach ja, ich habe darin auch ein paar Leute umgebracht. Mitschüler, die ich kannte und böse fand. Ich habe falsche Namen benutzt und ihren Tod karikaturistisch-detailliert beschrieben; die meisten von ihnen wurden durch eine Discokugel im Elks Club umgebracht. So habe ich es beschrieben:

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„Nuffiunda nahm ein Messer aus ihrer Tasche und durchschnitt das Seil. Für die Kinder unten gab es keine Hoffnung mehr. Die Diskokugel schwang beunruhigend, und innerhalb von wenigen Sekunden löste sie sich und fiel auf die Tanzfläche. Ein lautes Krachen ließ den Raum vibrieren. Ein Krachen, das mehreren Kindern zum Verhängnis wurde.“

Mit der Zeit zog ich es vor, mich mehr und mehr in die Welt des Schreibens zu flüchten.

Eines Tages nahm mein Leben dann einen unerwarteten Verlauf. Es war nur 11 Tage nach dem Amoklauf in Colorade an der Columbine High School am 20. April 1999.

Der Tag fing recht normal an: Meine einzige Freundin und ich saßen auf den Stufen der Schule und warteten darauf, abgeholt zu werden. Genau vor uns war das Auto einer unserer Peiniger an der Schule geparkt. Meine Freundin wies mich an, Schmiere zu stehen, während sie eine gemeine Nachricht schrieb und sie an die Windschutzscheibe klebte—die Notiz enthielt unter anderem die Wörter „fett“ und „Hure“.

Ich dachte nicht im Entferntesten daran, dass wir Probleme kriegen würden. Als wir im Auto saßen, hörte ich Berichte über eine Welle Trittbrettfahrer, die Amokläufe planten. Ich sagte nur „Fuck“—es haben uns sicher lauter andere Schüler dabei beobachten können, wie wir die Notiz an der Windschutzscheibe befestigt haben.

Und natürlich wurde die Polizei gerufen, und die Schulaufsicht wollten mit mir sprechen. Sie waren jedoch nicht an der Notiz interessiert, an der ich zugegebenermaßen beteiligt war, sondern sie wollten nur meinen „Mordplan“ sehen. Anscheinend hatte man ihnen von meinen Buch erzählt, in dem ich beschreibe, wie ich Schüler beim bevorstehenden Abschlussball töten wolle. Der Ball sollte zufällig auch noch ausgerechnet im Elks Club statt finden. Wie in meiner Geschichte.

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Zu allem Unglück hatte ich auch wirklich Zugang zu Waffen. Das war allerdings nichts Ungewöhnliches. Alle in unserem Dorf könnten sich einfach Waffen besorgen, weil fast jeder Einwohner welche zu Hause hat. Aber in meinem Zuhause gab es noch nicht mal Waffen und im Übrigen interessierten die mich auch überhaupt nicht.

Innerhalb weniger Tage machten Gerüchte die Runde, dass ich einen Amoklauf geplant hatte. Diese Gerüchte schafften es sogar in die Lokalzeitungen. Weil ich noch minderjährig war, wurde mein Name nicht genannt, aber es war ständig die Rede von „einem Mädchen, das eine Kurzgeschichte übers Töten geschrieben hat."

Am selben Tag eröffnete CBS seine Abendnachrichten mit einer Montage von meiner High School und dem Elks Club mit Bildern von Jugendlichen, die schreiend aus der Columbine High School gelaufen kamen. Der Nachrichtensprecher begann so: „Der Abschlussball wird diesen Samstagabend unter Polizeischutz stehen. Es gibt Gerüchte über eine mögliche Schießerei. Die Verantwortlichen sind alarmiert."

Niemand kontaktierte mich direkt. Stattdessen befragten sie wahllos Schüler, die draußen herumstanden und rauchten. Obwohl die Medien in unserem kleinen Ort so eine Aufregung verbreiteten, sagten die meisten zu den Journalisten, dass das nichts weiter als Gerüchte sind.

Es machte schnell die Runde, dass ich die angebliche Mörderin war. Sogar meine Eltern wurden bei der Arbeit auf mich angesprochen. Alle zeigten offen ihren Hass und ihre Angst vor mir. Wenn ich die Schule betrat, teilte sich die Menge, die Leute hörten auf zu reden und es wurde ganz still. Mitschüler wechselten den Kurs, weil sie Angst hatten, sie würden auf meiner Todesliste stehen. Mein Haus wurde mit Eiern beworfen und in der Schulmensa bewarfen mich die anderen mit Fritten und Limo.

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Ich war erst 16 und wurde von der Schulleitung stundenlang verhört. Sie wollten alles über mein Todesbuch wissen.

Sie teilten mir außerdem mit, dass ich emotionale Probleme hätte. Ich musste zweimal die Woche eine Sitzung bei dem Schulpsychologen absolvieren. Ich hasste ihn. Er war schmierig und herablassend. Ich war es leid, von allen schikaniert zu werden, aber er fand ihre Reaktionen normal—sie würden ja nur Dampf ablassen. Auch sagte er, dass ich übertreibe und es gar nicht so schlimm sei, wie ich behaupte. Als ich nach der Sitzung einmal sein Büro verließ, brüllten mir zwei Schüler „Psycho“ ins Gesicht. Der Psychologe stand direkt neben mir, sagte aber nichts.

Von einer anderen Therapeutin bekam ich ein Antidepressivum, Luvox, verschrieben. Ich sagte ihr, dass ich eigentlich eine positiv denkende Person sei. Sie blickte aber nur auf meine schwarz lackierten Fingernägel und sagte dann, dass sie ganz sicher wäre, dass ich mit Depressionen zu kämpfen hätte. Auf Luvox reagierte ich gar nicht gut: Ich konnte nachts nicht mehr schlafen und bekam Halluzinationen. Wir wechselten zu Prozac und, weil es nicht besser wurde, zu Zoloft. Bis heute glaube ich nicht, dass ich depressiv war—vielleicht hatte ich Angstzustände, aber die Medikamente haben alles nur schlimmer gemacht. Ich entwickelte Zwänge und fühlte mich immer schwächer auf den Beinen.

Ich wurde immer einsamer. Freunde und Nachbarn hatten früher den Urlaub mit uns verbracht. Jetzt wandten sie sich von uns ab.

Als ich dann endlich ins College kam, wurde ich so langsam von anderen akzeptiert. Ich weiß nun, wie sich diese traurige Berühmtheit anfühlt, wenn du wirklich böse Dinge getan hast. Es ist erschreckend, aber vielleicht treibt das auch die richtigen Amokschützen an.