FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Die Fantasierepublik Molossia

Ich fahre an einen Ort den es nicht gibt. Das mache ich, weil mir der Präsident Molossias eine Email geschrieben hat, in der er mich in das einzige Land einlädt, dass seit 1983 noch immer in einem internationalen Konflikt mit der DDR verwickelt ist.

Ich fahre an einen Ort, den es nicht gibt. Das mache ich, weil mir der Präsident Molossias eine Email geschrieben hat. Er hatte etwas gesehen, dass ich über seine kleine Nation geschrieben habe und lud mich deswegen zu einem Besuch ein. „Ich würde Sie gerne in Molossia herumführen und Ihnen die Sehenswürdigkeiten zeigen; es wäre mir eine Ehre“, schrieb er. „Ich hoffe Sie überdenken meine Einladung wohlwollend und kommen um unsere großartige Nation zu sehen! Mit freundlichen Grüßen, Seine Exzellenz Präsident Kevin Baugh, Republik Molossia.“ „Ist er verrückt?“ haben mich meine Freunde gefragt, aber bisher weiß ich die Antwort noch nicht. An einem Freitag im September fange ich die lange Fahrt von Berkley durch die Sierra Nevadas an. Ich umfahre das Nordende des Lake Tahoe und gerate in den Feiertagsverkehr nach Reno. Dort schlafe ich eine Nacht in einem Casino. Am nächsten Tag fahre ich durch Virgin City, Nevada, eine alte Goldgräberstadt, unter der eine Silberader liegt und wo Mark Twain seine Karriere als Schriftsteller begann. Von dort ist Molossia nur einen Katzensprung in die Wüste entfernt. Ich sehe das Zeichen:

Anzeige

Seine Exzellenz Kevin Baugh, Präsident von Molossia, kommt verkleidet, wie ein spanischer Heerführer aus einem Haus heraus: Er trägt eine dreifarbige Schärpe mit den Farben der molassischen Nationalflagge, die durch eine goldene Schulterklappe läuft. Unter einem Hut bedeckt eine Sonnenbrille im Kim Jong Il-Style, die Hälfte seines Gesichts. Er begrüßt mich enthusiastisch und reißt mir beim Händeschütteln fast die Hand ab, als wäre ich irgendein lang erwarteter Diplomat. Ich werde ermutigt die Zollgebühren zu bezahlen: Mein Kleingeld. Ich stecke es in eine Blechdose, an der Tür des Zollhäusschens. Ein Schild informiert mich darüber, dass eine Menge Sachen in der Republik Molossia verboten sind. Darunter: Schusswaffen, Munition, Sprengstoff, Welse, Spinat, Missionare und Verkäufer, Zwiebeln, Walrösser und alles was aus Texas kommt, ausgenommen Kelly Clarkson.

Ich besichtige das „Land“—es gibt eine molossische Miniatureisenbahn, Nationalparks, Schlachtfelder und Friedhöfe. Der Präsident geht von Ort zu Ort und erzählt mir von Molossias verschiedenen Konflikten: Dem toten Hunde-Krieg, dem Krieg mit Mustachistan. Ich nehme am molossischen Weltraumprogramm teil, indem ich ein Spielzeug in die Luft schieße und erhalte zusammen mit einem Zertifikat den Titel Weltraumfähnrich.

Nach der Tour stempelt Präsident Baugh meinen Pass und gibt mir molossisches Geld, Papierschnipsel die auf Pokerchips geklebt wurden, als Geschenk. Ich inspiziere einer der Münzen: Zehn Valora, die molossische Währung, auf der Kaiser Norton I. abgebildet ist. Wer passt besser auf diese Währung, als der exzentrische Bürger San Franciscos, der sich im 19. Jahrhunderts zum „Kaiser der Vereinigten Staaten und Beschützer Mexicos“ ausrief und bis zu seinem Tod von den Leuten der Stadt belächelt wurde? Ist er nicht gerade der Präsident Molossias, ist Kevin Baugh pensionierter Feldwebel erster Klasse der US Armee, der in der Human Ressources Abteilung der Nationalgarde von Nevada arbeitet. Man könnte meinen, sich zum obersten Herrscher einer souveränen Nation zu ernennen, könnte Probleme für seine Militärkarriere bedeuten, aber Molassias Spielstatus hält es von der Bildfläche der US Regierung fern. Wenn Besucher vorbeikommen, taucht er prahlend in voller Montur auf, aber mit einem netten und tiefsinnigen Wesen. Als er noch ein Jugendlicher war, sah Präsident Baugh—damals nur Kevin—"die Maus, die Brüllte". Zu dieser Zeit lebte er und ein Freund James in Portland, Oregon. „Die Vorstellung begeisterte uns wirklich“, erzählt er. „Ein kleines Land greift mit der Erwartung zu verlieren die USA an—aber gewinnt. Wir dachten, dass es eine coole Idee wäre.“ Molossia entstand ursprünglich als die Großartige Republik von Vuldstein. James wurde der König, Baugh Premierminister. James verlor das Interesse an dem Projekt und die Besitztümer des Landes vielen an Baugh. Die Großartige Republik von Vuldstein reiste mit seinem einzigen Bürger umher. Erst in den 90ern fand er das Land in Nevada ein Zuhause und nahm seinen heutigen Namen an.

Anzeige

In den letzten Jahren hat sich viel in Molossia verändert. Es hat viele neue Attraktion dazubekommen: einen Handelsposten, ein Restaurant, das Büro des Präsidenten. In Molossia geht es nicht um Geld—aus dem Unterfangen kann wenig, bis kein Geld gewonnen werden—und es geht auch nicht um Macht. Es geht nicht um Wahnvorstellungen a la Kaiser Norton, obwohl man es Baugh für eine Weile abkaufen könnte. Mit seinen Kostümen und Charakteren und den Interaktionen von realen Elementen, als auch ausgedachten Konstrukten, wirkt es wie ein LARP, für den Geist des Internets geschaffen, obwohl Molossia älter ist. Beispielsweise liegt das Land seit 1983, als Kevin Bough noch in der Armee diente, in einem internationalen Konflikt mit der DDR. Jahre nachdem die DDR gefallen ist, gibt es Baugh zufolge immer noch ein Stück, dass davon übrig geblieben ist—die Ernst Thälmann Insel, vor der Küste Cubas. Fidel Castro verschenkte die Insel 1972 an die DDR und sie wurde in keiner der Vereinbarungen nach dem kalten Krieg erwähnt. In jüngerer Vergangenheit fielen der Webserien Star/Komiker Doug Walker und sein Freunde in Molossia ein, übernahmen das Land und benannten es in Kickassia um. Am Ende wurde es wieder an seine rechtmäßigen Herrscher zurückgegeben.

Molossia existiert. Es ist zu gleichen Teilen Parodie und Spiel, Geschichtenerzählung und Erfindung. Es ist nicht erfunden wie der unsichtbare Freund eines Kindes, es ist erfunden aus der Einbildung heraus. Es ist kein Ort für Separatisten, Zyniker oder Verschwörungstheoretiker. Vielleicht—nur vielleicht—ist es ein Land für den Rest von uns. Ich frage den Präsidenten was Molossia sei. Ich versuche die Frage so zu formulieren, dass sie nicht beleidigend oder abwertend ist. Ich versuche mich zu rechtfertigen. Sieht er sich selber als ein Charakter wie Stephen Colbert, der dauernd versucht an die Grenzen von Karikatur und Realität zu stoßen? Aktionskunst? Ist es nur ein Hobby? „Es ist eine Erweiterung meiner selbst“, erklärt er. „Es ist kein Hobby, es ist eine Leidenschaft.“ Aber wieso eine Mikronation? „Es ist ein Ausdruck persönlicher Souveränität, Kreativität, Phantasie und politischer Satire“, erklärt er schließlich. „Es es ist eine nette Art sich die Welt anzuschauen. Du siehst was andere Länder machen und sagst, ,Das kann ich auch.‘“