So klang elektronische Underground-Musik in der DDR

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So klang elektronische Underground-Musik in der DDR

Ein neuer Sampler beleuchtet ostdeutsche Elektro-Musik der 80er, aber was kann diese dir heute überhaupt noch sagen? Eine Erkundung.

Westdeutsche und insbesondere Westberliner Underground-Elektro-Kultur der 80er ist mittlerweile umfangreich dokumentiert. Gerade in den letzten Jahren erschien eine Vielzahl von Büchern, Samplern und Wiederveröffentlichungen. Wenn du allerdings nach elektronischer Musik aus der DDR suchst, wird die Sache schon schwieriger. Das liegt sicherlich auch an der überschaubaren Anzahl an Protagonisten und begrenzten Möglichkeiten der Verbreitung. Lediglich ein Buch samt Sampler erschien vor zehn Jahren zum Thema, ist allerdings schon länger vergriffen. Underground-Musik der DDR wurde zumeist anhand rockorientierter Genres wie Beat, Rock'n'Roll und später Punk behandelt.

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Umso besser, dass ein neuer Sampler mit dem Titel Magnetband – Experimenteller Elektronik-Underground DDR 1984-1989 diese Lücke nun schließt. Darauf finden sich 14 kuriose Stücke mit Titeln wie "Das sentimentale Ufo" oder "Musik zum Weltuntergang" von Künstlern wie der Kriminellen Tanzkapelle oder Ihr Arschlöcher – was vielleicht einer der besten Bandnamen überhaupt ist. Parallel zu dieser Zusammenstellung ostdeutscher Underground-Elektro-Experimente ist auch eine thematisch ähnlich angelegte Zusammenstellung westdeutscher Elektro-Musik mit dem Titel Elektronische Kassettenmusik Düsseldorf 1982-1989 erschienen.

Da stellt sich die Frage: Was kann dir diese Musik heute – 30 Jahre später – noch sagen und worin liegt die Notwendigkeit solcher Veröffentlichungen abseits von Nostalgie? Aber der Reihe nach:

Elektronische Underground-Musik wurde im Osten ausschließlich durch Kassetten verbreitet. Da es mit der staatlichen Plattenfirma Amiga nur eine Möglichkeit zur offiziellen Veröffentlichung von Musik gab, hatten die Avantgarde-Künstler der DDR in dieser Hinsicht auch gar keine andere Wahl. Die ostdeutschen Underground-Künstler machten sich bereits mit der Vervielfältigung der Musik strafbar, musste diese doch wie beinahe alles in der DDR eigentlich staatlich genehmigt werden.

Auch im Westen war die Kassette überwiegend das Format der Wahl. In der BRD war der DIY-Tape-Ansatz zumindest teilweise eine eher selbstgewählte Form der Verweigerungshaltung und nicht unbedingte Notwendigkeit für die Verbreitung von Underground-Musik. Schließlich gab es durchaus kleine Labels, die diese Musik auch auf Vinylschallplatte veröffentlichten. Doch die Verbreitung über Kassetten war unabhängiger und direkter, kommunikativer und günstiger. Die Möglichkeit, die Musik in lokale Plattenläden zu bringen, gab es trotzdem.

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Die Künstler der ostdeutschen Gegenkultur fristeten ein Außenseiterdasein in der Gesellschaft, vom Staat hatten sich die oftmals mit Punk sozialisierten Protagonisten bereits seit längerem abgewandt; dieser neigte sich Ende der 80er Jahre sowieso dem Ende entgegen. Doch den Künstlern des Elektro-Undergrounds ging es nicht um aktiven Widerstand und Protest sondern vielmehr um Verweigerung. Mit viel Zeit, Langeweile und großer Antriebskraft wurde ohne ökonomischen Hintergedanken experimentiert.

"Auf der Straße sterben die Menschen, auf der Wiese steht die Kuh" – Der Demokratische Konsum

Die Songs der DDR-Künstler klingen entrückt und abgedreht, teilweise skizzenhaft. Es scheinen sich vielmehr die Umstände, inneren Zustände und die Einstellung auf den Sound auszuwirken als musikalische Einflüsse. Zur Klangerzeugung wurde alles verwendet, was Töne von sich gab: "Ich spielte, was rum lag: Keyboard, Mandoline, Bass, Klanghölzer, Tröten oder Flöten. Wir benutzten einen luftgefüllten Gummi, der interessante Töne hervorgebracht hat", so Flake Lorenz von der Magdalene Keibel Combo in einem Artikel zur Buchveröffentlichung 2006.

Auch der Einsatz von Sprache wurde als Stilmittel verwendet, oftmals fragmentarisch, mit Hang zum Absurden. "Wir haben mit Stegreif-Texten gearbeitet und versucht, technische Innovationen zu benutzen", beschreibt es Paul Landers im Buch Mix mir einen Drink – Feeling B: Punk im Osten. Das lässt eine Verbindung zu den Westberliner "Genialen Dilletanten" zu, deren Umfeld zumindest Ornament & Verbrechen, vielleicht bekannteste Vertreter der Szene, nicht ohne Grund zugeordnet werden.

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Im Düsseldorf der 80er Jahre gab es ebenfalls den Drang zum selbstgewählten Außenseitertum, die graue Betonstadt befand sich im Umbruch, schicke Banken und Agenturen ersetzen Industriebauten, kapitalistischer Hochglanz machte sich breit. Abseits davon und jenseits von Rocker-Lifestyle setzten sich Experimentalkünstler nicht nur mit Klang sondern auch dem Zustand der Welt und einer oftmals als bedrückend empfundenen Realität auseinander.

Der Sound der westdeutschen Künstler ist Synthesizer-lastiger, was vielleicht auch der Verfügbarkeit der Maschinen und dem Einfluss früher 80er-Synthie und -Industrialmusik aus UK geschuldet ist. Gruppen wie Human League, Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire gehörten hörbar zu den Einflüssen. Die Musik klingt verträumter, sphärischer. Bis auf wenige Ausnahmen – hervorzuheben ist hier die Industrial-Solokünstlerin Maria Zerfall – kommt sie überwiegend ohne den Einsatz menschlicher Stimme aus. Es dominieren Dunkelheit und Kälte. Aber auch leichtere und absurde Klänge sind zu hören.

Magnetband – experimenteller Elektronik-Underground DDR 1984-1989 dient nicht nur als einfacher Überblick über die elektronische Musikszene der ehemaligen DDR: Viele Protagonisten sind noch immer aktiv, haben sich nach der Wende im gesamtdeutschen Musikkosmos einen Namen gemacht.

Allein diese Tatsache deutet an, dass es sich hier nicht bloß um ein obskures Gimmick handelt, sondern um eine Zusammenstellung mit künstlerischer Relevanz. Sei es die Magdalene Keibel Combo, deren Mitglieder Flake Lorenz und Paul Landers später die Deutschrock-Formation Rammstein mit zu Weltruhm bringen sollten, oder der damals unter dem Pseudonym A.F. Moebius sowie als Mitglied der AG Geige aktive Frank Bretschneider, Mitbegründer des legendären Labels Raster-Noton und einflussreicher Experimentalelektroniker. Die Gruppierung Ornament & Vebrechen hatte auch nach der Wende noch Bestand, ehe daraus To Rococo Rot um die Brüder Robert und Ronald Lippok hervorging.

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Sicherlich sind die zu hörenden Klänge nicht isoliert entstanden – Einflüsse aus dem westlichen Musikuntergrund haben auch die DDR erreicht, es gab Austausch zwischen Ost und West. So sind auch Samples in englischer Sprache zu finden. Dennoch zeigt die Zusammenstellung dieser Musik, dass kreative Kräfte sich immer ihren Weg bahnen werden, mögen die Umstände auch etwas komplizierter sein – was vielleicht aber auch der besondere Antrieb ist.

"Hätte ich eine Nadel, ich stieße mir andere Augen": Dieser Drang zur Realitätsflucht, den die Kriminelle Tanzkapelle im Track "Klatschmohn" mutmaßlich besingt, ist dir derzeit vielleicht nicht fremd. "Auf der Straße sterben die Menschen, auf der Wiese steht die Kuh", schreit Der Demokratische Konsum. Die Gegenüberstellung des Apokalyptischen und des Banalen, vielleicht eine Art dem drohenden Unheil zu begegnen.

Die Klänge sind einerseits vertraut, Vorläufer von etwas, das du heute vielleicht in klanglich besserer Qualität oder strukturierter hören kannst. Das sollte aber hier nicht der Maßstab sein und ist ja meistens auch irgendwie langweilig. Gerade die unbedarfte Herangehensweise, das "einfach machen", sorgt dafür, dass diese 30 Jahre alten Lo-Fi-Aufnahmen nicht "alt" klingen, sondern lebendig; sie verdeutlichen eine besondere Dringlichkeit und radikale Unabhängigkeit, Verweigerung statt Anpassung – seit jeher Merkmale musikalischer Innovation von Underground-Bewegungen.

Nicht nur die Herkunft dieser Avantgarde-Sounds, auch die künstlerische Qualität machen also die Relevanz aus. Inspiration bieten sie auf jeden Fall genug – Vorboten elektronischer Tanzmusik sind ebenfalls zu hören. Obwohl 80er-Nostalgie und retrospektive Aufarbeitung im Moment gerade im Bereich Musik allgegenwärtig sind, nimmt die Veröffentlichung daher eine besondere Position ein. Elektronische Kassettenmusik Düsseldorf 1982-1989 bezieht seine Relevanz hingegen einerseits aus dem geografischen Fokus auf die Stadt am Rhein und deren Tape-Underground. Anderseits machen es auch die klangliche Pionierarbeit und die Konservierung einer bestimmten Stimmung der Zeit zu einem hörenswerten Zeitdokument, in dem sich Spuren diverser heutiger Elektrogenres finden.

'Magnetband – experimenteller Elektronik-Underground DDR 1984-1989' und 'Elektronische Kassettenmusik Düsseldorf 1982-1989' sind auf Bureau B erschienen und ab jetzt erhältlich.

Beide Sampler sind auch bei Spotify zu finden.

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