​Straight outta Schwaben: Die wundersame Karriere des Waffenhändlers Gunny
In der Nähe der Magstädter Aral Tankstelle kommt es am 23. November zur Festnahme. Bild: Anna Neifer / Motherboard.

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​Straight outta Schwaben: Die wundersame Karriere des Waffenhändlers Gunny

Um 3:34 startet „Gunny“ seine Marketingoffensive: „Unser kleines aber feines Unternehmen versorgt euch ab jetzt mit Schusswaffen zu einem im gesamten Deepweb konkurrenzlosen Preis.“ Da war ihm die Polizei längst auf der Spur.

Am frühen Sonntagmorgen startet Gunny seine Marketingoffensive. Um 3:34 Uhr verkündet er in einem populären Darknet-Forum feierlich, ab jetzt an dieser Stelle eigenhändig umgebaute Waffen zu verkaufen: „Unser kleines aber feines Unternehmen versorgt Euch mit Schusswaffen in bester Qualität sowie zu einem im wohl gesamten Deepweb konkurrenzlosen Preis!"

Der Beitrag wartet nicht nur mit technischen Details zur angebotenen Ware auf, sondern schmückt die Shop-Eröffnung auch noch mit einem selbst verfassten Pro-Waffen-Manifest aus: „Nach unserer Firmenphilosophie ist es ein Menschenrecht, sich und seine Freiheiten verteidigen zu können! Freie Menschen müssen auch die Freiheit haben, sich hierzu nötigenfalls Schusswaffen zu verschaffen."

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Zum Verkauf steht fürs erste eine umgebaute Schreckschusswaffe nach dem Vorbild einer Walter PK380. Kostenpunkt: 1.250 Euro, bezahlbar ausschließlich in Bitcoin. „Respekt. Ihr zieht das ja richtig auf", schreibt einer, der sonst als Bitcoin-Zwischenhändler dient: „Ihr seid wirklich eine Bereicherung für die Rubrik hier", erklärt ein anderer.

Nur vier Wochen später findet sich Gunny auf den Titelseiten wieder. Bild.de berichtet, dass der Darknet-Händler in einem kleinen schwäbischen Ort in der Nähe Stuttgarts verhaftet worden sei. Wozu seine Waffen laut der Berichterstattung dienten, erscheint ungeheuerlich: Sie sollen nach Paris geschickt und dort am 13. November 2015 von den IS-Terroristen als Mordwaffe eingesetzt worden sein. Die Meldung wird von zahlreichen nationalen und internationalen Medien aufgegriffen und findet sich in Überschriften wie „Der Terror war Made in Germany" wieder.

Fest steht: An einem Montagmittag kurz nach den Anschlägen von Paris kommt es in dem 9.000 Einwohner-Ort Magstadt zum Zugriff. Zwei Männer drücken Sascha W. in der Einfahrt seines Wohnhauses zu Boden und halten ihm eine Pistole in den Rücken. Kurz danach fährt ein unauffälliger Mercedes-Kastenwagen vor, aus dem Männer mit Sturmmasken und Maschinengewehren aussteigen und den Verdächtigen einladen. Nach 60 Sekunden ist alles vorbei, so berichtet es eine Anwohnerin dem Focus.

Die Staatsanwaltschaft bestätigt gegenüber Motherboard, dass—unüblich bei einem Verdacht auf Waffendelikte—kein SEK oder MEK zum Einsatz kam. Außerdem habe man fünf noch nicht umgebaute Schreckschusswaffen und mehrere Datenträger bei Sascha W. gefunden, wie der Stuttgarter Staatsanwalt Jan Holzner gegenüber Motherboard erklärt.

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Am 19. Februar kommt es dann im Umland von Stuttgart zu zwei weiteren Festnahmen. Die Auswertung der beschlagnahmten Datenträger hatte die Polizei auf die Spur von zwei 28-Jährigen gebracht, die mit Sascha W. befreundet waren. Einer von beiden ist gelernter Werkzeugmacher. Der Vorwurf der Stuttgarter Staatsanwaltschaft: Gemeinsam sollen die drei DW Performance Guns betrieben haben. Sascha W. und seine beiden Mittäter sollen in acht Fällen Dekowaffen scharf gemacht und über das Internet verkauft haben. Wegen Verstößen gegen das Waffengesetz drohen ihnen nun mehrjährige Haftstrafen.

Eines der Fotos zum Angebot von Gunny. Screenshot: Motherboard.

Aufgespürt wurde Sascha W. durch die ZIT, eine Sondereinheit der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft. Zu den Details der Ermittlungen wollen die Experten der Zentralstelle für Internetkriminalität unter Verweis auf laufende Ermittlungen nichts sagen. Aus Justizkreisen heißt es dennoch übereinstimmend, dass Sascha W. wohl etwas zu unvorsichtig agiert habe. „Er war etwas leichtsinnig", drückt es ein Beamter aus.

Im Zuge der Ermittlungen stoßen die Beamten auf dem Handy von Sascha W. auf den Screenshot einer E-Mail, der die Unterhaltung mit einem Käufer sowie Lieferadresse und Sendungsnummer dokumentiert. Der Käufer habe einen „arabisch klingenden Namen" gehabt, heißt es aus Justizkreisen. „Es ist schon fraglich, warum jemand einen Screenshot von so einer E-Mail macht", so Jan Holzner. Das Speichern des Bildes ist jedoch nicht nur unvorsichtig für auf Geheimhaltung bedachte Darknet-Händler, sondern auch der Auslöser eines großen Missverständnisses: Als die Ermittler die E-Mail nur wenige Tage nach dem Schock der Pariser Anschläge lesen, schrillen bei ihnen die Alarmglocken. Sollten die islamistischen Terroristen ihre Waffen tatsächlich aus dem Darknet bezogen haben? Während kurz nach der Terrornacht in alle Richtungen ermittelt wurde, schien auch das nicht ausgeschlossen. Inzwischen ist aber klar, dass „die Waffen woanders hin geliefert wurden. Die Adresse darf nicht herausgegeben werden, aber es ist innerhalb Deutschlands versendet worden. Dies hat man an der geänderten Sendungsnummer verfolgen können", heißt es aus Justizkreisen an Motherboard.

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Noch etwas anderes spricht dagegen, dass DW Performance Guns zwei Sturmgewehre vom Typ Zastava M70 und zwei AK47 aus chinesischer Produktion verschickt habe, von denen Bild.de berichtet. „Allein das Gewicht der Sendung spricht dagegen, dass wirklich Sturmgewehre versendet wurden", erklärt Jan Holzner. Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass DW Performance Guns umgebaute Pistolen, jedoch keine Maschinengewehre angeboten habe. Daher dürfte die Anklage auch nach dem Waffengesetz und nicht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz erfolgen.

Motherboard vorliegende Posts von DW Performance Guns dokumentieren, dass die Händler hinter dem Profil einige Sicherheitsstandards, die andere Darknet-Händler für wichtig erachten, nicht befolgten. Gunny schien unbesorgt ob der Sicherheit des von ihm genutzten Forums als Verkaufsplattform, welches zwar als Onion-Domain im Deepweb erreichbar ist, aber auch über das Clearweb gefunden werden kann und abrufbar ist. Auf die Frage eines Nutzers, warum er denn nicht auch über einen der Darknet-Schwarzmärkte verkaufe (die schwerer einsehbar sind) wiegelt Gunny ab: Hier funktioniere doch auch alles wunderbar.

Screenshot: Motherboard

Gunny ahnt nicht, dass ihn die Ermittler längst im Visier haben, als er Anfang November seine Marketingoffensive startet. Schon im August, als er sich im selben Forum über Waffen austauschte und seine Ware erstmals befreundeten Usern anbot, damit sich das Forum von seiner Ware überzeugen könne (und er gute Bewertungen bekommt), lesen die Ermittler mit.

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Nur wenige Tage, nachdem Gunny dann im November verkündet, an alle Interessenten zu verkaufen, spricht er auch schon vom Ausbau seines Angebots: Bald werde es weitere Schreckschuss-Umbauten geben, so wie auch Kurz- und Langwaffen in Eigenentwicklung. Das nötige Wissen für solche Bauten habe man durch langjährige Erfahrung im Werkzeug- und Maschinenbau gesammelt. „Es ist unser Ziel, unsere Waffen nachhaltig in Serie anbieten zu können, wobei sie die günstigsten scharfen Waffen im DW sein sollen, damit sie sich möglichst viele Menschen leisten können. "

Dieser Plan geht schon wenige Wochen nach dieser Ankündigung zur Optimierung der Produktlinie nach hinten los. Der Mann, den Behörden für den Macher hinter dem Nutzernamen Gunny halten, wird festgenommen—und in dem Forum, in dem verschiedene deutsche Darknet-Händler über Waffen diskutieren und ihre Ware anbieten, macht sich Panik breit. Die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Berichterstattung gefällt den Betreibern gar nicht—die Waffensektion „wird bis auf weiteres auf Eis gelegt", wie ein umtriebiger Händler schreibt.

Zahlreiche Nutzer bedauern die Stillegung der Waffensparte; für einige ist es gar das Ende der Seite, so wie sie sie liebten: „So ist das wegen einer person kann der ganze waffen bereich einpacken" (sic), schreibt einer. „Schade, einst ging es hier im Forum um absolute Meinungsfreiheit. Wenn wir anfangen, uns selbst zu zensieren, können wir auch gleich wieder ins CW (Clearweb) gehen", fügt ein anderer enttäuscht an.

Gunny zeigt sich nicht verlegen um ein dickes Auftragen über Ausmaß und Betriebsamkeit seines Shops. Man habe „trotz fortlaufender Produktion nur noch wenige Exemplare vorrätig." Bald, bei einem Ausverkauf, müsse man wohl „eine Warteliste führen". Auf Fragen nach der Zukunft seines Angebots will er sich aber noch nicht festlegen. Als ein User danach fragt, ob er jetzt schon für den Februar 2016 vorbestellen könne, schreibt Gunny um 3 Uhr nachts: „Über Februar können wir keine Aussage treffen." Es ist das letzte Mal, dass sich Gunny im Forum zu Wort meldet.

Sascha W. verbringt den gesamten Februar in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim.

Redaktionelle Mitarbeit: Anna Neifer und Alesia Harrer