In den Restaurants des Dschungels von Calais

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In den Restaurants des Dschungels von Calais

Am Donnerstag wurde der Räumung des südlichen Teils des Flüchtlingscamps in Calais stattgegeben. „Der Dschungel“, wie das Camp von vielen genannt wird, ist wie eine kleine Stadt, mit eigenen Restaurants, in denen es Essen aus aller Welt gibt.

Der „Dschungel von Calais": ein 18 Hektar großes Gelände am Ortsrand der französischen Hafenstadt umgeben von Fabriken und einer Autobahn. Im Juni 2015 „gegründet" leben dort heute 5.000 Flüchtlinge, einige davon in Wohncontainern, die im Januar aufgestellt wurden, andere in Zelten oder Holzhütten. In diesem Moment wird es geräumt, die Hütten brennen.

Am Donnerstag, den 25. Februar 2016, hat ein französisches Gericht entschieden, dass der südliche Teil des „Dschungels" nun geräumt werden soll. Aber das Leben im Camp ging trotzdem weiter, trotz der desolaten Lebensumstände.

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Alle Fotos von der Autorin

Aber man nannte das Gelände zu Unrecht „Dschungel", denn das hier war eine lebendige Stadt mit einer richtigen Einkaufsstraße und kleinen Verkaufsständen. Zwischen den behelfsmäßigen Hütten, die überall förmlich aus dem Boden sprossen, fand man hier und da einen Friseur, ein Hamam, Gebetsstätten, ein Theater, eine Bibliothek, eine Schule … und zahlreiche Restaurants, in denen man kurdisch, afghanisch, sudanesisch oder auch pakistanisch essen konnte. Lauter kleine Lokale von Flüchtlingen oder Migranten, die Essen aus ihrer Heimat kochen und verkauften, um irgendwie zu überleben.

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Ein Februarmorgen im Camp, langsam erwacht die Stadt. Das Brummen der Generatoren mischt sich mit der Musik, die aus den Hütten dudelt. Es ist zwar noch früh am Morgen, aber einige der kleinen Lokale haben schon auf.

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Die Backstube von Azlans Restaurant

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Azlan kocht „tcherkarai"

Dank zwei Naan im Fenster weiß ich sofort, dass es hier Brot gibt.Innen versteckt sich eine Backstube, wo ein junger Mann gerade Teig knetet, dann kommt eine offene Küche. Ein paar Männer sitzen auf einer erhöhten Sitzbank, die ein bisschen Schutz vor dem nackten kalten Boden bietet. „Hello, welcome!", begrüßt mich der Bäcker lächelnd. Hier, wie auch im Rest des Camps, ist Englisch die Verkehrssprache.

Den Koch, Azlan*, um die 50 Jahre alt, graue Haare, schließt man sofort ins Herz. Während er in seinem riesigen Kochtopf rührt und über das Essen spricht, strahlen seine Augen richtig. „Das hier ist tcherkarai, Hühnchen", erklärt er mir. „Ein typisch afghanisches Gericht. Das muss jetzt noch eine Stunde lange mit Tomaten, Salz, Chilis und Koriander köcheln. Auf Afghanisch heißt das dhania, das kann man hier in Frankreich nur schwer bekommen, nur in den indischen und pakistanischen Restaurants in Paris. Aber hier im Dschungel verkaufen das viele."

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Junge Paschtunen vertreiben sich die Zeit in Azlans Restaurant

Ein Mann kommt herein und begrüßt Azlan mit Händedruck: „Ich habe gleich nebenan ein kleines Geschäft, man sieht mich hier also öfter. Hier bei Azlan schmeckt es genauso wie in Afghanistan, auch wenn seine Küche nicht so gut ausgestattet ist", schwärmt er. „Wir kennen uns schon lange, wir kommen aus demselben Dorf in Kandahar und haben uns hier wiedergetroffen."

Ein Jugendlicher, der sich hier mit seinen Freunden aufwärmt, versucht mit mir ins Gespräch zu kommen. „Urdu? Paschtu? Arabisch? Persisch?", fragt er mich, doch wir finden keinen sprachlichen Nenner.Einer seiner Freunde kommt auf mich zu: „Jetzt ist Frankreich unsere Heimat." Stolz zeigt er mir seine Plastikkarte der französischen Flüchtlingsorganisation France Terre d'Asile. „Am Dienstag fahren wir nach Marseille. Zwei Monate haben wir auf unsere Genehmigunggewartet, jetzt ist alles gut und wir können erstmal hierbleiben."

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Zum Frühstück füllt sich das Restaurant. Viele englische und französische Freiwillige sitzen auf Bänken am langen Tisch in der Mitte des Raumes. „Es gibt Spinat, Reis mit Rosinen und Karotten, Bohnen, Hühnchen, Kichererbsen in Tomatensauce … Am besten, man nimmt sich von allem ein bisschen und isst dann gemeinsam von einem Teller", meint Azlan. „In Afghanistan isst normalerweise jeder von seinem Teller, aber bei Beerdigungen und Hochzeiten essen alle vom gleichen Teller."

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Durch die Dämpfe aus der Küche sitzen wir schnell in einer Sauna, auch die offene Tür hilft da nicht. Jeder bekommt seinen Teller gereicht, dazu Salat, Tomaten, Zwiebeln und natürlich Naan frisch aus dem Ofen.

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Ein Stück weiter in der „Cameron's Street" ist auf einer Häuserwand ein riesiges Graffiti: „3 Idiots". Das Restaurant kann man also nicht verfehlen und dementsprechend voll ist es.

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„Hello. Aus welchem Land kommen Sie? Sie sind Französin? Ach, sie sind sehr hübsch!", begrüßt mich der Chef etwas überschwänglich und mit breitem Verkäuferlächeln.

Der Laden gehört drei Pakistanern, die mir ihre Geschichte erzählen, die sie wahrscheinlich schon unzählige Mal erzählen mussten: „Wir wollten nach Großbritannien, da wir aber hier feststecken, haben wir einfach zu dritt ein Restaurant aufgemacht und es quasi nach uns benannt: 3 Idiots", erzählt einer der drei lachend.

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3 Idiots ist eines der Lieblingslokale der Freiwilligen

Sie haben viel Arbeit reingesteckt, um ihr Lokal ein bisschen gemütlicher zu machen. Dutzende bunte Ballons hängen an der Decke, hier und da ein Stofftier—einfach Pop, so wie in den indischen Videoclips, die die ganze Zeit über den Fernseher laufen.

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Die große Küche ist mit einer Durchreiche vom Gastraum abgetrennt. Hier werkeln gerade zwei junge Köche.

„Unsere Spezialität sind pakistanische Gerichte. Bei uns gibt es Hühnchen, Lamm, Linsen, Samosas, Spinat, rote Bohnen und auch Pommes, aber das ist dann eher der französische Touch."

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Das Frühstücksangebot des White Mountain

Im White Mountain, einem größeren Laden in der Hauptstraße des Camps, empfängt Mohamed* seine Gäste ganz locker auf Französisch: „Jeden Tag gehe ich für eine Stunde in die Schule hier im Camp, um Französisch zu lernen." Diese Schule wurde im Oktober 2015 von Zimako Jones, einem nigerianischen Flüchtling, gegründet und bietet Französischkurse für Kinder und Erwachsene an. „Vor einem Monat habe ich damit angefangen, zuerst nur das Alphabet. Aber es geht gut voran und ich bin sehr motiviert."

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Der Innenraum ist mit Brettern ausgelegt. Über zehn Männer sitzen in der Nähe der Steckdosen und laden ihre Handys auf. Einige von ihnen trinken Tee. In der Küche gibt es ähnliche Köstlichkeiten, wie auch schon vorher bei Azlan: „Es gibt viele afghanische Restaurants hier, aber jeder kocht irgendwie auf seine Art", versichert mir der Koch. Gerade macht er frittierte Eier mit Tomatensauce, dazu reicht er Brot: „Das gibt's zum Frühstück als Stärkung."

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Sharifi* ist Bäcker und kümmert sich um das Naan. Mit seinem bunten Kopftuch und seinem charmanten Lächeln zieht er alle Blicke auf sich. An der Wand hängen drei Fotos von ihm: „Er gehört zu den zehn schicksten Männern hier im Dschungel", scherzt eine der Stammgäste und meint weiter, indem sie Sharifi genau mustert: „Er sieht doch aus wie Bruce Lee, oder? So wie er aussieht, ist er doch fürs Fernsehen prädestiniert!" Sharifi kann nicht mehr vor Lachen.

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Einer der „Geschäftsführer" präsentiert mir stolz das Lokal: „Der Name White Mountain soll an die Berge in Afghanistan erinnern, aber ich weiß nicht mehr an welchen genau … Bevor wir hier vor vier Monaten das Restaurant aufgebaut haben, war hier alles leer, nur ein Dschungel. Zu sechst haben wir innerhalb von einem Monat alles hochgezogen, wir waren ein bisschen faul, also hat es etwas länger gedauert", erinnert er sich lachend. „Wir haben 10.000 Euro für das Material und das Equipment bezahlt, aber das Geschäft rentiert sich nicht wirklich. Die meisten Leute kommen nur hierher, um sich aufzuwärmen, ihr Handy aufzuladen und einen Tee zu trinken. Aber wir wissen auch nicht, wie lange das hier noch so bleibt. Von einem Tag auf den anderen könnte alles geräumt werden. Ich will trotzdem immer noch nach Großbritannien, also versuche ich jedes Mal mein Glück, wenn das Wetter einigermaßen gut ist."

Nun war es also so weit.

* Alle Namen geändert.