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10 Fragen an eine Museumswächterin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Fühlen Sie sich unterfordert? Hätten Sie gerne mehr aus Ihrem Leben gemacht? Wie anstrengend ist das Stehen?
Alle Fotos: Lisa Ziegler

Schwarz gekleidet, unscheinbar und unbeachtet. Bei jedem Museumsbesuch sehen wir die stillen Aufseher, die in der Ecke der Ausstellungsräume stehen und die Kunst bewachen. Aber wir sprechen nie mit ihnen. Friederike von Fallois arbeitet seit 25 Jahren in der Berlinischen Galerie. Sie fing als junge Frau als Museumswächterin an. Nun ist sie 56, hat eine 13-jährige Tochter und arbeitet zusätzlich als Besucherbetreuerin im Museumsshop und an der Kasse.

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VICE: Fühlen Sie sich unterfordert?
Friederike v. Fallois: Natürlich ist der Job eine intellektuelle Unterforderung. Ich habe Medizin studiert und als Krankenschwester gearbeitet. Mir geht es in meinem Job aber auch nicht um intellektuelle Herausforderungen. Für mich ist die Kunst Inspiration. Ein Titel für meinen Beruf ist ja auch "Kunstaufseher". Das finde ich sehr passend. Ich betrachte die Kunstwerke intensiv bei der Arbeit.

Sind Sie manchmal eifersüchtig auf die ausstellenden Künstler?
Nein, das bin ich nicht, denn ich wollte nie selbst ausstellen. Ich habe während meines Medizinstudiums schnell erkannt, dass ich auf dem falschen Weg war. Ich wurde mit 19 von dem Leid der Welt überschwemmt. Ich war auf diese Erfahrungen nicht vorbereitet. Das hat mich innerlich zerstört. So gerne ich den Beruf ausüben wollte, ich habe gemerkt, dass es in eine selbstzerstörerische Richtung geht. Auf das Malen und die Kunst konnte ich mich aber einlassen. Das hat mir mehr gegeben, ohne dass ich jemals das Ziel verfolgt habe, eigene Werke in einer Galerie zu präsentieren.

Sie haben viele jugendliche Kollegen – Praktikanten, FSJ-ler –, die kommen und gehen, um danach mehr zu erreichen. Hätten Sie gerne mehr aus Ihrem Leben gemacht?
Für mich war dieser Job total naheliegend. Ich wollte auf keinen Fall mehr im Krankenhaus arbeiten. Da Kunst in meinem Leben schon immer eine Rolle gespielt hat, war es ganz natürlich, einen Job in diesem Bereich zu suchen. Zunächst habe ich als Komparse gearbeitet, dann auch als Aktmodell. Als dann vor 25 Jahren die Beuys-Ausstellung war, habe ich nachgefragt, ob ich dort arbeiten kann. Bei dem Job ist es geblieben. Heute achte ich darauf, dass Gäste gut ankommen, achte auf die Kunst. Ich hatte eine Phase in meinem Leben, in der ich mich intensiv gefragt habe, warum alles so gekommen ist, wie es ist: "Was wäre wenn …?" Diese Frage ist natürlich nicht zu beantworten, aber sie hat mir geholfen zu erkennen, was mir wirklich wichtig ist.

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Womit beschäftigen Sie sich geistig?
Bei der Arbeit natürlich mit der Kunst. Was beinhaltet sie? Welche Fragen wirft der Künstler auf? Was sind seine Aussagen? Je länger ich mich mit den Bildern auseinandersetze, desto mehr Facetten sehe ich.


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Verletzt es Sie, wenn Menschen verächtlich auf Ihren Beruf reagieren?
Leider gibt es solche Menschen. Ich glaube aber, dass diese Menschen mit sich selbst ein Problem haben und vielleicht auf der Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung sind. Es gab Momente, die mich verletzt haben. Ein Bekannter unserer Familie bezeichnete alle Museumswächter einmal als einen "Haufen Bekloppter". Das ging mir nah. Ich frage mich dann aber, warum es mich verletzt. Ich hatte die gesellschaftliche Anerkennung als Medizinstudentin und ich habe sie freiwillig aufgegeben. Ich habe erkannt, dass es nicht ausschließlich wichtig ist, was ich in meinem Leben mache. Es ist wichtig, wie ich meine Arbeit mache, und ob sie zu meinem eigenen Glück beiträgt.

Wie anstrengend ist das Stehen?
Das Stehen ist total anstrengend. Wir dürfen uns aber zum Glück auch hinsetzen. Das wäre sonst fast nicht möglich.

Was machen Sie, wenn Sie sich langweilen?
Ich schaue mir die Bilder und Objekte noch einmal an, versuche, die Textur genauer zu betrachten, trete näher an die Bilder heran. Manchmal spreche ich auch einfach die Gäste an und frage sie, was sie in der Kunst sehen oder wie ihnen die Ausstellung gefällt. Und wenn davon nichts hilft, dann mache ich Stretching-Übungen oder laufe durch den Saal.

Sind Sie genervt von Gästen?
Das möchte ich so nicht sagen. Es heißt beispielsweise oft, dass Jugendgruppen sehr anstrengend sind. Das finde ich nicht. Man kann mit ihnen tolle Gespräche führen. Was mich aber nervt, ist, wenn Gäste kommen, weil sie die Kunst als ein Statussymbol wahrnehmen oder von einem Event zum nächsten rennen. Für sie gehört ein Besuch im Museum zum guten Ton, wie auch Klavierspielen. Sie sagen dann Dinge wie: "Diese Ausstellung muss man ja gesehen haben." Sie sind so besitzergreifend gegenüber der Kunst. Das ist besonders dann total kontrovers, wenn man bedenkt, dass viele Künstler versuchen, gerade diese Art von Ignoranz in ihren Werken darzustellen und sie zu enttarnen.

Waren Sie schon nachts alleine im Museum?
Das war ich tatsächlich mal, im Gropius-Bau. Jetzt passiert das auch manchmal, wenn ich an der Kasse oder im Museumsshop gearbeitet habe. Dann verlasse ich das Gebäude als Letzte. Es kann etwas Gruseliges haben, aber ich finde es eigentlich angenehm, die Werke alleine betrachten zu können. Ich bin mir meiner Präsenz in dem Raum dann besonders bewusst. Ein Freund von mit hat einmal im Hamburger Bahnhof übernachtet und war hellauf begeistert. Das Museum bot damals an, in einem Schwebebett im Ausstellungsraum zu übernachten. Unter dem Bett liefen lebende Rentiere. Sowas habe ich aber noch nicht erlebt.

Geraten Sie in Verlockung, die Bilder anzufassen?
Ich mache das schon ab und zu. Ich weiß aber auch, dass sie durch die ganze Welt gehen und die Farbe abplatzen kann. Ich will auch nicht, dass sie kaputt gehen, und bin daher sehr vorsichtig. Wenn ich sie anfasse, dann höchstens ganz vorsichtig mit dem Zeigefinger.

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