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Gastronomie

Bars lehrten mich, dass Lügen in Ordnung ist

Sobald man sich in die Grundlagen der Gastronomie eingearbeitet hat, entwickelt man einige Lektionen, die einem bis ans Lebensende begleiten werden. Lügen, mit Arschlöchern umzugehen und sich selbst treu zu bleiben, sind einige davon.
Noor Spanjer
Amsterdam, NL

Für viele ist Kellnern ein Teilzeitjob, um neben seiner „wahren Berufung" Geld zu verdienen.

Sobald man sich in die Grundlagen der Gastronomie eingearbeitet hat, entwickelt man einige Charakterzüge, die einem bis ans Lebensende begleiten werden. Anstrengende Gäste bringen einem bei, geduldig zu sein und frustrierte Köche stellen die diplomatischen Fähigkeiten auf die Probe. Unerwartete Fragen verlangen Flexibilität und lügen ist nie notwendig, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen hingegen schon.

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Hier sind einige Lebensweisheiten, die ich aus meinen Bar- und Restaurantjobs mitgenommen habe:

Bescheidenheit bringt dich nirgendwo hin Während meiner Probezeit in dem Restaurant, in dem meine gastronomische Karriere begann, war an einem Abend plötzlich sehr viel los. An diesem Tag waren nicht genügend Mitarbeiter eingeteilt (wie das eigentlich immer der Fall ist) und meine Kollegin rannte wie eine Verrückte durchs Restaurant, mit den Haaren im Gesicht und hochrotem Kopf. In der Zeit, in der ich eine Bestellung aufnahm und sie in den Computer eingab, hatte sie ein Tablett mit vier schön gezapften Bieren an vier verschiedene Tische gebracht und jedem das richtige Besteck verteilt. Als das Restaurant—viele Stunden später—leer und sauber war, sagte ich zu ihr, dass ich niemals in der Lage sein würde, so zu arbeiten wie sie. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich jemals so schnell sein und dabei noch den Überblick und das Urteilsvermögen bewahren könnte. Ich hielt mich sofort für unfähig für die Gastronomie, nur wegen einiger schlechter Erfahrungen vor mehr als zehn Jahren. An diesem Abend sagte meine Chefin zu mir: „Du bist ein toller Mensch, aber du kannst das nicht." Sie hatte recht, aber sie war noch nicht fertig: „Gott sei Dank wirst du es auf die harte Tour lernen."

Du bist zu viel mehr in der Lage, als du dir anfangs vorstellen kannst und wenn es die Umstände verlangen, wirst du es merken. Wie, wenn ein Lokal voll ist mit durstigen Gästen.

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Wie man mit Arschlöchern umgeht Als Kellner versucht man, hilfsbereit zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass du unterwürfig sein sollst. Gutes Personal behält die Kontrolle. Es gibt immer Leute, die an Hierarchien ihre Freude haben. Sie fangen an, Kellner herumzukommandieren, als wären sie ihre eigenen Angestellten. Sie glauben, mit den Fingern zu schnippen, sei normal. Ist es nicht, aber sie darauf hinzuweisen, bringt nichts. Zu solchen Leuten ist man am besten besonders freundlich und bleibt geduldig. Und wenn sich dann jemand immer noch wie ein absolutes Arschloch benimmt, dann sei auch eins. An einem Abend hatte ein aufgebrachter Mann das Gefühl, dass er zu lang warten musste, bis er bestellen konnte. Ich ignorierte ihn sehr professionell, bis er an der Reihe war. Als er mir das Geld gab, schmiss er eine Handvoll Kleingeld über den ganzen Tresen, sodass die Münzen überall zwischen den Gläsern landeten. Er fing an zu fluchen und befahl mir, ihn anzuschauen. Das war das letzte Mal, dass dieser Typ in meiner Bar ein Bier getrunken hat. Arschlöcher gibt es überall (auf den Straßen, im Bett, unter Arbeitskollegen) und als Kellner lernt man, mit ihnen umzugehen.

Gelästert wird in der Küche Köche haben meistens nicht sehr viel Liebe für andere Menschen übrig, deshalb befinden sie sich weit weg von den Kunden in der Küche. Dort wird über nervende Sonderwünsche gemeckert, es werden langsame Mitarbeiter beschimpft, Schwanz- und Tittenwitze gerissen und hin und wieder eine Line gezogen. Wenn man Tische bedient, gehört es zu den Aufgaben, diese wütende, geheime Welt von der glücklichen, nach außen hin sichtbaren getrennt zu halten. Als Kellner ist man Schauspieler und der Speiseraum ist die Bühne. Irgendetwas über den „Wichser an Tisch 4" (oder über deinen Chef/Kollegen/Freund) zu schreien, ist normalerweise eine ausgezeichnete Idee, aber sorge dafür, dass es nie bis zu Tisch 4 vordringt. Den Frieden und die freundliche Atmosphäre wahrt man mit einem freundlichen Gesicht und einer Seele voller Ärger (den du in der Küche abbauen kannst).

Lügen ist (irgendwie manchmal) in Ordnung In der Gastronomie wird ständig gelogen und im Laufe meiner Gastrojobs habe ich gelernt, eine listige Betrügerin zu sein. Kleine Tricks und eine frei interpretierte Wahrheit sind wunderbare Mittel, um zu jemandem nicht nein sagen zu müssen. „Habt ihr süßen Weißwein?", fragten mich einmal zwei junge Mädchen. Ich holte eine Flasche heraus und erzählte meinem Kollegen, dass die beiden gerade nach süßem Weißwein gefragt hatten. „Oh, aber das haben wir gar nicht", sagte er und holte eine Flasche Hauswein und eine Flasche Wermut heraus. Er schenkte den Sauvignon in ihre Gläser ein, dazu ein Spritzer Martini Rossi in jedes Glas. „Hier, zwei Gläser süßer Weißwein für Tisch 20." Seine Gäste ein bisschen zu verarschen, gehört zum Geschäft, und der einzige Grund, warum man es tut, ist, damit alle glücklich sind. Deshalb ist es akzeptabel. Lügen ist nicht immer nötig, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen hingegen schon.

Sei nicht ignorant Wenn man etwas gefragt wird, auf das man die Antwort nicht kennt, sagt man oft: „Ich weiß nicht, damit kenne ich mich nicht aus." In dem Café, in dem ich gearbeitet habe, war Ignoranz verboten. Die Küche wusste genau, was sich auf einem Teller befindet, und wenn ein Gast eine Frage stellte, die man nicht unmittelbar beantworten konnte, gab's immer noch Google. Es gibt keinen Grund, ignorant zu sein. Frag oder schlag nach, wenn du etwas nicht weißt.

<3 Bleib dir selbst treu <3 Es wird immer Menschen geben, die dich nicht ausstehen können. Wenn man neu in einer Gruppe ist, wird man zuerst auf die Probe gestellt. In der Gastronomie passiert das durch irgendwelche erfundenen Aufgaben. Humor ist gegen solches Verhalten die beste Waffe. Wenn man damit nicht gesegnet wurde, kann man es immer noch mit Intelligenz, Ehrlichkeit und Unberechenbarkeit versuchen. Das funktioniert manchmal auch. Nachdem entschieden wurde, wer welche Rolle einnimmt, weißt du, wer deine Freunde sind. Es lohnt sich nicht, sich für manche Leute zu bemühen, denen du sowieso egal bist. Es wäre natürlichen jedem von uns am liebsten, von allen gemocht zu werden, aber das ist nun mal nicht möglich.