Bleib ruhig und iss Raclette—so überlebst du den Besuch auf dem Weihnachtsmarkt
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Käse

Bleib ruhig und iss Raclette—so überlebst du den Besuch auf dem Weihnachtsmarkt

Raclette—vom intensiven eigentümlichen Geruch angefixt, möchte man am liebsten mit den Kartoffeln, Cornichons, Pfefferoni, Perlzwiebeln, und was sich sonst noch einlegen lässt, tauschen und sich mit der Decke aus geschmolzenem Käse zudecken.

Käse macht alles besser, Punkt. Nicht nur Pasta, Salat und Brot von gestern werden dadurch genießbarer, sondern auch Überstundentage in der Vorweihnachtszeit und die alljährliche Geschenkejagd, deren Startschuss erwartungsgemäß mal wieder ziemlich genau mit dem Finale am 24. zusammenfällt.

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Geschmolzenem Käse gelingt es sogar, die Kim Kardashian unter den Weihnachtsschauplätzen—den Weihnachtsmarkt—erträglich zu machen. Das viele gold und silber funkelnde Klimbim und die gratis Limo, zu der man sich vom Coca-Cola-Opa in seinem Truck verleiten hat lassen, obwohl man doch nix von Fremden annehmen soll. Dazu die unzähligen bunt blinkenden Lichter, die dafür sorgen, dass es die ganze Nacht einfach nicht „dumper" wird. Allen, denen dann noch nicht schlecht und schwindlig ist, geben der parfümierte Punsch, die nervtötende, aus amerikanischen Malls geklaute Beschallung und die kandierten Äpfel am Stiel, die aussehen, als wären sie ein Gruß aus der Schneewittchen-Hexenküche, den Rest. Was Kim Kardashians Arsch mit dem Internet kann, schaffen Weihnachtsmärkte mit der Weihnachtsstimmung schon lange. „Break the Christmas Spirit"—Herausforderung angenommen!

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Auf den Anschlagtafeln der Holzhäuschen gibt es jedoch ein bodenständiges Gericht, das ganz ohne Lebkuchengewürz und Zucker auskommt und einem hilft, diesen Glitzer-Overkill zu verdauen: Raclette! Der leichtschmelzende Schnittkäse, der zunächst recht blass und unscheinbar daherkommt, von Banausen gar als besserer Scheiblettenkäse abgetan werden könnte, steigert seinen Sex-Appeal nach wenigen Minuten unter der Sonnenbank bis hin zum Prädikat Food Porn.

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Vom intensiven eigentümlichen Geruch angefixt, möchte man am liebsten mit den Kartoffeln, Cornichons, Pfefferoni, Perlzwiebeln, und was sich sonst noch einlegen lässt, tauschen und sich mit der Decke aus geschmolzenem Käse zudecken.

Davon sollen sich Langos und Kartoffelpuffer mal eine Scheibe abschneiden, oder besser abschaben–seinen Namen hat der feuchte Traum eines jeden Käsejunkies nämlich vom französischen Begriff „racler", das soviel wie abschaben, abkratzen bedeutet. Die Show, die einem am Raclette-Stand geboten wird, hat FSK 18-Potenzial. Das Auge isst schon mit, bevor die Zähne überhaupt diese warme, weiche Masse zu fassen bekommen. Im Schein der Wärmelampe wirft der Käse üppige, gebräunte Blasen, bevor er unter der Führung des Raclettehändlers lasziv auf ein Bett aus essigsaurem Gemüse gleitet.

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Obwohl Raclette ein Schweizer Original ist, ist die Bezeichnung interessanterweise nicht geschützt und so darf sich auch Raclette nennen, was in Frankreich, Deutschland oder sonst wo hergestellt wird. Beim Walliser Raclette dagegen handelt es sich um eine geschützte Ursprungsbezeichnung nach Schweizer Recht, für die eine Reihe an Produktspezifikationen, wie zum Beispiel die Verwendung von Rohmilch, vorgeschrieben ist.

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Was geselliges Käseverdrücken angeht, haben die Schweizer mal wieder die Nase vorn. Nicht genug damit, dass sie uns die wunderbare Kurzweil namens Käsefondue beschert haben, die den ganzen Freundeskreis stundenlang am Tisch zusammenhält und hungrige ältere Familienmitglieder zur Weißglut treibt—ihnen verdanken wir auch die praktischen Raclette-Tischöfen. Auf deren Grill lässt sich Fleisch braten, während einen Stock tiefer alles gratiniert wird, was in ein Pfännchen passt. Puristen schwören auf klassischen Raclette-Käse aus Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch, andere freuen sich darüber, dass sie die Pfeffermühle, den Trüffelhobel und das Speckmesser stecken lassen können, weil gewiefte Käsehersteller derlei Extras bereits hinzugefügt haben. Diese tragen auch Sorge dafür, dass der Käse möglichst gleichmäßig schmilzt, ohne dass er dabei Fett ausschwitzt. Die ideale Scheibendicke hängt ganz von den persönlichen Vorlieben ab. Während der empfohlene Richtwert bei ca. 0,5 cm liegt, darf's für Kanye West womöglich ein bisschen mehr sein. Herr und Frau Schweizer trinken zum Raclette gerne ihre eigenen Chasselas (trockene, leichte Weißweine der Rebsorte Gutedel), ein helles Bier oder auch mal eine Tasse Schwarztee. Am Raclette Stand der Schweizer Käsemacher von Jumi schwört man auf heißen Honigwein und auch der eine oder andere Schnaps hat sich als würdiger Sidekick erwiesen. Im Grunde ist auch egal, ob du kalten Glühmost, Kinderpunsch oder ein Glas Leitungswasser mit zwei Alka Seltzer Brausetabletten zu deinem Raclette trinkst.

Geschmolzener Käse macht nämlich wirklich alles besser.

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Fotos: Sarah Krobath