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geisterspiele

Wettbetrüger müssen Spiele gar nicht manipulieren, sie erfinden sie einfach

Fußball wird immer gespielt. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. Trotzdem wundern wir uns, dass es so etwas wie Geisterspiele gibt.
Foto: WikiMedia Commons

Am 3. Februar 2014 hat der weißrussische Erstligist FK Sluzk gegen den FK Schachzjor Salihorsk zwei späte Tore geschossen und so das Spiel noch mit 2:1 gewonnen. Für Schachzjor, das schon in der Europe League gespielt hat und sogar schon in der 1. Qualifikationsrunde der Champions League antreten durfte, war es eine ziemlich herbe Niederlage. Nur, dass es eigentlich gar keine war. Denn das Spiel hat in Wirklichkeit nie stattgefunden.

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Trotzdem haben zwei legale europäische Buchmacher—bet365 und SBOBET—für dieses Spiel Wetten entgegengenommen. SBOBET hat sogar das Endergebnis noch bestätigt. Aktuell wird der Fall noch untersucht. Und da es zuvor schon weitere Vorfälle dieser Art gegeben hat, fragt man sich natürlich: Wie zum Teufel ist so etwas überhaupt möglich?

Lasst uns zur Beantwortung dieser Frage mal für einen kurzen Moment das große Ganze in den Blick nehmen. Die Erde ist ein ziemlich großer Ort, und trotz der Tatsache, dass wir dank des Internets gefühlt mit jedem auf der Welt verbunden sind, kann man logischerweise nicht überall zur selben Zeit sein. Fußballspiele finden rund um die Uhr auf verschiedenen Niveaustufen, in verschiedenen Ligen, in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Zeitzonen statt. Kein Mensch sieht sich all diese Spiele an. Und selbst wenn er es wollte, ginge es faktisch einfach nicht. Trotzdem scheint jedes Match, egal wie unbedeutend, das Interesse von Wettenden zu wecken.

Erfundene Spiele, wie zum Beispiel der Fall in Weißrussland, machen sich genau dieser unersättlichen Nachfrage von Wettenden—sowie unserer extrem vernetzten und informationsreichen Umwelt—zunutze. Die Betrüger lassen oft reale Teams antreten und erfinden Anstoßzeiten, Statistiken und Endergebnisse ganz nach Belieben. Und das anscheinend sehr überzeugend: Denn Buchmacher auf der ganzen Welt—legale wie illegale—sind den Betrügern schon auf den Leim gegangen.

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„„The Ghosts" von Utagawa Kuniyoshi. Foto via Public Domain, WikiMedia Commons

Im August 2014 sollen der portugiesische Verein Freamunde und der spanische Klub Ponferradina ein Freundschaftsspiel gegeneinander ausgetragen haben. Tatsächlich hat Freamunde an dem Tag gespielt, aber nicht gegen Ponferradina. Trotzdem war ein Datenscout des Buchmachers „vor Ort und hat zu dem Spiel reichlich Daten gesammelt, die man auch auf der Website von Betfair verfolgen konnte. Auch dieser Vorfall wird noch untersucht.

Obwohl man offiziell nur von vier solcher Betrugsfälle weiß, ist es wahrscheinlicher, dass in Wirklichkeit viel mehr „Spiele dieser Art stattgefunden haben, vor allem auf den lukrativen und illegalen Wettmärkten in Asien. In einem Telegraph-Bericht aus dem Jahr 2011 hieß es, die FIFA sei darüber informiert worden, dass verschiedene Nationalmannschaften aus Asien und vielleicht auch eine Landesauswahl aus dem Nahen Osten für ähnliche Betrugsfälle herhalten mussten.

In gewisser Hinsicht könnte man sagen, dass frei erfundene Spiele der nächste logische Schritt für zunehmend aggressivere Wettbetrüger waren. Die haben nicht nur Spieler, Schiedsrichter und Sportoffizielle bestochen, sondern gingen auch schon so weit, dass sie ein ganzes Team aus Hochstaplern, die sich für die Nationalmannschaft Togos ausgaben, aufs Feld geschickt haben, um bestimmte Wunschergebnisse zu erzielen. Übrigens ist es deutlich teurer, Mannschaften und Schiedsrichter zu bestechen, als einfach nur ein Spiel zu erfinden, denn hierfür muss nur eine Person bezahlt werden: der Datenscout vor Ort.

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Um mit der steigenden Nachfrage, auf jedes noch so kleine Geschehnis (wie zum Beispiel die erste gelbe Karte im Spiel) wetten zu können, mitzuhalten, engagieren die Buchmacher Datenscouts, die ständig Updates zu den Spielen liefern. Wenn du schon mal At Bat auf MLB.com oder GameTracker auf NFL.com ausprobiert hast, sei dir hiermit gesagt, dass am anderen Ende der App jemand sitzt, der all diese verrückten Live-Daten in irgendein System eintippt. Im Fußball, wo so viele Spiele mit unterklassigen Vereinen ausgetragen werden, wird diesen Datenscouts nicht gerade viel gezahlt (vielleicht um die 45 Euro pro Spiel). Diese Tatsache, gepaart mit einer weitgehenden Anonymität der Datenscouts, ebnet den Weg für Korruption. Denn wer—außer dem Scout und den zum Teil nur wenigen Fans im Stadion—weiß schon, was in diesen Spielen wirklich passiert ist?

Übrigens ist auch schon der amerikanische Wettmarkt auf erfundene Spiele reingefallen. Und das bereits vor über 40 Jahren.

„„Hamlet and his father's ghost" von Henry Fuseli. Foto via Public Domain, WikiMedia Commons

In den 60ern war der professionelle Sportwetter Pete White vielen in seiner Branche einen Schritt voraus. Er katalogisierte minutiös die verschiedenen Trainerphilosophien von Football- und Basketballteams, die individuellen Stärken und Schwächen von Spielern sowie alle Daten, über die er glaubte, dass sie ihm zu besseren Wettresultaten verhelfen würden. In seinem Buch We Were Wiseguys and Didn't Know It schreibt der frühere Chef des Sportwettbüros Scott Schettler, dass aber Whites größter Coup weniger mit seiner Analysefähigkeit als mit reichlich Chuzpe zu tun hatte:

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… Anfang der 70er-Jahre hat Pete ein echt großes Ding gedreht—und zwar nur um zu zeigen, dass er dazu imstande wäre. Ihm ging es dabei nicht um Geld, weil er seinen Betrug—sofort nachdem er ihn begangen hatte—selbst auffliegen ließ und das gewonnene Geld zurückgab. So lief der Betrug: Pete hat an einem besonders vollen Spieltag—an einem Samstag—ein College-Basketballspiel erfunden und dafür gesorgt, dass das Spiel von den Buchmachern geführt wurde. Dann hat er auf die Partie gewettet, fiktive Spielstände an die Buchmacher übermittelt und am Ende ordentlich abkassiert. Er hat das Geld aber nicht behalten, sondern den Buchmachern nur gesagt, dass sie einen lausigen Job machen…

Natürlich ist seit damals viel Zeit vergangen. Theoretisch würde man denken, dass sowas heutzutage nicht mehr funktionieren würde—nur dass wir eben wissen, dass die Realität anders aussieht. Aber die heutigen Wettbetrüger können nicht nur erfolgreich Spiele erfinden. Sie haben nämlich noch eines weiteres Ass im Ärmel, das direkt an den Hollywood-Klassiker Der Clou anknüpft.

Die Rede ist vom sogenannten „„Late-betting", bei dem man so lange eine Information (wie z.B einen neuen Spielstand) zurückhält, dass ein Komplize auf das ihm bereits bekannte Resultat wetten kann. Ursprünglich kommt diese Form des Wettbetrugs aus dem Pferdesport. Früher konnte es bei der Übertragung der Ergebnisse an Buchmacher technisch bedingt zu Verzögerungen kommen, der sich clevere Wettende zunutze machen konnten, indem sie auf Pferderennen wetteten, die schon längst beendet waren.

In Europa wurden Datenscouts dafür geschmiert, dass sie ihre Live-Berichterstattung dergestalt verzögerten, dass Komplizen in der Zwischenzeit auf vor allem unerwartete Ergebnisse wetten konnten. Und als sich ein Datensammler vor Ort mal nicht bestechen lassen wollte, wurde er eben mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, wie Sports Radar Security Services berichtete.

Im Kampf gegen illegale Wettaktivitäten dieser Art hat die FIFA ein Meldesystem eingerichtet, in dem jedes Land seine offiziellen Freundschaftsspiele eintragen muss. Wettbüros arbeiten mit internen Kontrollsystemen, die auf ungewöhnliche Wettmuster hinweisen, um so laufende Spielmanipulationen aufzudecken. Doch trotz dieser Anstrengungen sieht es so aus, als seien die Betrüger immer mindestens einen Schritt voraus.

Gibt es überhaupt eine ultimative Lösung? Schwer zu sagen. Fest steht nur, dass fiktive Spiele eine echt harte Nuss darstellen. Denn wie will man etwas auffliegen lassen, das gar nicht existiert?