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Das John-Scott-Märchen: Wie Eishockey-Fans die NHL trollten

Der untalentierte Haudegen John Scott wurde von den Fans zum Captain des All-Star-Teams gewählt. Die NHL wollte das verhindern und drängte ihn sogar aus der Liga. Dann machte er das Spiel seines Lebens.
Foto: Imago

John Scott hatte es in den letzten Jahren wahrlich nicht einfach. Da sich Eishockey immer mehr in eine technische und schnelle Richtung entwickelt und das körperliche Spiel eher in den Hintergrund rückt, wird er in seiner Rolle als klassischer „Enforcer"—also ein Eishockeyspieler fürs Grobe, der vor allem den Stars des eigenen Teams den Rücken freihalten soll—natürlich unwichtiger. Der 33-jährige 2,03-Meter-Hüne ist quasi so etwas wie ein Relikt aus den „good ol' hockey days". Seine in 285 Spielen erzielten, mageren 11 Punkte stehen dabei in krassem Gegensatz zu 542 angesammelten Strafminuten. Die Tatsache, dass er in den vergangenen sieben Jahren ganze fünf Mal von Mannschaft zu Mannschaft weitergereicht wurde, spricht ebenfalls Bände.

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Man konnte bis vor Kurzem also ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass die Karriere John Scotts irgendwann ein eher unspektakuläres Ende finden würde. Das NHL All-Star Game 2016, das vergangenes Wochenende in Nashville stattfand, sollte jedoch so einiges auf den Kopf stellen.

Aber ganz von vorne: Nach einem unspektakulären und von vielen Seiten kritisierten All-Star Game 2015 musste sich die NHL fieberhaft damit beschäftigen, frische Konzepte ranzuschaffen, um dem ganzen Event wieder neuen Elan zu verleihen. Die Antwort: Ein neuartiges Format (die vier Divisions spielen im 3-gegen-3-Modus um den Turniersieg) sowie ein Fan-Voting zum Bestimmen der Mannschafts-Captains. Und genau bei diesem Fan-Voting kam John Scott ins Spiel. Da aus dem gesamten Spieler-Pool der Liga ausgewählt werden durfte, wurden im Internet vor allem bei Reddit schnell diverse Petitionen und Aufrufe gestartet, um den Enforcer ins All-Star Team zu bringen. Und wer liebt denn nicht eine gute Underdog-Story?

Die Fans bekamen, was sie wollten: John Scott sollte tatsächlich das „C" für die Pacific Division auf der Brust tragen. Ähnliches passierte schon beim NBA All-Star Game, als Basketball-Enthusiasten Zaza Pachulia, den georgischen Center der Dallas Mavericks, fast in die Starting Five des West-Teams wählten. Routinierte Spieler wie etwa Dirk Nowitzki müssen in die Röhre schauen. Hier lässt sich natürlich darüber streiten, wie viel Sinn ein Fan-Voting macht, wenn das Ganze durch Internet-Stimmungsmache leicht beeinflusst werden kann. Die NHL musste diesen Weg jedoch gehen, um die Zuschauer mehr einzubeziehen. Doch für John Scott begann erst hier das wirkliche Drama.

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Natürlich schmeckte es den Ligavorständen überhaupt nicht, dass ein solch untalentierter Spieler einen Platz im All-Star Team erhalten hat. Also wurden alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um die Teilnahme John Scotts noch irgendwie zu verhindern. So erhielt der Enforcer wohl mehrere Anrufe von Seiten der Liga und auch die Arizona Coyotes, also Scotts Arbeitgeber, versuchten, ihm ins Gewissen zu reden. Man wollte ihn davon überzeugen, seinen Platz in der All-Star-Mannschaft „freiwillig" an einen jüngeren und womöglich spektakuläreren Spieler abzutreten. Als das nicht wirklich zu fruchten schien, wurde der Druck auf den Spieler noch größer. Scott wurde aus heiterem Himmel von den Arizona Coyotes zu den Montreal Canadiens getradet, wo man ihn sofort in das Farmteam, die St.John's IceCaps, abstellte. Da er jetzt offiziell nicht mehr für ein NHL-Team spielte, war er theoretisch auch nicht mehr dazu berechtigt, im All-Star Game anzutreten.

Fans und auch viele prominente Unterstützer stellten sich aber geschlossen hinter John Scott und dessen Ernennung zum Kapitän der Pacific Division. Gemeinsam starteten sie im Internet einen Shitstorm in Richtung NHL-Vorstand. Und das zeigte Wirkung, denn die Liga kapitulierte und John Scott durfte im All-Star Game 2016 aufs Eis. Die Fans haben schließlich gewählt. Dennoch wusste niemand, was man von der diesjährigen Veranstaltung und vor allem Scotts Performance erwarten konnte.

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Hotspex: How the #NHL could have made the most of #FreeJohnScotthttps://t.co/xH3xzvWmRu #NHLAllStar #marketing #… pic.twitter.com/ZzhpPYmB3j
— lovette jam (@lovettejam) 22. Januar 2016

Alle Kritiker verstummten jedoch. Das komplette Event war nicht nur überraschend kurzweilig, sondern John Scott schien auch den Spaß seines Lebens zu haben. Egal ob auf dem Eis oder während diverser Pressekonferenzen: Das breite Grinsen schien ihm wie ins Gesicht geklebt. Scott genoss die mediale Aufmerksamkeit, die ihm in den letzten Jahren wohl nur wegen diverser Disziplinarstrafen zuteil wurde. Die Fans in der Halle taten den Rest und jubelten immer frenetisch, wenn Scott im Rampenlicht stand und feierten ihn jedes Mal mit Standing Ovations. Als er während des ersten Spiels dann sogar direkt zwei Tore schoss und mit seiner Mannschaft schließlich auch den Turniersieg holte, gab es kein Halten mehr. Die Wahl zum MVP der Veranstaltung war letztendlich noch das I-Tüpfelchen auf der Saga „John Scott beim NHL All-Star Game". Neben dem vielzitierten „wohlverdienten Lohn" und der Genugtuung für die Strapazen, die er in den Wochen vorher durchmachen musste, gab es für Scott noch eine Siegprämie und einen nagelneuen Geländewagen. Die mit Zwillingen im neunten Monat schwangere Ehefrau wird sich freuen.

Das diesjährige NHL All-Star Game hätte für niemanden besser laufen können. Die Liga konnte bei einem gut organisierten Event mit frischen Konzepten überzeugen und erzielte sogar einen neuen Einschaltquoten-Rekord. Und neben den zufriedenen Spielern, sollte der Name John Scott sich wohl für immer positiv in das kollektive Eishockey-Gedächtnis eingebrannt haben. Kein Drehbuchautor Hollywoods hätte diese Geschichte besser schreiben können und die Filmrechte wurden sicherlich schon verkauft, als Scott noch auf dem Eis stand.

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Hier haben wir die Top 5 der John-Scott-Momente während des NHL-All-Star-Wochenendes 2016:

1. John Scott erzielt sein erstes Tor und lässt einen Jubel wie aus dem Bilderbuch folgen:

2. John Scott nimmt sich seinen ehemaligen Teamkollegen Patrick Kane vor, nachdem der ein Tor erzielt hat:

3. John Scott agiert nach einem wunderschön herausgespielten Breakaway als Sniper:

4. John Scott verpasst dem Ex-Spieler und nun TV-Experten Jeremy Roenick—einem der größten Kritiker seiner All-Star-Nominierung—eine verbale Abreibung:

5. John Scott wird zum MVP des Turniers gekürt: