Wie ein Fortuna-Fan den Polizeiwahnsinn in Duisburg erlebte
Alle Fotos: Gerrit Starczewski

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Polizeigewalt

Wie ein Fortuna-Fan den Polizeiwahnsinn in Duisburg erlebte

Nach einem Düsseldorfer Zeugenaufruf fanden sich schon über 100 Gedächtnisprotokolle zu den Ausschreitungen beim Derby. Unser Autor hat auch eins geschrieben und dokumentiert die Willkürlichkeit der Polizeikräfte.

Beim Zweitliga-Derby zwischen dem MSV Duisburg und Fortuna Düsseldorf kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Fortuna-Fans und der Polizei. Nach einem Fanmarsch in Richtung des Duisburger Stadions am Freitagabend wurden Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Düsseldorfer Anhänger eingesetzt. Auch ein Wasserwerfer kam zum Einsatz. Mindestens ein Polizist und acht Düsseldorfer Fans sollen bei den Vorfällen verletzt worden sein.

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Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass die Fans der Fortuna durch eine späte Anreise gezielt Druck auf die Kontrollstelle am Gästeeingang aufbauen wollten, um die Einlasskontrollen zu überrennen. Aus Düsseldorfer Fankreisen hört man jedoch, dass die Polizei durch viel zu wenig Eingänge ein dichtes Gedränge provoziert haben soll. Die Ultras Düsseldorf sprachen etwa von einer „nie dagewesenen Form von Polizeiwahnsinn" und auch unorganisierte Fans kritisierten den Polizeieinsatz scharf. Nach einem Zeugenaufruf sollen bisher schon „mehr als 100 Nachrichten mit Berichten, Fotos und Videos" eingegangen sein und das Fanprojekt prüft nun rechtliche Schritte gegen den Polizeieinsatz.

VICE Sports hat sich ebenfalls ein Gedächtnisprotokoll eines Fortuna-Fans zusenden lassen, der fehlende Kontrollen, willkürliche Schläge und Stadionordner, die über die Polizei schimpfen, erlebte:

Laut Polizeimitteilung war von den Fortuna-Fans, die sich am Bahnhof Duisburg Schlenk sammelten und dann erst gegen 17:50 Uhr zum Stadion marschierten, die späte Ankunft natürlich geplant, so dass man dann mit Zeitdruck schneller und ohne Kontrollen in das Stadion gelangen würde.

Auf dem Weg von Schlenk zum Stadion war die Polizei mehr als präsent—Hubschrauber, Wasserwerfer und überall weiße Helme. Deeskalation sieht anders aus, aber klar: Die Fortuna-Anhänger sind auch nicht gerade zimperlich und Polizeieskorten sind für Fußballfans ja nichts Neues. Der Marsch der organisierten Fanszene ging auch relativ flott, ein paar Mal stehenbleiben, um sich einzuklatschen und zu singen. Dazu ein paar Pyros und leider auch ein paar Böller—Derbyalltag.

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Circa 500 Meter vorm Stadion und dem letzten Abzweig Richtung Kassenhäuschen hatten die Polizeiverantwortlichen dann eine sehr schlechte Idee: Es wurden Absperrungen errichtet, so dass dort einzeln Fans reingelassen werden sollten. Ich stand genau vor dieser Absperrung, während die Masse von hinten drückte. Die Polizei ließ vereinzelt wenige Fans durch, insgesamt gab es etwa fünf bis sechs schmale Gänge, an deren Enden jeweils Polizisten standen und die von Zäunen zusätzlich umstellt waren.

Ich hatte Glück und kam relativ schnell durch und wollte dann auf meine Freunde direkt hinter dieser Absperrung warten. Natürlich war das nicht erlaubt und die Polizei schubste mich weiter in die Menge. Übrigens: Bei dieser ersten Absperrung wurde ich nicht kontrolliert, so dass sich mir natürlich die Frage stellt, wofür diese Absperrung überhaupt gedacht war… Von Polizei-Seite aus wollte sicherlich verhindert werden, dass die Einlasskontrollen gestürmt werden—aber das half auch nichts, wie ihr weiter unten erfahren werdet. Als ich in erster Reihe auf meinen Durchlass wartete, sah ich Frauen, Jugendliche und normale Fortuna-Fans, die gegen Zäune und Absperrungen gedrückt wurden, manche weinten und baten um Einlass. Vergeblich. Die Polizei blieb bei ihrem Konzept und ließ nur ab und an einige Fans rein. Ich weiß nicht, ob die Absperrung irgendwann komplett geöffnet wurde.

Als ich dann in der Menge hinter der ersten Absperrung irgendwo auf meine zwei Freunde und zwei Freundinnen warten wollte, stand ich plötzlich mit einem anderen Fan zwischen zwei Polizistenreihen. Der andere, mir unbekannt, fragte die Polizei, wo wir denn jetzt hinsollten. Daraufhin kam ein Polizist aus den Reihen und gab ihm einen ordentlichen Schlag ins Gesicht. Ich konnte es nicht glauben und wollte diesen Polizisten aufhalten, der sich aber umgehend nach der Attacke in die Kette von Polizisten zurückgezogen hatte. Ich zeigte auf ihn und ging zu den Kollegen und wollte seine Nummer, seinen Namen oder sonst was—natürlich vergeblich. Die Polizisten waren alle vermummt, sahen gleich aus, ich hatte keine Chance, ihn mit meinen Augen länger als zehn Sekunden zu verfolgen, er war weg. Sichtlich aufgelöst und verletzt wollte der andere Fan das Gleiche. Ein Polizist, der wohl irgendwie mehr zu sagen hatte als die anderen, versicherte uns, dass wir am Rand warten sollten und er—nachdem sich die Situation hier beruhigt und aufgelöst hätte—anschließend „für uns da sein wird". Pustekuchen: Es war kurz vor Anpfiff oder das Spiel hatte schon begonnen—wie sollte ich das in all der Hektik und dem Chaos auch mitkriegen—und immer mehr Fans kamen jetzt rein und der Druck von hinten wurde größer.

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Ich bin also weiter vor die Kassenhäuschen und habe an einer größeren Ecke auf meine Freunde gewartet. Einen fand ich wieder und bin mit ihm Richtung Kassenhäuschen. Auch hier herrschte reinstes Chaos. Fans waren vorne auf den Absperrungen und baten darum, nicht weiter zu drücken und Ruhe zu bewahren. Die Ordner und die Polizei waren sichtlich überfordert. Auch hier stellte ich mich wieder in die Reihen und wartete, der Druck stieg von Minute zu Minute und irgendwann wurde wieder von hinten gedrückt. Und was brachte auch hier die Absperrung, die Warterei? Richtig: nichts. Irgendwann wurden die Tore entweder aufgemacht oder gaben aufgrund der Menschenmassen nach und ich war ohne jegliche Kontrolle im Stadion. Ich hätte keine Karte gebraucht und ich hätte alles, was ich hätte mitnehmen wollen, auch mitnehmen können.

Der Express schreibt, dass jeder Fan dreimal vor dem Stadion kontrolliert worden wäre, das ist schlichtweg falsch—ich wurde, wie beschrieben, kein einziges Mal kontrolliert—und ich bin nicht über irgendwelche Zäune gesprungen oder irgendwo lang gerannt. Ich wurde einfach nur ins Stadion geschoben. Deswegen ist auch die Aussage, dass „Unverbesserliche, die sich auch von dem riesigen Polizeiaufgebot nicht abschrecken ließen", etwas mit den schlimmen Einlassverhältnissen zu tun hätten, einfach nur falsch und irrwitzig.

Im Stadion sind wir dann einfach in den Oberrang gelaufen. Auch hier standen Polizei und Ordner vor den Blöcken, kontrollierten aber nichts. Das Spiel lief schon 17 Minuten und die restliche Spielzeit sah ich eine Fortuna, die keinen Bericht wert ist. Sang- und klanglos verloren wir mit 1:2 beim Tabellenletzten und steigen vielleicht ab, vielleicht retten wir uns in die Relegation oder bleiben drin—das ist meines Erachtens Glückssache. Achja, die Pyroaktion(en) gab es ebenfalls: Pyro sieht geil aus und ich hab's gefeiert. Warum es—vor allem bei Derbys oder nahen Spielen—aber immer zum Einsatz von Böllern kommen muss, erschließt sich mir nicht. Böller bringen NICHTS, sie können maximalen Schaden zufügen und sind nicht wirklich zu kontrollieren. Auch beim Marsch hat mich das schon angekotzt. Und Pyro gehört natürlich nicht aufs Feld, fackelt es ab und lasst es im Block—dann ist doch alles gut.

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Abschließend habe ich in der Halbzeitpause einen Freund mit seiner Freundin getroffen, die beide ein rotes Gesicht hatten und beim Einlass Pfefferspray abgekriegt haben. Bei der Polizei hieß es schlicht: „Die Polizei setzte Pfefferspray und den Einsatzmehrzweckstock ein." Von einem anderen Freund hörte ich, dass er auch von Polizisten geschlagen wurde und auch Leute, die schon auf dem Boden lagen, von der Polizei nicht gerade zimperlich behandelt wurden. Das habe ich allerdings nicht persönlich gesehen, könnte es mir aber bei dieser aggressiven Polizei in Duisburg gut vorstellen.

Auch im Düsseldorfer Fan-Forum ist das Entsetzen nach diesem Spiel groß. Einerseits auf der sportlichen Seite, andererseits sind viele enttäuscht und angewidert von dem Verhalten der Polizei und der Medien. User Limbo schreibt etwa:

„Zu den Stehplätzen wurde diese dann etwa von einer Hand voll Polizisten begrüßt, die umgehend wie blöd die anrollenden Masse mit Tränengas torpedierten. Egal ob man wollte oder nicht, man wurde auf die Polizisten geschoben. Hab die Polizisten dann nicht mehr sehen können, konnte mich in den 'Windschatten' eines Kassenhäuschens retten, während die Massen sich weiter an mir vorbeischoben und wurde nicht mitgerissen. Vermute mal, dass die Polizei einfach überrannt wurde. Die Ordner, die da standen haben nur auf die Polizei geschimpft, wie man die Situation so eskalieren lassen konnte. Waren dann aber damit beschäftigt, die ersten Verletzten aus dem Durchlass zwischen den Kassenhäuschen zu versorgen. Habe lange nicht mehr so viele panische Menschen gesehen, die echt Angst hatten von hinten überrannt zu werden. Nach rund 4-5 Minuten war der Spuk vorbei und der größte Teil war unkontrolliert (im Sinne von Durchsuchen) drin. Sehr viele hatten dann damit zu tun, sich irgendwie das Reizgas aus den Augen waschen zu lassen."

Das fasst es eigentlich ganz gut zusammen.

Alles in allem ein Tag zum Vergessen. Danke Polizei. Danke Fortuna.

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*Alle Fotos: Gerrit Starczewski