Cellulite ist völlig normal und ihr seid schön so, wie ihr seid
Grafik von VICE Media

FYI.

This story is over 5 years old.

Schönheitsideale

Cellulite ist völlig normal und ihr seid schön so, wie ihr seid

Warum wir anfangen sollten, auf unsere Dellen zu scheißen.

Vor Kurzem machte Kim Kardashian Urlaub in Mexiko. Das ist an sich noch nichts Besonderes, denn Kim Kardashian macht tendenziell öfter Urlaub. Was an diesem Urlaub dann aber doch ein bisschen speziell war, waren die Bilder, die dort entstanden sind. Es waren Fotos von Kims weltberühmtem Po – nicht retuschiert oder weichgezeichnet. Was man auf den Fotos sah, war zwar ein außergewöhnlich großer und runder, aber ansonsten recht normaler Hintern. Er hatte Dellen, Unebenheiten und kleine Makel. Und in diesem Moment wurde der Welt klar, dass auch Kim Kardashian Cellulite, vulgo Orangenhaut, hat.

Anzeige

Dass Frauen, die in Werbungen, Filmen, Zeitungen oder anderswo abgebildet werden, im echten Leben meistens nicht ganz so glattgebügelt aussehen, ist mittlerweile bekannt. Wir wissen, dass Fältchen und Poren geglättet, die Hüfte schmaler gemacht und die Lippen im Nachhinein voller gezaubert werden. Aber auch die Haut-Textur an Oberschenkeln und Hintern wird geglättet. Nicht umsonst war die Welt überrascht, als Kim Kardashian ihre Dellen zeigte und uns die Normalität präsentierte, die in medialen Inszenierungen meist zu kurz kommt.

Blättert man durch die gängigen Promi-Magazine, findet man ganze Seiten und auch Titelstorys gefüllt mit Cellulite-Bildern von prominenten Frauen. Sie werden dafür geshamet, die deutsche Insidehat kürzlich ein Bild von der unglaublich schönen Amber Rose mit "Schenkel Schande" betitelt. Alles für die Alliteration. Welches Bild dabei bei den Leserinnen entsteht, scheint nur eine kleine Rolle zu spielen – wenn überhaupt.

Cellulite ist eigentlich nur eines: völlig egal.

Das Thema Cellulite darf man wohl generell als eher leidig bezeichnen. Hätten wir keine Probleme mit Cellulite, würde eine ganze Industrie wegbrechen. Es gibt unzählige Cremes, Massagegeräte, Wickel und andere Behandlungsmöglichkeiten, deren Wirksamkeit nie gänzlich nachgewiesen werden konnte. Wodurch sich die Frage stellt: Behebt man das Problem mit Cellulite besser, indem man versucht, sie zu beseitigen – oder indem man probiert, auf sie zu scheißen?

Anzeige

Wenn man Cellulite googelt, kommen mindestens so viele Ratgeber auf Seiten von Mädchen (mit einer Zielgruppe von Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren) bis zu zahllosen Frauenzeitschriften, die einem sagen, dass Cellulite etwas ist, das man bekämpfen muss und gegen das man nur mit Disziplin ankommt. Andere Vorschläge gehen bis hin zu Eingriffen oder dem Vorschlag, dass sich Frauen mit Cellulite im Sommer doch lieber unter Maxiröcken verstecken sollen. Die Botschaft ist klar, dass Cellulite unsere Schuld, hässlich, etwas Verwerfliches sei. Dabei ist Cellulite eigentlich nur eines: völlig egal. Und das Problem an der Sache ist, dass diese Schlussfolgerung vielen zwar logisch erscheinen mag, aber noch lange nicht in unseren Köpfen angekommen ist.

Es ist nur verständlich, dass wir Cellulite als Makel sehen, gegen den wir etwas unternehmen müssen. Wir verbinden Cellulite mit Übergewicht, eigenem Fehlverhalten und Faulheit, schließlich haben wir schon in so vielen Anti-Cellulite-Guides gelesen, dass Sport und genug Wasser das wahre Mittel gegen die vermeintlich hässlichen Dellen sind. Dass Cellulite ein völlig normaler Bestandteil des weiblichen Körpers ist, bleibt dabei oft unerwähnt.

Dass über 90 Prozent aller Frauen in ihrem Leben früher oder später Cellulite bekommen werden, liegt nämlich am Bindegewebe: Das weibliche Fettgewebe wird von Kollagensträngen durchzogen, die gitterartige Muster aufweisen. Diese Strukturen können anschwellen – unter anderem aufgrund von hormonellen Veränderungen – und werden somit sichtbar. Der Experte Max Lafontan bezeichnete Cellulite gegenüber Broadly sogar als "sekundäres Geschlechtsmerkmal". Bei Männern verlaufen diese Stränge längs, weshalb beinahe ausschließlich Frauen von Cellulite betroffen sind.

Anzeige

Erst im 19. Jahrhundert rückte Cellulite in den Fokus der Menschen, zwischen den Weltkriegen entstanden erste "Behandlungsmöglichkeiten" – für etwas, das eigentlich keine Behandlung braucht.

Es ist ziemlich simpel: So gut wie keine Frau ist vor Cellulite gefeit. Meine durchtrainiertesten Freundinnen haben Dellen, das Supermodel Bella Hadid hat Dellen, meine Mama hat Dellen, ich habe Dellen. Trotzdem werden dieselben alten Dellen spätestens zu Sommerbeginn immer wieder zum Thema stilisiert. Kann ich die eine Hot Pants oder das kurze Kleid überhaupt anziehen, ohne dass meine Beine dabei furchterregend aussehen? Natürlich kann ich, und ihr könnt es auch.

Früher stand man dem Ganzen übrigens weit entspannter gegenüber: Maler wie Rubens stellten in ihren Gemälden Frauen mit Dellen dar und prägten damit sogar das damalige Schönheitsideal. Erst im 19. Jahrhundert rückte Cellulite als Erscheinung und Begriff in den Fokus der Medien und Menschen und zwischen den Weltkriegen entstanden erste "Behandlungsmöglichkeiten" – für etwas, das eigentlich keine Behandlung braucht. Laut der feministischen Journalistin Naomi Wolf wurde daraus ein popkultureller Trend, der die weibliche Haut aus einem neuen Blickwinkel betrachtet und mit neuen Maßstäben konfrontiert hat.

Ein kleiner Versuch, diese bis heute anhaltende Neuinterpretation wiederum neu zu interpretieren ist der Hashtag #CelluliteSaturday. Unter diesem Schlagwort rief die Kanadierin Kenzie Brenna dazu auf, die eigene Cellulite zu fotografieren und das Foto auf Instagram hochzuladen. So wollte sie einen Beitrag dazu leisten, Cellulite endlich als das darzustellen, was es ist: ein völlig normaler Bestandteil des weiblichen Körpers. Auch in der Popkultur wird das Thema immer wieder aufgegriffen, so forderte Kendrick Lamar in seinem Song "Humble" zum Beispiel erst kürzlich: "I'm so fuckin' sick and tired of the Photoshop, show me somethin' natural like ass with some stretch marks" – und ruft damit zur realistischeren Darstellung des weiblichen Körpers auf.

Diese Botschaften sind etwas, an das wir uns jeden Tag erinnern sollten, wenn wir uns im unvorteilhaften Licht einer Umkleidekabine, auf irgendeinem vermeintlich unvorteilhaften Foto betrachten, auf dem wir eigentlich unser Lieblingskleid tragen und ziemlich super aussehen, oder beim ersten Freibadbesuch des Jahres noch ein bisschen unsicher sind. Dann ist irgendwann jeden Tag #CelluliteSaturday.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.