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Politik

Wer hat Angst vorm bösen F-Wort?

Wer in Deutschland politisch erfolgreich werden möchte, sollte sich lieber nicht zum Feminismus bekennen, glauben einige Politikerinnen. Aber warum eigentlich?
Collage: Grey Hutton | Merkel: imago | photothek

"Ich würde niemals ein politisches Anliegen, das ich durchbringen wollte, formulieren, indem ich das Wort feministisch verwende", sagt Jenna Behrends. Sie ist jung, 26, CDU-Politikerin aus Berlin-Mitte und brennt eigentlich für Familienpolitik und Gleichstellungsthemen. Eine aufstrebende Politikerin, die die Hintergründe des Gender-Pay-Gap und die Nachteile des Ehegattensplittings bis ins kleinste Detail kennt. Das F-Wort kommt ihr trotzdem nicht über die Lippen. "Sobald du diesen Begriff verwendest, tötest du damit deine politischen Forderungen."

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Das überrascht, schließlich scheint Feminismus aktuell so mainstream zu sein, wie vielleicht noch nie zuvor; auch in der internationalen Politik. Barack Obama schrieb als amtierender Präsident einen Liebesbrief an den Feminismus und in Kanada lässt Premierminister Trudeau aktuell keine Chance ungenutzt, sich stolz als Feminist zu bezeichnen. In der deutschen Politik hingegen sind prominente, selbsternannte Feminist_innen eine Rarität – und das obwohl an der Spitze Deutschlands seit zwölf Jahren eine unumstritten starke Frau steht.

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Auch Angela Merkel tänzelt seit Jahren auffällig vorsichtig um den Begriff. Das sollten lieber andere entscheiden, ob sie sich als solche qualifiziere, antwortete die Bundeskanzlerin auf der internationalen W20-Frauenkonferenz Anfang Mai in Berlin wieder einmal zögerlich auf die Frage, ob sie denn nun eine Feministin sei.

Erst als die ebenfalls anwesende Königin Máxima erklärte, dass Feminist_innen in ihren Augen dafür ständen, "dass alle Frauen Chancen haben, die sie ergreifen können, und dass sie sich gleichberechtigt fühlen können, immer und überall", stimmte Merkel zu und gab an, in dem Fall "wohl auch eine" zu sein. Gleichberechtigung der Geschlechter? Na klar. Feminismus? Not so sure.

Die Soziologin Paula-Irene Villa lehrt Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit gesellschaftlichen und politischen Trends. In der Zurückhaltung, was das Wort angeht, sieht sie ein parteiübergreifendes Phänomen, das sich durch alle relevanten deutschen Parteien zieht. Mit graduellen Unterschieden: Je weiter entfernt vom links-liberalen Spektrum, desto stärker distanziere sich die Politik vom bösen Wort mit F, sagt Villa. Aber woran liegt das?

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"Ich stelle mich nicht ungefragt als Feministin vor. Dafür haben Linke und Grüne den Begriff zu stark für sich instrumentalisiert."

"In meinem politischen Umfeld gibt es viele Menschen, die keine Notwendigkeit im Feminismus sehen. Die glauben, es sei ja schon alles erreicht", erklärt CDU-Politikerin Jenna Behrends. "Zudem sitzen Klischees, Bilder von Kampfemanzen und Männerhasserinnen mit unrasierten Beinen sowohl innerhalb der Partei als auch in der Wählerschaft noch tief."

Feminismus hat in Deutschland ein Image-Problem. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2016, sind rund 34 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen zumindest für einen Teil anti-feministischer Ansichten empfänglich. Insgesamt also rund jeder vierte Deutsche.

Das liegt laut der Soziologin Villa von der LMU vor allem an der Färbung des Worts im deutschen Sprachraum. Schlägt man das Wort "Feminismus" in Lexika nach, findet man verschiedene Definitionen. In der Encyclopædia Britannica heißt es dazu lediglich: "Feminismus ist der Glaube an die gesellschaftliche, politische und ökonomische Gleichheit der Geschlechter."


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Der deutsche Duden hingegen definiert Feminismus als eine "Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen und der patriarchalischen Kultur anstrebt." Das klingt schon etwas schärfer als der Light-Feminismus, der aktuell auf hippen T-Shirts internationaler Modeketten und in der amerikanischen Popkultur gefeiert wird.

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Im Englischsprachigen sei das Konzept des Feminismus ein wesentlich breiterer, schwammigerer und entspannterer Begriff, bestätigt Villa. "Wer in den USA 'Feminism' sagt, meint oft etwas, was hier eher unter Begriffe wie 'Gleichstellung' oder 'Gleichberechtigung der Geschlechter' fallen würde." In Deutschland sei der Begriff aber wesentlich pointierter. Wer hier "Feminismus" sage, meine tatsächlich etwas Starkes. "Im Deutschen schwingt in dem Begriff mindestens indirekt eine System- und Herrschaftskritik mit und eine Verbindung zu bestimmten sozialen Bewegungen, wie etwa zur linken Studentenbewegung der Sechziger", so die Soziologin.

"Ich stelle mich nicht ungefragt als Feministin vor. Dafür haben Linke und Grüne den Begriff zu stark für sich instrumentalisiert", bestätigt die konservative Behrends. Wenn sie sich als Feministin bezeichne, dann nur mit dem Zusatz, "dass es sich dabei nicht um den marxistischen, linken Kampfbegriff des Feminismus, sondern um einen konservativen Feminismus handelt."

"Gleichstellung wird nicht über einen Kuschelkurs erreicht, dafür geht es um zu viel Geld und Macht."

Auch Beret Roots, Europadelegierte der FDP, ist es wichtig, sich von einem "linken Kampfbegriff" abzugrenzen. Deswegen hat sie sich direkt ihre eigene Feminismusdefinition geschaffen und zusammen mit fünf weiteren Initiatorinnen "9,5 Thesen" dazu veröffentlicht, wie ein liberaler Feminismus in Deutschland aussehen könnte. Allerdings unabhängig von ihrer Partei.

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Bei den Liberalen konnte man wegen des schlechten Rufs lange nichts mit dem Begriff anfangen. "Erst wenn man erklärt hat, dass es nicht darum geht, Männer zu benachteiligen, konnte sich ein Diskurs ergeben", erklärt die 31-Jährige. In den letzten Jahren habe sich das Klima gegenüber dem Begriff aber vor allem durch junge Menschen in der Partei langsam verbessert.

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Bei der SPD und den Grünen – beides Parteien, die historisch besonders stark mit der Frauenbewegung verknüpft sind –, findet man weniger Berührungsängste und "Ja, aber"-Erklärungen. Die ehemalige Juso-Bundesvorsitzende Katharina Oerder hat auch kein Problem damit, dass Feminismus hierzulande als Kampfbegriff gilt. "Es geht ja auch um einen Kampf: Gleichstellung wird nicht über einen Kuschelkurs erreicht, dafür geht es um zu viel Geld und Macht."

Auch bei den Grünen ist der Feminismus eigentlich seit jeher ein zentraler Begriff – trotzdem fehlt er im 10-Punkte-Plan der Partei, der Anfang Juni 2017 veröffentlicht wurde. Darauf angesprochen erklärt Gesine Agena, Mitglied im Bundesvorstand und frauenpolitische Sprecherin der Partei, das sei in diesem Fall wohl ein Versehen gewesen, zumal die frauenpolitischen Positionen schon im Entwurf genannt, und durch Änderungsanträge im Ergebnis nochmal verstärkt worden seien.

"Wir sind uns allerdings auch bei den Gründen bewusst, dass feministische Maßnahmen in der Gesellschaft oft unbequem und unbeliebt sind", sagt sie. Als Beispiel nennt Agena die Abschaffung des Ehegattensplittings. Die Steuerbegünstigung für Ehepaare würde von einem Großteil der Bevölkerung unterstützt, obwohl sie nachweislich für Altersarmut unter Frauen sorge, Abhängigkeitsverhältnisse zu Ehepartnern schaffe und deswegen dringend reformiert werden müsse.

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Dass sich so wenige deutsche Politiker_innen prominent als Feminist_innen positionieren, liegt laut der Grünen auch daran, dass es "eben auch wenige [gibt], die tatsächlich feministisch agieren." Deswegen bewertet sie es als positiv, dass sich etwa Kanzlerin Angela Merkel das Wort nicht selbst zuschreibt, ohne sich tatsächlich für den Feminismus stark zu machen.


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Als "verbale Aufgeschlossenheit bei weitestgehender Verhaltensstarre" bezeichnet es hingegen Katharina Oerder von der SPD und zitiert damit den mittlerweile verstorbenen Soziologen Ulrich Beck. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch Martin Schulz als Feminist bezeichnet. Das ändert aber nichts daran, dass er neben sich nur Männer stellt", erklärt sie mit Blick auf die vielfach kritisierte Verpflanzung der bisherigen SPD-Generalsekretärin Katharina Barley ins Familienministerium, deren alter Posten nun an den ehemaligen SPD-Wirtschaftsexperten Hubertus Heil geht.

"Es ist wichtig, dass meine Töchter wissen, dass ihr Vater ein Feminist ist, denn jetzt erwarten sie das gleiche von allen Männern."

Und natürlich: Allein dadurch, dass sich Trudeau in Kanada oder Obama in den USA selbst Feministen nennen, heißt das noch lange nicht, dass sie im feministischen Interesse agieren. Andersrum können sich auch Politiker_innen, die sich selbst nicht Feminist_in nennen, in der Praxis für feministische Werte einsetzen. Aber schaffen Worte nicht auch Realität? Ganz unwichtig sei die Eigenbezeichnung nicht, bestätigt die Soziologin Villa von der LMU. Aber Worte allein schaffen auch nicht viel, fügt sie hinzu.

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"Wenn sich Trudeau Feminist nennt, dann hört die Welt zu", erklärt sie. "Das hat nicht nur eine Vorbildfunktion, sondern rahmt politisches Handeln." Das bedeutet laut Villa andersherum auch: Wenn die Politik den Begriff meide, bleibe die Vorstellung in den Köpfen, dass es sich dabei um eine radikale Idee handle, die nicht in unsere Gesellschaft passt.

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"Es ist wichtig, dass meine Töchter wissen, dass ihr Vater ein Feminist ist, denn jetzt erwarten sie das gleiche von allen Männern", schrieb Obama 2016 für das amerikanische Frauenmagazin Glamour. Damals als mächtigster Mann der Welt. "Solange ich frauenfördernde Maßnahmen durchbringe, ist es meiner Meinung nach egal, wie ich das nenne", sagt wiederum Jenna Behrends und steht damit in der deutschen Polit-Landschaft nicht alleine da.

Villa scheint also nicht zu Unrecht zu vermuten, dass das F-Wort hierzulande auch weiterhin erstmal ein unbequemer Begriff bleibt. Ein Begriff, zu dem man sich nur nach mehrmaligem Nachfragen bekennt – und mit einem "ja, aber".

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