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Der wohl berühmteste deutsche "Wunderheiler" ist tot

Längst nicht alle seiner Anhänger glauben an einen natürlichen Tod, wie Chats aus geschlossenen Facebook-Gruppen zeigen.
Symbolbild einer hochwissenschaftlichen Krebszelle. Den etablierten medizinischen Theorien zu dieser Erkrankung stellte Hamer in seiner Lehre andere Konzepte entgegen. Bild: Imago, Science Photo Liberary

Der oft als "Wunderheiler" bezeichnete Ryke Geerd Hamer ist im Alter von 83 Jahren in Norwegen nach einem Schlaganfall verstorben. Das geht aus Beiträgen seiner engsten Vertrauten in geschlossenen Facebook-Gruppen sowie Statements gegenüber dem österreichischen Standard und einer Meldung des Ruhrbarone-Blogs, die zuerst über den Todesfall berichteten, hervor. Hamer gilt als Begründer der pseudowissenschaftlichen "Germanischen Neuen Medizin", die Methoden der Schulmedizin weitestgehend ablehnt und stattdessen behauptet, das Lösen von inneren Konflikten würde zur wundersamen Genesung führen.

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Laut einem Bericht von VICE geben die Anhänger der "Germanischen Neuen Medizin" an, es gebe etwa 100.000 von ihnen in Deutschland. In geschlossenen Facebook-Gruppen, die Motherboard einsehen konnte, sind es eher 10.000, die sich – zumindest semi-öffentlich – zur "Germanischen Neuen Medizin" bekennen.

Bild: Screenshot, Facebook

Dort ist auch ein Nachruf zu finden, der von einer Administratorin gepostet wurde und der sich auf Hamers selbsternannte Jünger Erika und Helmut Pilhar aus Österreich beruft. Unter dem Nachruf sind inzwischen weit über 100 Kommentare von Anhängern, die ihr Mitleid ausdrücken und ihm für seine langjährige Arbeit danken.

In geschlossenen Facebook-Gruppen sammeln sich Beileidsbekundungen und Verschwörungstheorien zu Hamers Tod. Bild: Screenshot, Facebook.

Auch Verschwörungstheorien finden sich schnell unter den Beileidsbekundungen. Ärzte könnten schließlich "nachgeholfen" haben. Selbst der Schlaganfall wird angezweifelt. Weil viele Menschen aktuell Schlaganfälle erleiden, "sollte uns [das] zu denken geben!". Das zeigt sehr gut, wie sehr selbst die einfachsten schulmedizinischen Fakten in diesen Gruppen angezweifelt werden.

Die Opfer der "Germanischen Neuen Medizin"

Nicht immer gehen die Behandlungsmethoden der "Neuen Germanischen Medizin" glimpflich aus: Der berühmteste Fall eines Opfers durch die pseudowissenschaftlichen Methoden ereignete sich 1995. Damals weigerte sich die österreichische Familie Pilhar, einen Nierentumor ihrer Tochter Olivia mit einer Chemotherapie behandeln zu lassen. Erst nach sieben Wochen Flucht, zahlreichen Medienberichten und dem Entzug des Sorgerechts gaben die Pilhars nach und Olivia bekam eine Chemotherapie, die ihr das Leben rettete, wie Gwup, eine Watch-Organisation für pseudowissenschaftliche Entwicklungen, und der Spiegel ausführen.

Doch es gibt auch Berichte von Fällen, in denen es unter Anhängern der "Neuen Germanischen Medizin" zu Todesfällen kam. So zitiert die Deutsche Krebsgesellschaft den Fall des 25-jährigen Sören W., der 2002 an Hodenkrebs erkrankte und bis zu seinem Tod ein Jahr später Hamers Thesen vertraute.

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Hamers Theorien

Bereits 1986 wurde Ryke Geerd Hamer die Approbation entzogen. Gegen Hamer lagen Haftbefehle in Deutschland und Österreich vor, denen er durch eine Flucht nach Norwegen entgehen konnte. Seine Beerdigung soll in Deutschland stattfinden.

In Dokumenten, die Hamers Anhänger in geschlossenen Facebook-Gruppen posten, werden die angeblichen Heilkünste Hamers ausführlich beschrieben: So soll Hamer in seinen Theorien behaupten, Krankheiten würden durch einen Schock ausgelöst. Krebs könnte etwa durch einen Streit verursacht werden. Heilung könnte nur dann möglich sein, wenn man die Ursache des Schocks behandelt.


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Hamer, der 1935 im deutschen Mettmann geboren wurde, machte Zeit seines Leben Juden dafür verantwortlich, dass seine pseudowissenschaftlichen Thesen keine breite öffentliche Anerkennung fanden. Das zumindest sagt er in einem Videointerview, in dem er außerdem einen Rabbiner als "größten Massenmörder der Menschheitsgeschichte" bezeichnet und auch ausführt, dass dieser Religionsgemeinschaft "Universitäten, Banken, einfach alles gehören". Eine Argumentation, die typisch ist für antisemitische Verschwörungstheorien.

Die Pilhars haben auf Motherboard-Anfrage nicht reagiert, dem österreichischen Standard gegenüber gab Erika Pilhar an, Hamers Lehren "weiter unters Volk" zu bringen.