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Gottesdienst

Wegen Kopfhörern: Polizisten stellen Afghanen mit Maschinenpistolen

An zu lauter Musik lag es nicht.
Foto Polizisten: imago | Jochen Track || Domplatz: imago | Rainer Unkel || Kopfhörer: pixabay | anybid 

Dass junge Menschen die Frühmesse einer Kirche besuchen, ist in Deutschland zwar ungewöhnlich, aber meistens nicht so ungewöhnlich, dass deswegen 20 Streifenwagen anrücken müssen. Es sei denn offenbar, der Kirchenbesucher ist Afghane und betritt mit aus dem T-Shirt hängenden Kopfhörern den Regensburger Dom. Denn wir leben wohl in einer Zeit, in der bibelfeste Oberpfälzer mit einem brutalen Anschlag auf ihre Heiligtümer rechnen. Anders ist der massive Polizeieinsatz, bei dem am Dienstagmorgen der Regensburger Dom und dessen Vorplatz für eineinhalb Stunden geräumt wurden, jedenfalls schwer zu erklären.

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Es braucht nicht besonders viel Fantasie, um sich die durchschnittlichen Besucher einer katholischen Morgenmesse in Bayern vorzustellen: sehr deutsch, sehr weißhaarig. Zum Gottesdienst am Dienstagmorgen kam aber ein 20-Jähriger, der deutlich anders aussah. Ein junger Mann mit weißer Jeans und schwarzen Haaren, der sich unter die Kirchgänger mischte. "Er war alkoholisiert", sagt ein Polizeisprecher zu VICE. "Sicherlich eine Situation, die für die Teilnehmer der Messe schwer einzuschätzen war." Tatsächlich war der junge Mann offenbar so schwer einzuschätzen, dass einer der Dombesucher zum Handy griff und die Polizei alarmierte. Der erzählte er von einem Mann mit "arabischem Aussehen", der sich im Dom aufhalte. Aus seiner Kleidung, berichtete der Zeuge der Polizei, würden Kabel hängen. Außerdem könne man "deutliche Ausbeulungen" unter seiner schwarzen Jacke sehen.

Der Mann, der den Anrufer so nervös machte, blieb derweil in der Kirche sitzen. Er schaute sich die Messe ganz bis zu Ende an, nicht ahnend, dass draußen 20 Streifen anrückten, den Domvorplatz räumten, Polizisten ihre MP5-Maschinenpistolen in Anschlag brachten und sich auf den Kontakt mit einem potentiellen Selbstmordattentäter vorbereiteten.

"Auf den ersten Blick konnten die Beamten vor Ort nicht ausschließen, dass von dem Mann eine Gefahr ausgeht", sagt ein Polizeisprecher zu VICE. Deswegen sei man nach Protokoll vorgegangen. Als der 20-Jährige den Dom verließ, hielten ihn Polizisten mit Waffen in Schach und zwangen ihn auf den Boden. Dort habe man sich ihm extrem vorsichtig genähert und ihn fixiert, sagt der Polizeisprecher. Dann habe man aber "sehr zügig" feststellen müssen, dass es sich bei der ganzen Aktion um einen Fehlalarm handelte.

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Die Kabel, die dem Verdächtigen aus der Kleidung hingen, waren nämlich bloß seine Kopfhörer. Und die Ausbeulungen in seiner Kleidung stammten von zwei Trinkflaschen, die er sich unter die Jacke gesteckt hatte. Kein Selbstmordattentäter also, sondern nur ein betrunkener junger Mann, der die falsche Haarfarbe für einen morgendlichen Kirchenbesuch hatte.

Es ist nicht das erste Mal, dass die deutsche Polizei fälschlicherweise glaubt, es mit einem Terroristen zu tun zu haben. Vor zwei Wochen erst hielten bayerische Schleierfahnder einen jungen Syrer an und fanden in dessen Auto etwas, das sie zuerst für einen Sprengstoffgürtel hielten. In Wirklichkeit handelte es sich bei dem Fund aber um eine selbstgebastelte Kameraausrüstung, die der Mann dazu benutzte, bei seiner Führerscheinprüfung zu schummeln. Genau wie in Regensburg klärte sich auch diese Verwechslung in wenigen Minuten auf.

Der 20-Jährige, den die Polizei am Dienstagmorgen vor dem Regensburger Dom gestellt hatte, kam nach dem Vorfall erst einmal in Polizeigewahrsam. Und das, obwohl sich das Kopfhörer-Bombenzünder-Missverständnis bereits aufgeklärt hatte. Man habe sicherstellen wollen, sagt der Polizeisprecher zu VICE, dass der Mann die Situation nicht absichtlich herbeigeführt habe. Man weiß ja nie, manchen Menschen macht es vielleicht einfach Spaß von einem Haufen nervöser Ordnungshüter fast umgelegt zu werden. Inzwischen hat aber auch die Polizei festgestellt, dass den Afghanen bei dieser Sache wirklich gar keine Schuld trifft.

Genauso wenig habe der Anrufer, der die Sache ins Rollen brachte, etwas falsch gemacht, sagte ein Polizeisprecher dem Münchner Merkur. "Wir sind froh über diesen Ausgang und die Mitteilung des Passanten. Er hat alles richtig gemacht." Mit anderen Worten: Das Ganze ist also gerade noch einmal gut gegangen. Schade nur für die katholische Kirche. Eine weitere Folge hat der Vorfall nämlich auf jeden Fall: Es gibt in Deutschland einen 20-Jährigen mehr, der garantiert nie wieder in seinem Leben eine Messe betreten wird.

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