FYI.

This story is over 5 years old.

Das Netz vergisst nicht

Dieses Browser-Add-on zeigt, was Politiker für einen Müll verzapft haben

Das Netz vergisst nicht: Eine Software blendet Strittiges ein, sobald die Namen bestimmter Politiker auf dem Bildschirm auftauchen.
Eine von der Software veränderte Überschrift bei Bild.de

Als der Bundestag darüber abstimmte, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, stimmte Horst Seehofer mit "Nein". 1997 war das. 2018 programmierten zwei Entwickler ein Add-on, das "Kontext" heißt. Wenn die Namen von Politikern irgendwo im Netz genannt werden, ordnet die Anwendung ihnen automatisch weitere Informationen zu. Zum Beispiel Strittiges aus ihrer Vergangenheit, pro Person gibt es bisher maximal zwei Infos. Für den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer spuckt "Kontext" nur diese Info aus:

Anzeige

Eine Schlagzeile, ergänzt durch eine Information des Add-ons "Kontext" | Screenshot: Zeit Online

Entwickelt haben das Add-on die Journalisten und Netzaktivisten Moritz Klack und Arne Semsrott (der Bruder des Satirikers Nico Semsrott, um auch hier ein bisschen Kontext zu liefern). Semsrott schreibt unter anderem für netzpolitik.org, einen renommierten Blog für "digitale Freiheitsrechte". Klack ist Datenjournalist und arbeitet viel zu Thema Videoüberwachung. Zusammen haben sie "Kontext" als Open-Source-Projekt gestartet. Bisher gibt es eine Reihe von Politikern, für die Kontexte bereitgestellt werden, die meisten aus der AfD. Etwa Björn Höcke, Beatrix von Storch und Alexander Gauland von der AfD, und eben Horst Seehofer. Aber auch Informationen zu Angela Merkel und dem SPD-Parteichef Martin Schulz sind in Arbeit.

Der Kontext besteht bisher aus einem Satz, der nach dem Nachnamen in den Beitrag eingefügt wird – im Original-Layout der entsprechenden Seite. Bei Alice Weidel sieht das dann so aus:

Der Einschub hinter "Weidel" ist nicht vom Rest des Textes zu unterscheiden | Screenshot: Münchener Merkur

Das Add-On funktioniert (fast) überall, auf einschlägigen AfD-nahen Seiten wie PI-News und Compact, aber auch auf offiziellen Seiten wie der Homepage des Thüringer Landtages oder den Seiten der AfD selbst. Wer die Anwendung nutzen möchte, kann sie in den Web-Stores von Chrome und Firefox gratis herunterladen und in seinem Browser installieren – und findet anschließend automatisch zum Beispiel folgende Information über Björn Höcke in jedem Text und auf jeder geöffneten Seite:

Anzeige

Auch auf der Seite des Thüringer Landtags ergänzt das Add-on Informationen – hier zu Björn Höcke | Screenshot: Offizielle Seite des Landtags in Thüringen

Das ist einerseits unterhaltsam und bestenfalls hilfreich – wird andererseits aber auch kritisiert. Für Nutzer ist nicht zu erkennen, woher die Ergänzungen im Text kommen. Das Add-on verwendet die gleiche Schrift wie die jeweilige Seite, im Blog Nerdcore kritisiert dessen Gründer René Walter daher: "Die Einblendungen werden nicht als Einblendungen kenntlich gemacht, sondern als Sort-of-Trojaner in das Layout mit gleicher Schrift und gleichen Styles eingefügt. Ob das ein Eingriff in die Pressefreiheit ist, mag ich nicht beurteilen." Aber ein Problem wird schnell deutlich: So können unter anderem nämlich auch Zitate verändert werden, wie dieses hier:

Screenshot: Spiegel Online

Der Einschub, der hier markiert ist, wird nicht automatisch durch das Add-on kenntlich gemacht. Intransparent bleibt auch, woher die entsprechenden Informationen kommen und welche Quellen die Entwickler verwenden. Erst ein Blick die Open-Source-Software, mit der die Anwendung programmiert wurde, gibt Aufschluss.

Wenn bei Horst Seehofer heute sein "Nein" zur Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe auftaucht, ist diese Position mehr als 20 Jahre alt ist – so unakzeptabel sie auch sein mag. Hat sich Seehofer mittlerweile dafür entschuldigt? Oder sieht er das immer noch so? Das erfährt der Leser nicht.

Sieben Menschen arbeiten an der Weiterentwicklung der Software. Diskutiert wird etwa, ob man die Ergänzungen nicht lieber als Link zu der Original-Quelle darstellen sollte. Richtig interessant wird das Add-on, wenn die Datenbank so gut gefüllt ist, dass dort auch weniger prominente Politiker gelistet sind, sodass die Nutzer Neues über bisher relativ Unbekannte erfahren können. Allerdings erhöht das auch auch eine Gefahr des Open-Source-Projekts: dass "Kontext" dazu genutzt werden könnte, politische Gegner zu verunglimpfen.

Folge Philipp bei Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.