Meer und Strand
Hintergrundbild: Sabine Minninger || Frau am Computer: imago | Levine Roberts || Bearbeitung: Motherboard

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Tuvalu: Der winzige Pazifikstaat, der mit der .tv-Domain Millionen verdient

Fast jeder im Internet hat schon einmal eine .tv-Seite besucht. Doch kaum einer kennt die Geschichte des Inselstaats hinter der Domain, der gegen seinen Untergang kämpft.

Twitch, Arte, Periscope und auch Motherboard. Sie alle haben eines gemeinsam: Ihre Domains enden mit dem Kürzel .tv. Die beiden Buchstaben sind keine Abkürzung für "Television", hinter der Top-Level-Domain steckt ein Land. Ein Land, das sich dank der Domain den UN-Beitritt und gepflasterte Straßen leisten konnte. Ein Land, das am Anfang der Geschichte nicht einmal wusste, was das Internet ist: Tuvalu.

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In Tuvalu leben knapp 11.000 Einwohner auf neun Atollen. Alle Atolle zusammen sind nur 26 Quadratkilometer groß. Das sind so viele Menschen wie zum Beispiel im niedersächsischen Bad Fallingbostel leben. Verteilt auf die Fläche der mecklenburgischen Kleinstadt Neubukow. Das Land hat die kleinste Volkswirtschaft der Welt, und der Erlös aus der Domain macht über zehn Prozent seines Bruttoinlandsproduktes aus. Fast jeder Internetnutzer hat wohl schon einmal eine .tv-Website aufgerufen, aber kaum einer kennt die Geschichte hinter der Domain.

Um mehr darüber zu erfahren, wie Tuvalu es schafft, mittlerweile fünf Millionen US-Dollar pro Jahr mit seiner Länderkennung zu verdienen und was die Inselbewohner von ihrem Internet-Fame halten, haben wir mit einem japanischen Fotografen gesprochen, der die Entwicklung der Domain von Anfang an miterlebt hat. Und wir haben mit Tuvaluern gesprochen, die eigentlich heute von dem Domain-Deal profitieren sollten – und die uns davon berichten, dass kein Geld der Welt ihr größtes Problem lösen kann.

So entstand die Idee von Tuvalu als Domain-Paradies

"Ist das Internet ein Fisch, kann man das essen?" Mit dieser Frage begann der kommerzielle Erfolg von .tv im Mai 1998. Damals trafen sich fünf Teams auf dem Inselstaat. Sie warben um die Gunst der Regierung, die Domains mit der Endung .tv verwalten zu dürfen und damit Geld zu verdienen. So berichtet es der japanische Fotograf Shuuichi Endou, der damals selbst mitgeboten hat, im Gespräch mit Motherboard.

Für Tuvalu ist die .tv-Domain ein Glücksfall. Denn Länder können sich ihre Top-Level-Domains nicht aussuchen. Es sind genau die zwei Buchstaben, die die Internationale Organisation für Normung (ISO) einem Land zuweist. Einige Investoren ahnten, dass gerade .tv für Fernseh- und Medienorganisationen interessant werden würde und wollten in das Geschäft einsteigen. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Tuvaluer noch nichts von ihrem Glück.

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Endou sagte, dass im Jahr 1998 auf der Insel niemand außer der Regierung Computer besessen hatte. Fünf Stück waren es, eine Internetverbindung gab es nicht, nicht einmal ein lokales Netzwerk: "Es hat gedauert, bis sie das Konzept 'Internet' verstanden haben." Sein Interesse an der Domain war schon früher erwacht, und im Vergleich zu den anderen Bietern ging es ihm nicht ums große Geld. Für ihn vereinten sich in Tuvalu mehrere seiner Interessen: "Ich war Architekt und habe schon früh, in den 90ern, mit dem Internet gearbeitet und Häuser am Computer modelliert. Tauchen sei damals eines seiner weiteren Hobbys gewesen, gerade die kleinen Inselstaaten hätten ihn fasziniert.

Tuvalu kann Geld im Kampf gegen den Klimawandel gut gebrauchen

Sandsäcke am Strand von Tuvalu

Um sich vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen, stapeln die Tuvaluer Sandsäcke an den Stränden | Bild: Sabine Minninger

Wie real die Gefahr für Tuvalu inzwischen ist, weiß der 34-jährige Maina Talia genau. Er hat sein Leben auf den Inseln verbracht, und zwar als Koordinator aller NGOs aus Tuvalu. Sein größtes Anliegen ist der Klimaschutz. Schon vor vier Jahren warnte er im Guardian, dass seine Heimat, deren höchster Punkt nur 4,6 Meter über dem Meeresspiegel liegt, vom Meer verschluckt wird und forderte Hilfe von Nachbarn wie Australien.

"Es ist nicht nur ein Problem, dass es wärmer wird und häufiger Stürme kommen", erklärt er im Telefonat mit Motherboard. "In der Mitte unserer Insel kommt das Salzwasser durch den Boden. Die Entwicklung macht unsere traditionelle Landwirtschaft mit Kokosnusspalmen, Brotfruchtbäumen und Wurzeln unmöglich." Die Bewohner hätten angefangen, hängende Gärten anzulegen oder Pflanzen in Töpfen wachsen zu lassen, um sie bei einer Überschwemmung an einen anderen Ort bringen zu können. Die Menschen von Tuvalu sind von Importen abhängig, denn nur mit der eigenen Landwirtschaft können sie sich nicht versorgen.

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Das Salzwasser zerstört auch natürliche Trinkwasserreserven. Talia sagt: "Wir sind zu hundert Prozent auf Regenwassergewinnung angewiesen. Regnet es zwei oder drei Wochen nicht, ist das für uns eine Katastrophe."

Kann Geld aus dem Internet Tuvalu retten?

Endou wollte etwas gegen den drohenden Untergang der Pazifikinseln tun: "Ich begann, im Internet zu suchen, was man tun könnte. Damals gab es ja noch nicht mal Google, es gab nur Yahoo. Ich habe gesucht, gesucht und gesucht und dann kam ich auf die Idee, dass die Domain ja für Fernseh- und Medienunternehmen sehr attraktiv sein könnte und man damit Geld für den Umweltschutz machen könnte."

"Zwei Jahre nach der Anfrage kam ein Fax zurück."

Schon 1996 schickte er deshalb ein Fax an die tuvaluische Regierung. Endous Plan war es, mit einem Teil der Gewinne aus der Domainverwaltung eine Stiftung zu finanzieren, die sich dem Erhalt der Umwelt verschreibt. Aber er bekam keine Antwort. "Im April 1998 kam ein Fax zurück – zwei Jahre später!" Dann ging alles sehr schnell, schon einen Monat später trafen sich fünf Bieter-Teams auf der Hauptinsel Funafuti. Endou präsentierte seinen Vorschlag als erster und er war auch derjenige, den ein Regierungsvertreter fragte, ob das Internet so etwas wie ein Fisch sei.

Auf Tuvalu ist das Internet immer noch langsam und teuer

Start des 4G-Angebots

Schlangen zur Einführung der 4G-Tarife | Bild: TuvaluOverview

Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen und das Internet ist fast in jeder Ecke der Welt angekommen. Doch die Anbindung Tuvalus ist noch immer schlecht. Das merken wir auch bei unseren Recherchen, als wir versuchen, die Regierung Tuvalus per Mail zu erreichen. Mehrmals versuchen wir, Ministerien zu erreichen, keine der Mailadressen funktioniert. Der deutsche Konsul Tuvalus erklärt uns lapidar: "Die .tv-Adressen sind leider häufig nicht zu erreichen."

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Talia sagte Motherboard, dass schätzungsweise siebzig Prozent der Tuvaluer das Internet nutzen. "Aber es ist immer noch eines der größten Probleme auf der Insel. Es kostet dich ein Vermögen und ist sehr langsam." Seit März ist auch 4G-Smartphone-Empfang verfügbar, die Warteschlangen bei der Einführung waren lang – 5 Gigabyte kosten umgerechnet circa 65 Euro. "Vor allem jungen Leute nutzen das, um über Facebook zu kommunizieren", sagte Talia.

Am Ende setzte sich die Firma DotTV durch, weil sie den größten Gewinn versprach

Endous Idee, Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung zu verbinden, konnte sich bei den Verhandlungen nicht durchsetzen. Den Zuschlag für die Vergabe der .tv-Domains bekam schließlich der Kanadier Jason Chapnik. Sein Plan versprach viel höhere Einnahmen, über einen Zeitraum von zehn Jahren sollte eine Million US-Dollar pro Quartal an die tuvaluische Regierung fließen, exklusive möglicher Inflation – gedeckelt auf einen Gesamtbetrag von 50 Millionen.

Briefmarke mit Motiv zur .tv-Domain

Briefmarke zur Feier der .tv-Domain | Bild: imago | Levine-Roberts

Zusätzlich vereinbarte man noch eine zwanzigprozentige Beteiligung an der Firma. "The sky is the limit" verkündete Chapnik zu dem Deal im Herbst 1998. Die Freude war groß, zu Ehren des Verkaufs an Chapniks Firma DotTV druckten die Tuvaluer eine eigene Briefmarken-Edition.

Warum das Internet den Telefonsex auf Tuvalu killte

Mit dem Geld aus der virtuellen Landespräsenz konnte Tuvalu nicht nur seinen UN-Beitritt und die Flüge zu den UN-Sitzungen zahlen, sondern auch Straßenbeleuchtung installieren und Straßen teeren. Endou ist nicht sauer auf die Regierung, weil sie seinen Vorschlag ausgeschlagen hat. Er sagt, den wirtschaftlichsten Deal anzunehmen sei das einzig Vernünftige gewesen, was die Regierung hätte tun können. Der Geldsegen habe aber auch negative Seiten gehabt. "Mit den Straßen kamen die Autos und Motorräder. Mittlerweile gibt es unglaublich viele Motorräder in Tuvalu und die wurden selbst zum Umweltproblem." Denn die kaputten Fahrzeuge bleiben auf der Insel, an den Stränden stapeln sich die rostigen Wracks.

Überschwemmung nach einem Sturm

Überschwemmungen nach einem Sturm | Bild: imago | ZUMAPress

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Noch etwas anderes konnte sich Tuvalu nun leisten: Das Land war nicht mehr auf eine seiner vorigen Einnahmequellen angewiesen und konnte die Vermietung ungenutzter Telefonnummern mit der Ländervorwahl +688 an Telefonsex-Hotlines einstellen. Dem vom christlichen Glauben dominierten Land mit dem Staatsmotto "Tuvalu for God" waren diese Geschäfte schon länger unangenehm. "Wir brauchen keine Telefonsex-Anrufe mehr", sagte der damalige Premierminister Ionatana Ionatana. "Sie haben unserem Ruf als Christen geschadet."

Wie Tuvalu mittlerweile 5 Millionen US-Dollar pro Jahr an seiner Domain verdient

Nur ein Jahr nach dem gefeierten Deal mit Chapnik gab es jedoch ein Problem: Der kanadische Unternehmer konnte nicht mehr zahlen, das Marketing für die tv-Endung verlief schleppend. Anfang des Jahres 2002 kaufte daher die Firma VeriSign für 45 Millionen US-Dollar DotTV. Seitdem verwaltet das US-Unternehmen, das auch für .com und .net zuständig ist, die tv-Domain. Anfänglich erhielt Tuvalu dafür etwa zwei Millionen US-Dollar pro Jahr plus einer Beteiligung an den Einnahmen VeriSigns, die mehr als 20 Millionen betrugen.


Ebenfalls auf Motherboard: Zu Besuch auf der Insel der Raubfische


Doch angesichts der Erfolge, die Verisign mit .tv feierte, fühlte sich die Regierung Tuvalus ungerecht behandelt. Der damalige Finanzminister klagte 2010 im neuseeländischen Radio darüber, dass Verisign dem Land nur Peanuts hinwerfe. Die nächste Verhandlungsmöglichkeit gab es aber erst im Jahr 2016.

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Damals hat Tuvalu es zumindest teilweise geschafft, bessere Konditionen zu verhandeln. Fünf Millionen US-Dollar pro Jahr soll Verisign nun jährlich bis zum Jahr 2021 zahlen: Bei einem momentanen Bruttoinlandsprodukt von etwa 37 Millionen ist das ein Anteil von 13,5 Prozent an den gesamten staatlichen Einnahmen.

"Es gibt keinen Plan B für Tuvalu. Erst recht keinen Plan C oder Plan D. Wir haben das Recht, auf unserem Land zu leben."

Kinder am Strand von Tuvalu

Kinder am Strand von Tuvalu | Bild: Sabine Minninger

Wie viele .tv-Domains derzeit registriert sind, lässt sich nicht herausfinden. Auf Anfragen von Motherboard teilte VeriSign mit, dass es weder die Anzahl der registrierten Domains noch andere Statistiken veröffentliche.

Den Klimawandel kann das Geld nicht stoppen

Doch auch wenn das Geld den Tuvaluern hilft, kann es ihr größtes Problem nicht lösen. "Die internationale Gemeinschaft muss erkennen, dass Menschen auf der Welt wegen ihres Lebensstils leiden", sagt Talia. Er fordert, dass die Weltgemeinschaft endlich handelt, um seine Heimat zu retten: "Wir auf Tuvalu tragen fast nichts zum Klimawandel bei, es gibt keine einzige Fabrik auf den Inseln. Aber wir sind die ersten, die darunter leiden."

Einige Menschen haben bereits die Inseln verlassen. Im Jahr 2014 erkannte Neuseeland eine tuvaluische Familie als die weltweit ersten Klimaflüchtlinge an. Doch die meisten wollen bleiben, sagte Maina. Auch die Regierung will das. "Es gibt keinen Plan B für Tuvalu. Erst recht keinen Plan C oder Plan D. Wir haben das Recht, auf unserem Land zu leben."

Deshalb fährt er weiter zu Weltklimakonferenzen, um auf die Probleme Tuvalus aufmerksam zu machen. Seine Bitte an die internationale Gemeinschaft ist sehr einfach: "Sie müssen ihren Teil übernehmen, es geht um Gerechtigkeit. Wenn wir in Tuvalu über Klimawandel reden, dann reden wir über unser nacktes Überleben." Auch Shuuichi Endou setzt sich mit seiner NGO TuvaluOverview weiter für Tuvalu ein, obwohl aus dem Domain-Deal nichts wurde, beschäftigt ihn das Land bis heute. Er arbeitet seit mehreren Jahren daran, alle Einwohner Tuvalus zu fotografieren und zu porträtieren, um sie für die Welt sichtbar zu machen.

Steigt der Meeresspiegel weiterhin so schnell, wie die UN vorhersagt, dann könnte Tuvalu schon in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar sein. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht bald etwas unternimmt, könnte Tuvalu als erstes Land nur noch als virtueller Staat weiterleben.

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