Wir stehen auf dem Parkplatz und schauen 20 Minuten lang hoch in den Himmel. Watsun Atkinsun hat sich gerade eine Menthol-Zigarette angezündet. Er hält sie zwischen zwei Fingern und zeichnet mit ihr die Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel nach. Dabei redet er in einem fort über Chemtrails, Strahlenwaffen und weitere Schikanen, die sich die allmächtige Elite seiner Meinung nach ausgedacht hatte, um die Menschheit zu unterjochen.
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Der Tätowierer aus Portland ist von Kopf bis Fuß mit okkulten Zeichen und Iron Maiden-Schriftzügen tätowiert. Seinen Hals ziert der Spruch: Not afraid to ride. Not afraid to die. Atkinsun zieht an seiner Zigarette und wendet sich dann wieder unserem Gespräch zu.Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter"Nichts ist einfacher, als die Theorie einer runden Erde zu widerlegen", sagte er. "Wir wissen, dass die Erde flach ist. Aber was kommt als nächstes?"Das weiß ich gerade auch nicht. Daher nicke ich höflich und gehe wieder nach drinnen.Es ist bereits der zweite Tag der weltweit ersten "Flat Earth International Conference" und mir brummt der Schädel. Die letzten 48 Stunden habe ich in dem Veranstaltungssaal eines Hotels mit 500 Menschen verbracht, die fest daran glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Ich habe mir stundenlang Vorträge von apokalyptischen Predigern, dubiosen Podcast-Produzenten und selbsternannten Wissenschaftlern angehört. Jede Unterhaltung mit anderen Teilnehmern war in etwa so abgelaufen, wie das Gespräch mit Atkinsun auf dem Parkplatz.
Ich bin zu der Konferenz, die vom 9. bis 10. November 2017 stattfand, nach North Carolina gereist, um Flat-Earther persönlich zu treffen. Ich will besser verstehen, inwiefern die Sozialen Medien und das aktuelle politische Klima in den USA dazu beitragen, dieser uralten und doch hochaktuellen Verschwörungstheorie neues Leben einzuhauchen.
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Uralte Verschwörungstheorie erlebt Renaissance – dank YouTube und Twitter-Schlammschlachten
Das Treffen unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht nicht von anderen Konferenzen: Im Gang stehen Aussteller, im Festsaal finden die Vorträge statt, zwischen den Programmpunkten gibt es Pausen und abends einen Empfang mit Gratisgetränken. An einem der Stände bietet ein Kunsthandwerker mit schulterlangen weißen Haaren hölzerne Modelle der Scheibenerde an. Ein paar Tische weiter verkaufen ein paar ältere Damen selbstverlegte Bücher über Verschwörungstheorien.Bei der Flat-Earth-Bewegung geht es noch um viel mehr, als die Form unseres Planeten. Sie ist ein Aufbegehren gegen jegliche Form von Autorität.
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Bei den Konferenzbesuchern handelt es sich vorrangig um weiße Männer mittleren Alters, von denen jeder mehr als 100 US-Dollar für die Teilnahme gezahlt hatte. Als sie herausfinden, dass ich Journalist bin, fragen mich viele Teilnehmer scherzhaft: "Sehen wir nicht ganz normal aus?"
Für den Veranstalter ist es der Auftakt einer Revolution
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Atkinsun sieht die Situation wie folgt: "Der Dritte Weltkrieg hat bereits begonnen. Der wird nicht etwa gegen Nordkorea geführt, sondern gegen souveräne Bürger auf der ganzen Welt." Anhänger der "souveränen Bürgerbewegung" sind, ähnlich wie sogenannte "Reichsbürger" in Deutschland, der Ansicht, dass die Regierungen ihrer jeweiligen Staaten illegitim seien. "Wir erleben einen Frontalangriff auf unsere Freiheit, unsere Gedanken und auf unsere Erde", sagt Atkinsun weiter. "Zu erkennen, dass die Erde eine Scheibe ist, ist nur der erste Schritt, die Täuschung zu durchschauen."
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Die meisten Konferenzteilnehmer, mit denen ich spreche, hatten sich erst vor zwei Jahren der Flat-Earth-Bewegung angeschlossen, nachdem Eric Dubay "The Flat Earth Conspiracy" veröffentlicht hatte und damit ein YouTube-Phänomen auslöste. Insgesamt bringen es die Hauptredner der Konferenz auf über 680.000 YouTube-Abonnenten und über 90 Millionen Views. Der Bewegung ist es in den USA anscheinend gelungen, an das gleiche Gefühl der Desillusionierung zu appellieren, das Donald Trump 2016 auch zum Wahlsieg verholfen hat. Hochgeputscht durch Echokammern im Internet versucht die Bewegung nun sogar, rationale Stimmen im wissenschaftlichen und politischen Diskurs zu übertönen. Für die Flat-Earther spielt es dabei natürlich keine Rolle, wer im Weißen Haus sitzt – denn schließlich erkennen sie die Regierung der USA sowieso nicht an.Für die Anhänger der flachen Erde begann das große Täuschungsmanöver vor ungefähr 500 Jahren mit Nikolaus Kopernikus. In seiner Dokumentation ImpossiBall beschreibt Davidson, wie die Theorie des heliozentrischen Weltbildes, die die Sonne als Mittelpunkt des Universums etablierte, von der herrschenden Elite instrumentalisiert wurde. Mark Sargent, ein prominenter Flat-Earther auf YouTube, formuliert es auf der Bühne wie folgt: "Ich möchte hier keine bestimmten Namen nennen, egal ob es um die Illuminaten, die Bilderbergs, die Trilaterale Kommission, den Vatikan oder jemand anderen geht. Auf jeden Fall reden wir von einer kleinen, gruseligen Gruppe rauchender Männer, die um einen langen Tisch versammelt sitzen."Die Flat-Earther glauben, dass diese Elite die "Lüge" verbreitete, dass die Erde rund ist und in einem unendlichen Universum mit Milliarden von Planeten existiert, auf denen es sogar außerirdische Lebensformen geben könnte. Diese Lüge wurde ihrer Meinung nach in die Welt gesetzt, um die Menschheit von Gott zu distanzieren und dessen Position auf der Erde für sich zu beanspruchen.
Alles begann mit Kopernikus
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"Sie wollen Gott verstecken", heißt es mehrfach vom Rednerpult, ein Ausspruch, der fast immer Applaus vom Publikum erntet. Flat-Earther sehen nur eine Möglichkeit, die Identität und Freiheit der Menschheit zurück zu erobern: Sie müssen sich jedweder Autorität widersetzen und die Erde – und somit auch den Menschen – wieder als Mittelpunkt des Universums etablieren.
Mondlandung, 11. September – Alles Lüge, sagen Flat-Earther
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"Es gibt viele Bezeichnungen, die du jemandem an den Kopf werfen kannst, sei es Höhlenmensch, Spinner oder Idiot", sagte mir der Maschinenbauer Rob Munroe bei der Konferenz. "Aber wenn man jemanden als Flat-Earther betitelst, ist es das Schlimmste. Das beweist ganz klar, dass man etwas zu verbergen hat."Da sie Regierungsmitgliedern und Wissenschaftlern nicht vertrauen, suchen Flat-Earther in den eigenen Rängen nach Beweisen für ihre Theorien. In diesem Zuge wurde auch die Nonprofit-Organisation "FE Core" ins Leben gerufen, die weitere "wissenschaftliche" Untersuchungen des Sachverhalts unternehmen soll. Teil dieses Projekts ist auch eine 1,4 Millionen US-Dollar teure Expedition, die eine Crew an Flat-Earthern zum Eiswall, also dem äußersten Rand der Erde schicken soll – der ansonsten auch als Antarktis bekannt ist. Im November 2017 gab der kalifornische Stuntman "Mad" Mike Hughes außerdem bekannt, dass er sich mit seiner von Flat-Earthern mitfinanzierten selbstgebauten Rakete 550 Meter hoch in die Luft schießen wolle, vermeintlich um zu beweisen, dass es keine Erdkrümmung gibt."Wenn wir nicht selber da raus gehen, um zu testen und forschen, dann sind wir nicht besser als diese Physiker, die sich alles ausdenken", sagte Jeran Campanella, Podiumsredner und Betreiber des "Jeranism" YouTube-Kanals, der fast 85.000 Abonnenten aufweisen kann.
Expedition zum Ende der Welt soll Beweise bringen
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Es scheint fast so, als ob sich die antiautoritäre Haltung auch innerhalb der Flat-Earth-Bewegung fortsetzt. Eine Frau wurde von der Konferenz ausgeschlossen, nachdem sie einen fatalistischen christlichen Prediger wiederholt durch Zwischenrufe störte. Dieser Verweis ließ sofort Gerüchte und Spekulationen laut werden, dass Robbie Davidson und andere Redner in Wirklichkeit Marionetten der mysteriösen Elite seien.