Politik

Oury Jalloh: Bruder zieht vors Bundesverfassungsgericht

Die Familie nimmt nicht hin, dass der ungelöste Fall des 2005 in einer Polizeizelle verbrannten Mannes zu den Akten gelegt wird.
Oury Jalloh und ein Unterstützer
Collage bestehend aus: Oury Jalloh (l.): imago | Steffen Schellhorn || Aktivist: Imago | Christian Schroedter

Seit 14 Jahren kämpft Saliou Diallo dafür, den Tod seines Bruders aufzuklären – nun zieht er deshalb sogar vor das Bundesverfassungsgericht. 2005 landete Oury Jalloh in der Zelle Nummer 5 der Polizeistation in Dessau. Polizisten legten ihn auf eine Matratze, fixierten seine Hände und Füße. Ein paar Stunden später war Oury Jalloh tot. Er verbrannte.

Bis heute wurde nicht aufgeklärt, wie das Feuer in der Zelle entstehen konnte. Selbstmord, behauptet die Staatsanwaltschaft. Mord, sagt die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh". Seit Jahren kämpft sie zusammen mit Oury Jallohs Familie darum, dass ermittelt wird, was in der Zelle passiert ist.

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Nun gehen sie einen weiteren großen Schritt: Saliou Diallo legt eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die jüngste Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg ein. Dieses Gericht hat Ende Oktober eine Klageerzwingung abgelehnt. Oury Jallohs Familie wollte mit dieser dafür sorgen, dass der Fall nicht zu den Akten gelegt wird. Die Staatsanwaltschaft in Halle hatte das im Oktober 2017 beschlossen.


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Beim Bundesverfassungsgericht können Bürgerinnen und Bürger Beschwerde einlegen, wenn sie durch ein gerichtliches Urteil das Grundgesetz verletzt sehen. Rechtsanwältin Beate Böhler erklärt, dass der Fall zu den Akten gelegt wurde, stelle einen Verstoß gegen den Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes dar. Nach diesem Artikel steht jedem Menschen effektiver Rechtsschutz zu – und damit auch die Möglichkeit, eine effektive Beschwerde gegen die Einstellung eines Verfahrens einzulegen.

"Vielleicht wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes etwas daran ändern, dass es noch immer keine Ermittlungen gibt", sagt Rechtsanwältin Böhler am Donnerstag. Sie sitzt hinter ihrem Schreibtisch, vor ihr Saliou Diallo und Mouctar Bah, ein Freund Oury Jallohs.

Saliou Diallo wirkt erschöpft, als er ein Blatt Papier unterschreibt. "Das ist alles so kompliziert", sagt er. Mouctar Bah, der auch zu der Initiative gehört, übersetzt die vielen Erklärungen der Rechtsanwältin Böhler.

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Mit seiner Aussage hat Diallo sicher Recht: Der Fall um Oury Jalloh ist ein juristisches Wirrwarr, an dem verschiedene Instanzen beteiligt sind.

Ein kurzer Abriss: Am Landgericht Dessau-Roßlau fand 2008 ein Prozess statt, bei dem die Polizisten aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden. Einige Jahre später wurde ein Polizist vom Landgericht Magdeburg zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung verurteilt.

2017 dann hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Dessau, Folker Bittmann, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Mordes gegen zwei Polizeibeamte eingeleitet. Daraufhin wurde Bittmann der Fall entzogen und die Staatsanwaltschaft in Halle übernahm, stellte den Fall aber ohne weitere Ermittlungen ein. Dagegen legten die Unterstützer Jallohs Beschwerde ein. Aber 2017 beschloss die Generalstaatsanwaltschaft, dass die Ermittlungen eingestellt werden. Dagegen wiederum legte die Familie von Oury Jalloh die Klageerzwingung bei der höheren Instanz ein, dem Oberlandesgericht Naumburg. Und dieses hat nun der Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Halle zugestimmt, sodass es keine weiteren Ermittlungen geben soll.

Doch die Initiative kämpft weiter. Am Montag, also einige Tage nach dem Entschluss des OLG Naumburg, veröffentlichte sie die Ergebnisse des forensischen Gutachtens. Der Rechtsmediziner und Radiologie-Professor Dr. Boris Bodelle von der Universitätsklinik Frankfurt zeigt darin: Das Schädeldach, die Nase und eine Rippe von Oury Jalloh waren gebrochen, als er starb. Ein Hinweis darauf, dass jemand Jalloh massive Gewalt angetan haben muss. Boris Bodelle ließ dem Oberlandesgericht Naumburg das Gutachten schon im September zukommen. Es hätte ihm also bekannt sein müssen. All das berichtete die taz.

In gewisser Weise stehen diese beiden sich widersprechenden Gutachten und Entscheide exemplarisch für den Kampf der Unterstützer von Oury Jalloh gegen die Justiz. Insgesamt sieben Belege hat die Initiative in den vergangenen Jahren gesammelt. Sie alle zeigen, dass die Selbstmord-Theorie schwerlich stimmen kann. Und trotzdem soll der ungelöste Fall zu den Akten gelegt werden.

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