Fernbusfahrer in Zürich erzählen, was sie für dein Billigticket durchmachen
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Fernbusfahrer in Zürich erzählen, was sie für dein Billigticket durchmachen

'Vorhin war eine Frau mit einem viel zu schweren Koffer hier. Sie hat mich geschlagen, dann habe ich eine Ausnahme gemacht.'

Verpasste Zuganschlüsse, überbuchte Flüge, Übernachtungen im Auto auf der Raststätte – bestimmt hat jeder irgendeine verrückte Story von einer Fahrt in die Ferien zu erzählen. Dass nicht immer alles rund läuft, können die wartenden Menschen am Zürcher Busbahnhof bestätigen. Im Jahr entscheiden sich rund 24 Millionen Deutsche für den Bus als Transportmittel bei Fernreisen. Die meisten fahren dabei mit Flixbus, dessen Marktanteil bei unseren deutschen Nachbarn bei rund 90 Prozent liegt. Auf dem online gekauften Ticket mit QR-Code wird der Fahrgast gebeten, eine Viertelstunde vor Busabfahrt am Parkplatz erscheinen. Doch wie findet man im Wald von grünen Bussen den Richtigen?

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Am Zürcher Busbahnhof beim Sihlquai gibt es nämlich weder eine Auskunft noch eine Regelung, welcher Bus wo halten muss. Im Gegensatz zur nahegelegenen Europaallee funktioniert die Welt hier noch ohne Schweizer Reinheitsgebot: Bei Mürbe's Imbissbude kann man auf provisorisch platzierten Esszimmerstühlen eine Currywurst essen, wenn man nicht im schäbigen Wartehäuschen mit altem Swisscom-Logo auf dem Dach die Zeit totschlagen will.

Wenn der Bus noch immer nicht erschienen ist, hilft nur Fragen – das kostet ja nichts. Das sagt sich der Sparfuchs, der für schlappe 20 Franken ein Ticket nach Mailand gekauft hat. Und weil ausser Schulterzucken und einem vagen "Vermutlich da hinten" wenig an Rückmeldung kommt, bleibt es den Fahrgästen nur noch übrig, sich untereinander Mut zu machen – schliesslich ist Grün die Farbe der Hoffnung.

Im Gespräch mit Buschauffeuren über Beschwerden, vollgekotzte Toiletten und Geld hat sich meine ursprünglichen Frage, weshalb eine schroffe Art unter den Fahrern weit verbreitet ist, schnell erübrigt.

Agim, 53, wohnt in Schlieren, zur Zeit ohne Führerausweis

"Vor 30 Jahren bin ich aus Mazedonien in die Schweiz gekommen. Seit 1992 wohnt die ganze Familie in Schlieren bei Zürich. Ich bin schon sieben Mal Grossvater geworden! In zwei Wochen bekomme ich meinen Führerausweis für den Bus wieder. Bis dahin muss ich rumspazieren. Ich musste meinen Schein abgeben, weil ich einen Unfall hatte: Ich bin in der Schweiz zu schnell gefahren. Bis ich ihn wieder habe, arbeite ich ab und zu als Pizzakurier. Aber normalerweise fahre ich Reisegruppen. Da ist immer einer dabei, mit dem man gut reden kann. Dann geht die Zeit schneller vorbei. Meistens sind es gute Leute. Wenn ich aber sehe, dass jemand keine anständige Person ist, sage ich "Komm, geh auf den hintersten Sitz" und fertig. Ich kenne die Mentalität von anderen Menschen – es kommt nicht vor, dass mich jemand verarscht.

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Ich verdiene 35.000 bis 45.000 Franken pro Jahr. Zum Leben reicht das. Es gibt keinen Chef, da musst du als Selbstständiger vorher überlegen, wann und wie du fährst. Wenn du den Fahrpreis nicht am Anfang ausmachst, hast du nachher Probleme mit den Leuten. 80 Prozent der Chauffeure sind Ausländer. Da gibt es keine Frauen. In unserer Religion, bei Muslimen, ist das zwar nicht verboten, aber die Frauen wären für die Männer uninteressant, wenn sie solche Jobs annehmen würden."

Marcel*, 48, wohnt mit seiner Frau in Frankreich, Reiseziel: Grenoble

"Ich fahre immer wieder andere Strecken und es passiert auch ständig etwas, da wird mir nicht langweilig. Heute hat jemand während der Fahrt auf der Toilette gekotzt. Ich konnte das natürlich nicht putzen. Bis wir in Frankfurt waren, musste ich es so lassen. Ich konnte nur mit Wasser ein bisschen nachhelfen. Am Abend konnte die Toilette dann in Frankfurt in der Station gewaschen werden. Bis dahin musste ich sie geschlossen lassen. Sowas gefällt mir nicht. Trotzdem mag ich an meinem Job, dass man selbstständig ist. Und dass ich während der Fahrt Radio hören und über meine Frau nachdenken kann."

Adrian, 50, wohnt mit seiner Frau seit zwei Jahren in Lörrach, Destination: Lörrach

"Meine 24-jährige Tochter ist momentan in England. Wir sind aus Rumänien. Ich bin seit zehn Jahren Busfahrer und könnte mir keinen anderen Beruf vorstellen. Die mühsamsten Passagiere sind Flüchtlinge. Wieso? Sie machen immer Ärger. Auf meiner Strecke nach Mailand sind fast immer welche dabei. In Chiasso gibt es dann meistens eine Kontrolle und sie müssen raus.

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Im Moment warte ich auf den Bus aus Hamburg, den müsste ich jetzt weiterfahren, aber er hat Verspätung wegen Kontrollen. Ich fahre immer von Zürich nach Mailand und dann von Mailand nach Lörrach. Dann kann ich meistens zuhause schlafen. Pro Monat verdiene ich 2.000 Euro. Für Deutschland geht das. In zwei Jahren habe ich drei- oder viermal Trinkgeld bekommen.

Musikhören ist für uns Fahrer verboten. Meine Frau arbeitet auch bei Flixbus, aber als Putzfrau. Flixbus macht aber nur die Logistik. Wir arbeiten alle für Subunternehmen. Bei uns in der Firma gibt es eine weibliche Fahrerin, die ist aus Polen."

Gregor, 44, wohnt mit seiner Familie in Wallisellen, Reiseziel: München

"Ich bin Schweizer! Nein, Scherz, ich bin aus Kasachstan. Du hast schöne Augen! Entschuldigung, ich spreche nicht gut Deutsch. Lange Zeit bin ich in Wallisellen mit dem lokalen Bus rumgefahren, seit zwei Jahren bin ich Fernbus-Chauffeur. Ich war schon in Paris, Spanien, Mailand und vielen anderen Orten. Ich mag meinen Beruf. Das einzige, was ich nicht mag, ist der Stau.

Es gibt natürlich immer wieder Leute, die sich beschweren. Gerade vorhin war eine Frau mit einem 20-Kilo-Koffer hier. Ich habe sie kaum verstanden, weil sie nur Englisch spricht. Sie hat extra für zwei Gepäckstücke bezahlt. Wir dürfen aber trotzdem nicht so schwere Koffer mitnehmen. Sie hat mich geschlagen, aber nicht fest. Da habe ich eine Ausnahme gemacht."

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Max*, 50, wohnt in Bayreuth, Fahrziel: Berlin

"Wenn ich jetzt erzähle, werde ich mit 15 Minuten Verspätung abfahren müssen. Kann ja sein, dass jemand kommt und kontrollieren will, ob ich arbeite oder nicht. Und das Gespräch hier zählt ja nicht zu meiner Lenkpause.

Als Chauffeur muss ich mir vieles gefallen lassen. Dankbar sind die Passagiere grösstenteils nicht. Sie kaufen ein Ticket für fünf Euro und wollen fünf Sterne Service dafür. Am besten soll ich für sie noch den Kofferträger machen. Wie lange ich das noch ertrage, weiss ich nicht. Ich erlebe aber auch ab und zu schöne Situationen. Gestern habe ich fünf Euro Trinkgeld bekommen. Das kommt aber sehr selten vor. Wir haben ja alle Klassen von Leuten drin: Student, Doktor oder Ingenieur – alles ist möglich.

Seit einer Fahrplanänderung bin ich nicht mehr jeden Abend zuhause. Da kommt es vor, dass ich um 6 Uhr morgens in Zürich ankomme und erst am nächsten Tag weiterfahre. Die Firma zahlt die Hotelkosten, aber was soll ich hier 24 Stunden lang tun? Am Anfang war es vielleicht ganz gut, aus Neugier mal zwei Stunden durch die Stadt zu ziehen. Aber wo du hingehst, bist du halt ein fremder Mensch."

Resmi, 47, wohnt in Mazedonien, Reiseziel: Serbien

"Ich bin schon seit 17 Jahren Chauffeur. Davor habe auf Baustellen gearbeitet. Hier in der Schweiz ist alles gut. Ich bin aber jeweils nur zwei Tage da, dann fahre ich wieder zurück in den Balkan. Bis nach Slowenien sind es zum Beispiel 12 bis 15 Stunden. Das ist nicht lange. Wir fahren die Strecke ja zu dritt.

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Beim Fahren muss ich immer nach vorne schauen, da bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Ich habe ja ganz viele Leute im Bus. Gott sei Dank ist noch nie etwas Schlimmes passiert. Vielleicht mache ich den Job noch fünf Jahre. Danach bin ich reich. Meine Familie sehe ich alle drei Wochen. Aber bald fahren wir in den Urlaub – nicht mit dem Bus, mit meinem eigenen Auto."

Viktor, 46, wohnt seit zehn Jahren in Deutschland, Reiseziel: München

"Nein, die Klammer an meinem Sicherheitsgurt ist kein Glücksbringer. Wenn ich auf der Autobahn bin, sorgt sie dafür, dass ich ein paar Zentimeter Bewegungsfreiheit habe. Sonst sitze ich da wie ein Roboter. Mein Traumberuf? X-Man. Stattdessen habe ich aber in meinem Geburtsort Kasachstan das Diplom als Chauffeur gemacht und bin dann nach Nürnberg in Deutschland gekommen.

Die Fahrgäste kommen während der Fahrt oft zu mir, zum Beispiel wenn sie denken, der Automat im Bus funktioniere nicht. Wenn Leute Blödsinn machen, dann sage ich ihnen, dass ich zur nächsten Raststätte fahre und die Polizei rufe. Das musste ich aber noch nie wirklich machen. Wir bräuchten Begleitpersonen, die während der Fahrt kontrollieren. Ausser diesem Rückspiegel habe ich ja nichts. Da sehe ich nur etwa die Hälfte von dem, was die Fahrgäste tun. Ob sie zum Beispiel in der Toilette Drogen konsumieren, das weiss ich nicht. Einmal ist es passiert, dass jemand geraucht hat und der Rauchmelder anging. Rausgeschickt habe ich ihn nicht. Ich habe einfach gesagt, dass das nicht mehr passieren darf, sonst fährt er nicht mehr mit mir."

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Selimir*, 44, wohnt in Serbien, Destination: München

"Ich finde es traurig von einer reichen Stadt wie Zürich, dass sie es nicht schafft, Informationen hier am Platz zu liefern. Schilder, eine Anlaufstelle – zumindest zu Stosszeiten, zum Beispiel von 10 bis 18 Uhr. So kannst du nie Pause machen. Wenn du was essen oder zwei Stunden schlafen willst, musst du dich verstecken. Sonst kommen dauernd Leute und fragen: "Ist das der Bus nach so und so?"

Hobbys habe ich keine. Die Zeit fehlt mir dafür. Wenn du mir was Besseres anbietest, würde ich gerne den Job wechseln. Hast du was für mich?"

* Namen auf Wunsch der Busfahrer geändert.

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