Politik

Nein, Bill Gates will euch keinen Mikrochip einpflanzen

Woher das derzeit beliebte Verschwörungsmärchen von der Mikrochip-Impfung in Zeiten von Corona kommt – und wo Kritiker Recht haben.
Bill Gates steht vor vergrößerten Mikrochips und Corona-Viren
Collage: imago images | PA Images | ZUMA Press

"Denkt ihr, Bill Gates kann das Virus aktiv steuern oder hat er es nur freigesetzt?", fragt ein User in einer deutschen Corona-Diskussionsgruppe auf Telegram. Die Gruppe ist gespalten. Einerseits sei er ja Sternzeichen Stier, andererseits ein Kaffeeverweigerer.

So oder so ähnlichen Quatsch haben wir sicher alle von Gates im Zusammenhang mit der Corona-Krise gelesen – oder in der Familie gehört – auch ohne in obskure Impfgegner-Gruppen abzutauchen. Denn nicht nur Verschwörungsmythen von Xavier Naidoo, sondern auch die rund um den Microsoft-Gründer haben gerade Hochkonjunktur. Der Basis-Vorwurf lautet sinngemäß: Gates benutze die Covid-19-Epidemie als Vorwand. Er wolle der Menschheit einen Impfstoff aufzwingen. Bei der Impfung werde uns gleich noch ein Mikrochip mit in den Körper gepflanzt, um die Menschheit zu tracken und zu knechten, vielleicht auch zu dezimieren.

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Anhand dieses Märchens lässt sich gut nachzeichnen, wie solche unwahren Erzählungen in die Welt gelangen – in einer unheilvollen Melange aus Angst vor Kontrollverlust, Technophobie, mangelnder Medienkompetenz und einer Dosis tatsächlich problematischer Wirtschaftsverflechtungen. Nehmen wir dieses Knäuel einmal auseinander.

Was Gates mit Pandemien am Hut hat

"Das einzige, was mich nachts nicht schlafen lässt, ist der Gedanke an eine Pandemie", sagte Bill Gates der englischen Times 2019. "Vor hundert Jahren hatten wir eine riesige Grippeepidemie. Heute reisen die Leute mehr, also würde sich die Ausbreitung beschleunigen. Wenn sich so ein Erreger über die Luft verbreitet, wären die Zahlen schrecklich."

Schon 2015 warnte Gates in einem TED-Talk vor den Konsequenzen einer kommenden Pandemie. "Wenn es eine Sache gibt, die in den nächsten Jahrzehnten über zehn Millionen Menschen tötet, dann ist es wahrscheinlich ein Virus und kein Krieg", sagt Gates in seinem TED-Talk. "Einer der Gründe ist, dass wir Hunderte Millionen in Nuklearabwehr investiert haben. Aber tatsächlich haben wir noch sehr wenig in ein System investiert, das eine Epidemie aufhalten kann." Das Problem: zu wenig Daten, zu wenig Personal. In einem medizinischen Fachartikel im renommierten New England Journal of Medicine legte er dar, dass die Welt nach dem jüngsten Ebola-Ausbruch nicht auf die nächste Katastrophe vorbereitet sei, die die Gesundheitssysteme weltweit überlasten könne.

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Bill Gates sagt das alles nicht als Softwareentwickler oder Unternehmer, sondern in seiner Funktion als Mäzen. Seine Privatstiftung, die Bill & Melinda Gates Foundation, macht ihn zum wohl weltweit großzügigsten Spender für die Entwicklung von Impfstoffen. Deshalb kennen sich sowohl er als auch seine Frau Melinda mit Infektionskrankheiten und globalen Gesundheitsthemen aus. Doch als sich Bill Gates zu diesem Thema am 18. März zu einem "Ask Me Anything" (AMA) auf Reddit bereit erklärte, ahnte er nicht, was für einen Rattenschwanz das nach sich ziehen würde.

“Irgendwann werden wir so etwas wie digitale Zertifikate haben, um zu zeigen, wer genesen ist, kürzlich getestet wurde oder, wenn es einen Impfstoff gibt, wer ihn bekommen hat", schreibt er auf eine Frage.

Woher die Idee mit den Chips kommt

Aufmerksame Leserinnen werden es bemerkt haben: Gates hat Mikrochips in seiner AMA-Antwort mit keinem Wort erwähnt. Diese Verbindung schaffte ein halb vergessener Biohacking-Blog. Dort tauchte einen Tag nach dem AMA ein Artikel auf. Gates wolle, hieß es da fälschlicherweise, "mit Mikrochip-Implantaten das Coronavirus bekämpfen". Der Artikel brachte Gates' Aussage über die digitalen Zertifikate in Verbindung mit einer Studie von 2019, die die Bill & Melinda Gates Foundation mitfinanziert hatte.

Die Studie war eine gänzlich theoretische Pilotstudie, an der unter anderem das MIT beteiligt war. Die Überlegung: Könnte man mit einem Gerät, das den Impfstoff liefert, auch gleich einen smartphone-lesbaren Marker in die Haut setzen, der erkennt, ob ein Impfschutz besteht oder nicht? Und diese Frage ist nicht unberechtigt, denn während Impfungen einen zuverlässigen Schutz vor Krankheiten und frühzeitigem Tod bieten, ist die Buchführung über solche Immunitäten irgendwo im letzten Jahrhundert bei zerfledderten gelben Impfpässen stehen geblieben.

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Was die dort diskutierten winzigen Punkte aus unsichtbarer Tinte jedenfalls nicht können: Bewegungen tracken. Persönliche Daten speichern. Mit dem Satan kommunizieren.

Obwohl der Biohacking-Blog nur mehrere hundert Leser hat, verbreitete sich dieser Fehlschluss von dort aus wie ein Lauffeuer – darauf lassen die Backlinks schließen. Aber das erklärt noch nicht ganz, wieso sich der Verschwörungsmythos, dass Gates Geräte hat, um die Weltbevölkerung via Impfungen zu tracken, so hartnäckig hält.

Die Studie über die Impfmarker verflechten die Anhänger des Verschwörungsmythos jetzt mit einer weiteren Idee aus dem Gesundheitsbereich, an dem Gates beteiligt ist: der Forschung an etwas, das man "Digitale Identität" nennt.

Die Idee dahinter ist nicht schwer zu verstehen. Gates träumt von einem dezentralen Register mit Gesundheitsdaten, die in einer Cloud gespeichert sind und die man, sobald man sich jeweils das OK vom Inhaber abgeholt hat, von der ganzen Welt aus abrufen kann. Das Ganze könnte über die Blockchain abgesichert sein und wäre damit fälschungssicher und nicht zu hacken. Soweit die Idee. Doch wie so ziemlich alle wirklich praktischen Anwendungen einer Blockchain, abseits von Bitcoin-Überweisungen, ist diese Technologie noch lange nicht fertig für den Einsatz.

Zwar haben die Blockchain-Zertifikate wiederum überhaupt nichts mit Spritzen im Körper zu tun, aber trotzdem weben Gates' Gegner – darunter viele Trump-Anhänger – diese beiden völlig unterschiedlichen Konzepte beharrlich zu ein und demselben Märchen zusammen.

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Das da lautet: Gates wolle einen Überwachungsstaat durchs Impfen errichten.

Warum es Bill Gates trifft und warum sich der Quatsch so lange hält

Schon am 17. April berichtete die New York Times, dass sich Verschwörungsmythen rund um Gates und Corona besonders gut auf Facebook und YouTube verfingen. Auf Facebook gab es über 900.000 Reaktionen für 16.000 Posts mit falschen Informationen.

Verschwörungsmythen kreisen immer um unsichtbare Eliten und vermeintliche düstere Strippenzieher im Hintergrund, doch sie brauchen ein Gesicht. Als sich 2015 durch den Syrienkrieg viele Flüchtlinge nach Europa aufmachten, stand der Milliardär George Soros im Zentrum dieser Erzählungen; damals hieß es, er habe diese Bewegung irgendwie gesteuert, mit dem Ziel, die Welt zu lenken.

Auch Gates ist sehr reich, und weil er viel Geld in Impfstoff-Entwicklung und vielleicht auch irgendwas mit Computern steckt, ist er seit Jahren ein beliebtes Ziel von Impfgegnern und Technophoben. Sein öffentliches Engagement, gemeinsam mit einer Epidemie, die sowieso schon selbst bei völlig gefestigten Menschen Angst und Unsicherheit auslöst, machen ihn zum perfekten Katalysator für solche kruden Thesen.

Zur Erinnerung: Es gibt keinen Covid-19-Impfstoff und auch keinen "Impfzwang" in Deutschland

Wenn schon, dann wäre es eine Impfpflicht, aber auch die gibt es noch nicht für Covid-19. Nicht nur müsste so etwas durch das gesamte langwierige Gesetzgebungsverfahren eiern und würde entsprechend lang dauern: Es gibt ja noch gar keinen Impfstoff.

Eine Impfpflicht gab es in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre gegen Pocken, laut RKI eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten überhaupt, die rund ein Drittel aller Betroffenen nicht überlebte. Und: Wer sein Kind in eine Kita oder in die Schule bringen will, muss seit März 2020 nachweisen, dass es gegen Masern geimpft ist oder bis zu 2.500 Euro Strafe zahlen.

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Weder Gates noch sonst irgendjemand will durch Impfungen die Weltbevölkerung dezimieren

Impfungen dienen dazu, Menschen am Leben zu halten. Nicht so bekannt ist, dass dadurch, dass Impfungen zu weniger Kindstoden führen, Bevölkerungen eher kleiner werden, statt durch eben mehr überlebende Kinder zu wachsen. Die Erklärung dafür liefert Gates in einem Schreiben von 2009: "Eltern sorgen für Nachwuchs, um sicherzustellen, dass einige von ihnen sie im Alter versorgen können. Wenn mehr Kinder bis ins Erwachsenenalter überleben, erreichen Eltern dieses Ziel, ohne so viele Kinder zu bekommen."

Das bedeutet: In Gesellschaften mit einem guten Vorsorge- und Gesundheitssystem, zu dem natürlich auch Impfungen gehören, bekommen Familien unter anderem deshalb weniger Kinder. Langfristig könnten sich so Bevölkerungszahlen stabilisieren oder zumindest nicht mehr so rasant wachsen. Natürlich ist nicht Menschen zu töten das Ziel, sondern eine grundsätzlich gesündere und gut abgesicherte Gesellschaft mit kleineren Familien zu fördern.

Die Behauptung, dass Gates gesagt hätte, er wolle die Bevölkerung durch Impfen dezimieren und hätte eine "Tötungsstrategie", hat Correctiv hier bereits widerlegt.

Natürlich macht philanthropisches Engagement trotzdem noch keinen tollen Menschen aus dir – man kann zum Beispiel auch Harvey Weinstein heißen, massenweise Geld in tolle Filme und Projekte stecken und nebenher reihenweise Frauen sexuell ausbeuten.

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Gates' Stiftung ist die größte Privatstiftung der Welt. Sie kümmert sich vereinfacht gesagt um Entwicklungshilfe für Bauern, Jugendbildung und um Gesundheitsvorsorge, genauer: um die Entwicklung und Erforschung von Medizin und Impfstoffen und ihrer Verbreitung. Das gilt natürlich auch ganz besonders in Corona-Zeiten. So hat die Stiftung für einen Corona-Impfstoff auch Geld in das deutsche Biotech-Unternehmen CureVac und sechs andere aussichtsreiche Kandidaten gesteckt.

Wie mächtig die Bill & Melinda Gates-Stiftung wirklich ist und warum das ein Problem für die ganze Welt ist

In diesem einen Punkt haben die Kritiker Recht: Tatsächlich ist die Bill & Melinda Gates Foundation sehr einflussreich, was Gesundheitsprogramme angeht. So mächtig sogar, dass sie die Weltgesundheitsorganisation WHO zum Erliegen bringen könnte.

Denn die WHO hat nur rund 8.000 Mitarbeiter – ist also winzig, wenn man bedenkt, dass sie Krankheiten verbindlich definiert, Epidemien bekämpft, Regeln im Umgang mit Umweltgiften und zur Nuklearabwehr aufstellt und alle 194 Staaten, die sie tragen, beim Aufbau ihrer Gesundheitssysteme unterstützen soll.

1993 setzten die USA durch, dass die Pflichtbeiträge der Mitgliedstaaten nicht mehr steigen. Deshalb finanziert sich die WHO (und übrigens auch vermeintlich mächtige Organisationen wie UNICEF oder das World Food Program) heute zu rund 80 Prozent aus freiwilligen Spenden von Mitgliedstaaten oder eben Stiftungen – und was mit dem Geld passiert, entscheiden die Spender. Die WHO ist von ihnen abhängig.

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Der größte WHO-Geldgeber nach den USA ist eine Privatstiftung: Die Bill & Melinda Gates Foundation. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als eine halbe Milliarde in die Behörde gesteckt. Und sie hat bestimmt, dass ihr Geld größtenteils in Impfstoffentwicklung und Impfprogramme investiert wird.

Dazu kommt: Auch die Konzerne, mit denen die Gates-Stiftung ihr Vermögen erwirtschaftet hat, üben Einfluss auf die WHO aus. Auch das kann man durchaus kritisieren. Denn die Stiftung hat ihr Geld neben Pharmariesen in Konzernen angelegt, die zumindest indirekt Menschen krankmachen: Coca-Cola zum Beispiel. Oder Anheuser-Busch – die produzieren Alkohol. Je besser es diesen Unternehmen geht, desto mehr Geld fällt auch für die Stiftung ab, die es wiederum in die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffverbreitung steckt.

Und natürlich fließt ein großer Teil dieser Dividenden auch zurück in die WHO. Die steht deshalb in einem unauflösbaren Interessenskonflikt: Jede weltweite Maßnahme, die zum Beispiel Alkoholkonzerne oder Fast-Food-Hersteller schwächt und Menschen gesünder machen würde, gräbt ihr indirekt ihre Mittel ab.

Schlimmer als die Bill & Melinda Gates Foundation ist Ken Jebsen

Wie schon mein Kollege Sebastian dargelegt hat: Richtig zum Problem werden diese Mythen bei Menschen, die sich einer Impfung nicht nur verweigern, sondern in ihrem Wahn auch gern mal drohen, sich mit Gewalt dagegen zu wehren.

Nicht nur sind das schlechte Nachrichten für die Herdenimmunität, die Leben retten kann. Diese Art von Aussagen ebnen in ihrer Absolutheit auch den Weg in die Radikalisierung. Im letzten, millionenfach abgerufenen Video von Querfront-Aktivist Ken Jebsen schwadroniert er, Gates wolle nicht nur "Europa kapern" sondern uns auch "sterilisieren".

Auf der Straße zeigt sich dann, wie sich diese Angst und Angstmache bereits jetzt entlädt: Der Fernsehkoch Attila Hildmann behauptete am 6. Mai auf der Corona-Querfront-Demo in Berlin: "Bill Gates ist ein Eugeniker. Der möchte die Weltgemeinschaft dezimieren. Über ein Konzept der NWO." – der sogenannten "Neuen Weltordnung". Bei dieser Demo wurden übrigens auch Journalisten tätlich angegriffen.