Spätestens als seine Freundin im Besucherraum der Haftanstalt zusammenbricht, wegen der verfrühten Wehen nicht aufhört zu schreien, muss der 19-Jährige seinen Entschluss gefasst haben: raus hier.Fliehen. Abhauen. Aus einem Hochsicherheitstrakt, in dem keine Straftäter sitzen, sondern Geflüchtete. Menschen aus Nordafrika, aus Ländern wie Tunesien und Marokko, aber auch aus Georgien und Pakistan, die so schnell wie möglich Deutschland verlassen sollen, weil sie laut Behörden kein Anrecht auf Asyl haben. Jamal Hamdi, wie er in diesem Artikel heißen soll, ist 19 und kommt aus Tunesien.
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Die beschriebene Szene passierte am Mittwoch, dem 15. Januar 2020. Hamdi, saß erst seit einem Tag in dem Dresdener Abschiebegefängnis. Seine Freundin kam zu Besuch, landete später in der Notaufnahme. Im Krankenhausbericht war laut Mark Gärtner vom sächsischen Flüchtlingsrat Folgendes vermerkt: "unmittelbar vorausgegangene, psychische Belastung".Am 18. Januar, nur drei Tage später, setzt Hamdi seinen Plan um und flieht.Der Ausbruch habe nur zwischen zehn und 15 Sekunden gedauert, sagt der Vizepräsident der Landesdirektion Sachsen, Walter Bürkel, in einer Pressekonferenz am Montag. Die anwesenden Pressevertreter grinsen, schütteln lachend den Kopf.Nur 15 Sekunden? Ja: Ablenkungsmanöver. Losrennen. Hochziehen. Drüberspringen. Freiheit.Neben Hamdi waren noch drei weitere Männer am Manöver beteiligt, zwei aus Nordafrika und einer aus Vietnam. Vor der Flucht schritten sie wohl gemütlich mit den Mitarbeitern der Haftanstalt den Hof ab. Dann rannten drei los, in verschiedene Richtungen. Und entkamen. Der Vietnamese blieb. Und schweigt. Sie müssen sich zur Flucht verabredet haben.
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Die Haftanstalt war erst vor Kurzem modernisiert worden. Zwölf Million Euro hatte das den Freistaat Sachsen gekostet. Und jetzt hauen drei Inhaftierte einfach so ab? Hat keiner getestet, ob sowas möglich ist? "Ja, wir haben das vorher getestet", antwortet Walter Bürkel auf die Frage eines Journalisten und kommt sichtlich in Verlegenheit. "Wir haben uns beraten lassen. Und haben auf den Schutz und die Höhe des Zaunes vertraut. Er hat ja immerhin ‘ne Höhe von fünf Metern und ist mit einem hinreichend überragenden Übersteigschutz gesichert", sagt Bürkel. Man habe den Eindruck gehabt, dass man da "eigentlich nicht so ohne weiteres" drüber kommt. Er verzieht fast belustigt das Gesicht, so als könne er es immer noch nicht fassen, was die drei Männer an diesem Samstag am hellichten Tag trotz der Sicherheitsvorkehrungen unter der Aufsicht der Beamten geschafft haben.
"Wir haben auf den Schutz und die Höhe des Zaunes vertraut"
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Die Haftanstalt war erst vor Kurzem modernisiert worden. Zwölf Million Euro hatte das den Freistaat Sachsen gekostet. Und jetzt hauen drei Inhaftierte einfach so ab? Hat keiner getestet, ob sowas möglich ist? "Ja, wir haben das vorher getestet", antwortet Walter Bürkel auf die Frage eines Journalisten und kommt sichtlich in Verlegenheit. "Wir haben uns beraten lassen. Und haben auf den Schutz und die Höhe des Zaunes vertraut. Er hat ja immerhin ‘ne Höhe von fünf Metern und ist mit einem hinreichend überragenden Übersteigschutz gesichert", sagt Bürkel. Man habe den Eindruck gehabt, dass man da "eigentlich nicht so ohne weiteres" drüber kommt. Er verzieht fast belustigt das Gesicht, so als könne er es immer noch nicht fassen, was die drei Männer an diesem Samstag am hellichten Tag trotz der Sicherheitsvorkehrungen unter der Aufsicht der Beamten geschafft haben.
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1919 wurde übrigens in Bayern die Abschiebungshaft erstmals eingeführt, mit dem Nationalsozialismus wurde sie 1938 deutschlandweit gesetzlich festgeschrieben.Die Anstalt sei Ausdruck des Rechtsrucks in der Gesellschaft, sagt Gärtner vom sächsischen Flüchtlingsrat. "Man hat den Rufen von ganz Rechtsaußen nachgegeben und zeigt hier in institutionalisierter Form: Ihr gehört hier nicht her, ihr seid hier nicht willkommen. Das Gebäude ist ein Referenzpunkt für die Leute, die Geflüchtete ablehnen, um genau denen zu zeigen: Hier steht das Produkt eures Hasses." Klar gäbe es einige, die dagegen demonstrieren. Aber auch genug Leute, die Beifall klatschen und sich noch mehr Inhaftierungen wünschten, sagt Gärtner.Aber die Einrichtung ist nicht mal ausgelastet. Hamdi war einer von 151 Menschen, die laut Landesdirektion Sachsen seit der Eröffnung im Dezember 2018 in dem Dresdner Abschiebungsgefängnis und der Ausreisegewahrsam festgehalten wurden. 122 Personen wurden tatsächlich abgeschoben. Fünf Abschiebungen scheiterten. Aktuell sind nur neun Personen in Abschiebungshaft und keine Person im Ausreisegewahrsam. Es gibt 24 Haft- und 34 Gewahrsamsplätze. Personen, die das Land verlassen sollen und sich weigern, können theoretisch in Haft oder Gewahrsam kommen.Laut Gärtner vom sächsischen Flüchtlingsrat zeige die geringe Auslastung der Einrichtung in Dresden, wie wenig sich das Konzept "Abschiebeknast" für die Behörden auszahle. Laut der Seite "100 Jahre Abschiebehaft" gibt es in Deutschland 12 solcher Einrichtungen, weitere sind geplant. Journalisten und Journalistinnen haben keinen Zugang.
Flüchtlingsrat: "Hier steht das Produkt eures Hasses"
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Politiker und Politikerinnen wie Juliane Nagel (Die LINKE) durften sich die Haftanstalt vor der Eröffnung ansehen. "Das Handy mussten wir am Eingang abgeben", sagt Nagel. Sie wurde vor der Flucht der drei Männer von einer Bekannten Hamdis kontaktiert, die hatte die flüchtlingspolitische Sprecherin um Hilfe gebeten. Nagel ist Landtagsabgeordnete der Fraktion Die LINKE in Sachsen und hatte vor Kurzem selbst ihre erste Morddrohung erhalten. Sie spricht über die Probleme mit der Haftanstalt in Dresden.Bereits einen Monat nach der Eröffnung des Vollzugs trat ein Mann in Hungerstreik, musste letztlich in einer geschlossenen Anstalt zwangsernährt werden. Auch er sollte Vater werden. Zum zweiten Mal. Ein paar Monate später kommen Misshandlungsvorwürfe gegen Beamte auf. Ein Mann zeigte der Kontaktgruppe des Flüchtlingsrats Hämatome an seinen Handgelenken, womöglich von Handschellen. Er soll unter anderem mehrere Stunden in einem Raum eingeschlossen und nackt mit den Händen auf dem Rücken gefesselt worden sein. Das sächsische Innenministerium lehnt die Vorwürfe in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Nagel ab. Die Person ist mittlerweile abgeschoben.Egal, ob diese Vorwürfe stimmen oder nicht – fest steht: Der Freiheitsentzug macht etwas mit den Menschen. "Die Leute geraten in Haftschock", sagt Mark Gärtner vom Flüchtlingsrat. "Bei Abschiebehaft fällt der krasser aus als bei Strafhaft. Weil die Menschen eben keine Straftat begangen haben." Mit der sogenannten Abschiebehaft-Kontaktgruppe besucht er die Haftanstalt einmal pro Woche und berät Inhaftierte.
Flüchtlingsrat: "Die Leute geraten in Haftschock"
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