Menschen

Von diesen Testosteron-Nebenwirkungen hast du wahrscheinlich noch nicht gewusst

Bei 'Bambi' weinen oder Probleme beim Oralsex – drei Männer erzählen von den unerwarteten Folgen ihrer Hormonbehandlung.
Kris van der Voorn
Amsterdam, NL
Auf drei Fotos sind Männer zu sehen, die lächelnd in die Kamera blicken; alle drei benutzen für ihre Hormonbehandlung ein Testosteron-Gel und berichten von den eher unbekannten Nebenwirkungen des Medikaments
Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben: privat

Vor ein paar Wochen sah ich plötzlich immer verschwommener. Bei einem Sehtest kam heraus, dass meine Sehstärke komischerweise besser geworden sei und ich eine schwächere Brille bräuchte. Zuerst war ich genauso verwirrt wie mein Augenarzt, aber schließlich stellte sich heraus, dass Testosteron für diese Entwicklung verantwortlich war.

So bizarr das auch klingen mag, aber der Hormonspiegel kann sich wirklich auf das Sehvermögen auswirken. Bei Männern liegt das vor allem daran, dass der Körper mit steigendem Alter weniger Androgene produziert, also Sexualhormone wie Testosteron. Eine Folge dieses Rückgangs kann verschwommenes Sehen sein.

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Seit zwei Monaten schmiere ich mir regelmäßig ein Testosteron-Gel auf den Unterleib, um meinen Testosteron-Spiegel nach oben zu bringen. Natürlich habe ich mich vorher über mögliche Nebenwirkungen solcher verschreibungspflichtigen Gels informiert. Dazu gehören Muskelwachstum, verstärkte Gereiztheit und eine tiefere Stimme. Eigentlich alles nichts Neues. Mir persönlich sind im Laufe der Behandlung aber noch weitere Auswirkungen aufgefallen: Meine Haarstruktur veränderte sich, meine Füße sind ein paar Millimeter gewachsen, und mein Sehvermögen hat sich wieder verbessert.

Testosteron-Gel und -Injektionen werden aus den verschiedensten Gründen verschrieben. Zudem reagiert jeder Mensch anders auf die Behandlung. Leider wird in der Öffentlichkeit nur sehr wenig über dieses Thema geredet, weshalb man von vielen Nebenwirkungen oft gar nichts weiß. Drei Männer, die Testosteron-Gel benutzen, haben uns von ihren außergewöhnlichen Erfahrungen mit dem Medikament berichtet. 

Ein älterer Mann mit kurzen Haaren, Dreitagebart und rotem Oberteil blickt lächelnd in die Kamera

"Wenn irgendwo Bambi läuft, schießen mir sofort die Tränen in die Augen"

1999 wurde bei mir HIV diagnostiziert, seit 2001 nehme ich entsprechende Medikamente. Nach ein paar Jahren wurde ich dadurch immer müder und schlapper. Es fing damit an, dass ich Freitagabends nach Hause kam und dann den Großteil des Wochenendes einfach nur schlief. Schließlich war ich schon am Mittwoch so müde, dass ich mich für den Rest der Woche förmlich zur Arbeit schleppen musste. Schuld daran war mein Medikament, das meine Energie auf zellulärer Ebene blockierte.

Ein Bekannter aus San Francisco zeigte mir daraufhin eine Studie, bei der anabole Steroide – also künstliches Testosteron – zusammen mit HIV-Medikamenten genommen wurden, um gegen diese Müdigkeit anzukämpfen. Mein Internist stimmte dieser Behandlung zu, seitdem nehme ich Testosteron. Bei mir läuft das blockweise ab, ich benutze das Gel drei Monate lang und habe die nächsten drei Monate lang "frei".

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Durch das Testosteron habe ich wieder genug Energie, um ein normales Leben zu führen. Was mir aber auch aufgefallen ist: Wenn ich das Gel auftrage, bin ich viel emotionaler. Es braucht dann nicht viel, und ich fange direkt an zu heulen. Wenn zum Beispiel irgendwo Bambi läuft, schießen mir sofort die Tränen in die Augen. Zum Glück bin ich nicht anfällig für Depressionen, aber es kommt schon manchmal vor, dass ich in Selbstmitleid bade. In solchen Momenten muss ich mich bewusst zusammenreißen. Durch das Testosteron neige ich außerdem dazu, Dinge zu stark zu vereinfachen und unhöflich aufzutreten. Wenn ich anfange, mit sanfter Stimme zu reden, bedeutet das, dass ich richtig zornig bin. Dann muss ich mich zügeln.

In den letzten beiden Wochen ohne Testosteron, wenn ich wieder müder werde, freue ich mich auf jeden Fall immer richtig darauf, das Gel wieder auftragen zu dürfen.
–Hans Verhoeven, 58, selbsternannter "Regenbogenaktivist" und Besitzer des Onlinestores Gays & Gadgets

Ein junger Mann mit runter Brille, Nasenstecker und Bart trägt eine orangefarbene Sportjacke und einen Beanie und lächelt in die Kamera

"Im Grunde durchläuft man eine Art zweite Pubertät – inklusive Stimmungsschwankungen, ständigem Hunger und Dauergeilheit"

Ich benutze Testosteron-Gel jetzt seit gut sieben Jahren. Damals sah das Gesundheitssystem für Transmenschen noch ganz anders aus. In meiner Gender-Klinik sagte man mir, dass ich das Gel auftragen sollte, und ich legte los. Vor zehn Jahren war es mir als Transmann noch sehr wichtig, so viel Männlichkeit wie nur möglich auszustrahlen. Heute denke ich nicht mehr so.

Das Testosteron hat für mich einige positive Auswirkungen. Ich bekomme zum Beispiel meine Periode nicht mehr, was super ist, denn damit konnte ich nur schwer leben. Außerdem ist meine Stimme tiefer geworden, und ich finde, dass mir mein Bart super steht. Wenn ich alles noch mal durchlaufen müsste, würde ich wieder Testosteron-Gel benutzen. Dennoch finde ich nicht, dass das ein absolutes Muss ist.

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In den ersten sechs Monaten der Gelbehandlung fühlte es sich so an, als sei ich wieder zwölf Jahre alt. Alles war scheiße. Ich fing sogar wieder an, die Musik zu hören, auf die ich damals stand. Im Grunde durchläuft man eine Art zweite Pubertät – inklusive Stimmungsschwankungen, ständigem Hunger und Dauergeilheit. Ich wachte nachts häufig auf, nur um meine Freundin aufzuwecken und ihr zu sagen, dass ich Bock auf Sex habe. Sie verbannte mich dann immer aufs Sofa und wies mich an, den Druck selbst abzulassen. Desweiteren veränderte sich die Fettverteilung in meinem Körper: Meine ganzen Polster verschoben sich von meiner Hüfte hin zu meinem Arsch und Bauch.

Was meinen Körper angeht, habe ich genetisch gesehen echt Glück. Jeder Mann, der maskuliner aussehen will, würde sich über meinen Bart freuen. Ich bin schon immer stark behaart gewesen, trotzdem musste ich mich erstmal an die Haare in meinem Gesicht gewöhnen. Essen ist inzwischen manchmal eine richtige Herausforderung: Joghurt und Suppe sind quasi tabu, weil ich das kaum mehr aus meinem Bart rauskriege. Oralsex muss ich dank meiner Gesichtsbehaarung jetzt auch ganz anders angehen.
– Bappie Kortram, 30, YouTuber und Podcaster

Ein Mann mit roten Locken und Bart trägt ein graues Oberteil und blickt mit verschränkten Armen in die Kamera

Foto: Jethro Reesink

"Nach zwei Monaten wurde meine Stimme tiefer, mir wuchsen überall Haare, und mein Penis wurde größer. Plötzlich gehörte ich dazu"

Mit 16 sah ich aus, als sei ich erst 12. Die Pubertät hatte mich irgendwie übersprungen. Diverse männliche Geschlechtsmerkmale wie eine tiefe Stimme fehlten bei mir einfach. Nach einigen Untersuchungen wurde bei mir das Kallmann-Syndrom festgestellt. Bei dieser Erkrankung mangelt es einem an dem Hormon, das die Testosteron-Produktion anregt.

Die Ärzte verschrieben mir Testosteron-Injektionen. Die Spritzen gaben mir jedes Mal einen richtigen Push. Ich ließ sie mir auch immer an einem Freitag geben, damit ich samstags beim Fußballspielen durch das Testosteron schneller und stärker war. Nach zwei Monaten wurde meine Stimme auch endlich tiefer, mir wuchsen überall Haare, und mein Penis wurde größer. Plötzlich gehörte ich dazu.

Unterm Strich ging alles aber zu schnell, weshalb mir anstelle der Injektionen schließlich Testosteron-Gel verschrieben wurde. Vor Kurzem verringerte meine Internistin meine Dosis. Meine Reaktion: "Oh nein, ich konnte doch endlich mit den Typen im Fitnessstudio mithalten!" Ich wollte einfach weiter diesen Stolz verspüren. Zum Glück versicherte mir meine Ärztin, dass ich weiter auf dem gleichen Level bleiben werde.

Ich habe im Laufe meines Lebens sehr viel darüber nachgedacht, was Männlichkeit überhaupt ist. Ich kann gar nicht sagen, wann genau ich mich wie ein Mann fühle, weil so viele der dazugehörigen Eigenschaften nur ein soziales Konstrukt sind. Durch das Testosteron weine ich auf jeden Fall viel weniger.
– Pepijn Schoneveld, 36, Schauspieler, Comedian und Podcaster

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