Drogen

Marcus sitzt im Knast und organisiert Drogendeals

Sein monatliches Einkommen: 35.000 Euro. Wir haben Fragen.
Eine Illustration zeigt einen Mann, der im Gefängnis mit einem kleinen Handy telefoniert und dabei einen Drogendeal organisiert – wie der Mann, mit dem wir gesprochen haben
Illustration: Mike Hughes

Marcus ist 28 und sitzt im Gefängnis. Ein Gericht hat ihn zu 14 Jahren Haft verurteilt, weil er von seinem Zuhause in Nordengland Drogendealer mit Heroin und Kokain versorgte. Nach sechs Jahren hinter Gittern könnte Marcus Ende des Jahres vorzeitig entlassen werden. Eigentlich will er das Drogengeschäft hinter sich lassen, organisiert von seiner Zelle aus aber immer noch Deals mit allen möglichen Rauschmitteln – und verdient dabei richtig viel Geld. Wir haben uns mit Marcus unterhalten.

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VICE: Hey Marcus. Wie fühlst du dich?
Marcus:
Was? Ich dachte, das ist ein Interview und keine Therapiesitzung. Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt, aber es geht mir blendend, danke. Der Frau und den Kindern geht es auch gut. 

OK. Obwohl du im Gefängnis sitzt, handelst du noch mit Drogen. Was verkaufst du?
Meine Leute verkaufen derzeit Heroin und Crack überall in Großbritannien. Ich behalte hier vom Knast aus den Überblick über die Geschäfte. Manchmal organisiere ich auch Deals mit Kokain, MDMA, Gras und so weiter. Hero und Crack waren aber schon immer meine Haupteinnahmequellen.

Wie schaffst du es, vom Gefängnis aus deine Geschäfte zu leiten?
Ich benutze ein SKY-ECC- und ein Zanco-Tiny-Handy. Das SKY-Telefon ist super für verschlüsselte Kommunikation, aber dein Gegenüber braucht ebenfalls ein SKY-Handy, damit das alles klappt. Und die meisten kleinen bis mittelgroßen Dealer wollen keine 600 Pfund pro Quartal für den Vertrag bezahlen. Es ist zudem nicht einfach, einen iPhone-großen Gegenstand in der Gefängniszelle zu verstecken. Deshalb brauchst du eine vertrauenswürdige Person, die sich um das Handy kümmert und im Zweifelsfall die Schuld auf sich nimmt. [Anm. d. Red.: Nach Veröffentlichung dieses Interviews wurde bekannt, dass die belgische Polizei eine halbe Milliarde Sky-ECC-Nachrichten entschlüsselt hat.]

Das Zanco-Handy hingegen ist winzig. Du kannst es dir also einfach in den Arsch schieben, wenn die Wachen plötzlich deine Zelle durchsuchen wollen. Wenn jemand, den du angerufen hast, hochgenommen wird, ist es für die Polizei durch eine Funkzellenabfrage aber kinderleicht, deinen Standort rauszufinden.

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Wie sieht deine Kundschaft aus?
Das sind Dealer, die in der Kette irgendwo mittendrin sind. Das heißt, die Ware geht mindestens noch durch zwei oder drei weitere Leute, bevor sie beim Endkonsumenten ankommt. Von denen ist aber niemand reich. Meine direkten Kunden sind die Leute, von denen man erwarten würde, dass sie ein durchschnittliches Unternehmen leiten – irgendwas im Baugewerbe oder so.

Wie sicherst du dir vom Gefängnis aus deine Ware?
Ich arbeite seit gut zehn Jahren mit der gleichen Familie zusammen. Die sind straff durchorganisiert und bringen ganz schnörkellos und regelmäßig ihre Ware nach Großbritannien. Bei denen bekomme ich Heroin, Kokain, MDMA und Marihuana. Sie verarbeiten das Koks aber nicht zu Crack, dafür brauche ich jemand anderes.

Ich arbeite auch noch mit einer zweiten Gruppe zusammen, aber da habe ich keine Wahl. Lange bevor ich verknackt wurde, gab es da einen Zwischenfall: Mir wurden gut 36 Kilo hochwertiges Heroin geklaut und ich konnte das Ganze nicht zurückzahlen. Mehr kann ich dazu nicht sagen, außer dass ich deswegen über 800.000 Pfund Schulden habe. Und die verschwinden nicht einfach von heute auf morgen.

Wie läuft das Geschäft gerade?
Ganz ehrlich: nicht so gut. Bei dem EncroChat-Hack ist zwar nicht so viel passiert, wie überall behauptet wird, aber die Polizei ist dadurch trotzdem an ein paar nützliche Infos gekommen. Jetzt ist jeder übervorsichtig, weil sich alle Sorgen machen, dass ihr Name bei irgendeinem Telefonat gefallen sein könnte. Meinem Kumpel drohen zusätzliche zwölf Jahre hinter Gittern, weil er vom Knast aus gedealt hat. Er ist sich sicher, dass er nur aufgeflogen ist, weil seine Chefs bei Encro ein bisschen zu offen geplaudert haben.

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Wie findet es deine Familie, dass du vom Gefängnis aus weiter Drogengeschäfte machst?
Ich versuche, das Ganze vor meiner Frau nicht zu erwähnen, weil sie dann immer voll ausflippt. Aber sie steht trotz allem treu an meiner Seite. Meine Mutter ist schon tot. Sie starb an einer Überdosis, als ich noch Teenager war. Zu meinem Vater habe ich keinen wirklichen Kontakt mehr. Und meine beiden Zwillingstöchter haben keine Ahnung von meinen Geschäften, sie gehen ja noch zur Grundschule. 

Wie stellst du sicher, dass deine Angestellten draußen ihren Job richtig machen? Das ist vom Gefängnis aus sicher ziemlich kompliziert.
Eigentlich ist der Knast der beste Ort, um Geschäfte zu machen. Wenn einer meiner Leute im gleichen Zellentrakt wie ich sitzt, kann ich die Drogen einfach zu seinem Bruder oder Cousin draußen liefern lassen. Mein Geld bekomme ich dann garantiert, weil er ja nicht einfach abhauen kann. Meine langjährigen Kunden und Angestellten wissen, dass die Familie, die mich beliefert, voll hinter mir steht – und keine Sekunde zögert, dir eine Kugel in den Kopf zu jagen, wenn du sie bescheißt.

Es ist trotzdem schon vorgekommen, dass jemand von meinen Leuten ausnutzen wollte, dass ich im Gefängnis sitze. Es ist nicht einfach, seine Leute bei der Stange zu halten, wenn man so lange hinter Gittern ist. Es besteht immer das Risiko, dass sie für die Konkurrenz arbeiten oder dich bei einem Deal über den Tisch ziehen wollen. Aber ich sage immer: Irgendwann bin ich nicht mehr im Knast.

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Wie viel Geld verdienst du mit deinen Geschäften?
Ich muss von meinem Gewinn ordentlich was abziehen, weil ich im Gefängnis sitze. Mehrere Angestellte kümmern sich um mein Geld und die Ware, ein anderer gibt die Anweisungen. All diese Leute müssen für Aufgaben bezahlt werden, die ich normalerweise selbst erledigen würde. Ich musste auch bestimmte Führungspositionen aufteilen, damit niemand versucht, mich aus dem Geschäft zu drängen.

Ich kann hier keine Details nennen, aber pro Monat kann ich hier im Knast locker zwischen 10.000 und 30.000 Pfund verdienen. Es gibt natürlich auch Monate, in denen etwas schiefgeht und ich am Ende komplett ohne Kohle dastehe. Die meisten Dealer machen im Gefängnis mehr Profit als draußen, weil es hier drinnen keine großen Möglichkeiten gibt, das Geld auszugeben. Ich gönne mir nur ein paar Eimer Proteinpulver und bezahle ab und an jemanden dafür, mir ein neues Handy über die Gefängnismauer zu werfen.

Irgendwie ironisch, dass du im Gefängnis sitzt und trotzdem mehr Geld verdienst als die Aufseher. Was können die Behörden gegen Drogengeschäfte hinter Gittern tun?
Ich kann einfach nicht stillsitzen. Ich wurde aus meiner natürlichen Umgebung gerissen und in eine Zelle gesperrt, in der ich nichts zu tun habe. Ich musste etwas gegen die Langeweile unternehmen und meinen Erfolgshunger stillen.

Die Gefängnisangestellten behandeln uns Insassen wie Kinder und geben uns nichts Konstruktives zu tun. Sie erwarten, dass wir den ganzen Tag nur Billard und Dart spielen. Die checken nicht, dass wir auch intelligent sind und etwas Sinnvolles machen könnten. Diese Ignoranz nutzen wir aus.

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Der verkaufst extrem süchtig machende Substanzen, durch die viele Menschen sterben. Hast du deswegen kein schlechtes Gewissen?
Nicht alle von uns haben die gleichen vorteilhaften Lebensumstände. Ich wurde in Armut hineingeboren, ein Studium ist für mich nie infrage gekommen. Ich sitze jetzt hinter Gittern und habe trotzdem noch eine Menge Schulden. Immer wenn ich eine Zahlung versäume, bekommt meine Frau Todesdrohungen. Ich kann also nicht einfach aufhören, mit Drogen zu dealen.

Die meisten meiner Kunden sind süchtig. Aber wenn ich sie nicht mit Heroin versorge, macht das jemand anderes. Niemand wird gezwungen, bei mir Stoff zu kaufen. Wir alle haben unsere Probleme.

Ich habe nur Schuldgefühle, weil ich nicht für meine Kinder da sein kann, aber nicht, wenn eine Person stirbt, an die ich Heroin verkauft habe. Das Einzige, was in dem Bereich nicht klargeht: anderen Leuten Heroin oder Crack aufdrängen und so eine Sucht fördern. Ich habe einigen Kumpels sogar schon geholfen, clean zu werden und zu bleiben.

Willst du irgendwann aus dem Drogengeschäft aussteigen?
Niemand hat den Wunsch, Heroindealer zu sein. Man will nur ein bequemes Leben und ein schönes Einkommen. Das Dealen ist lediglich Mittel zum Zweck. Aber dann laufen die Geschäfte gut, du steckst dir größere Ziele und schon hast du Angestellte, die auf dich zählen – und du fühlst dich verpflichtet, sicherzustellen, dass auch sie ihre Rechnungen bezahlen können.

Dann dauert es nicht mehr lange, bis es bei den Deals um richtig viel Geld geht. Und du weißt wirklich nicht mehr, wofür du dein ganzes Vermögen noch ausgeben sollst. Allerdings kannst du jetzt auch nicht mehr einfach so aufhören. Es gibt keinen Ausweg mehr. Und dann verlierst du durch einen dummen Zwischenfall trotzdem irgendwie dein ganzes Geld – und musst wieder von vorne anfangen, weil du irgendeiner niederländischen Organisation fast eine Million Pfund schuldest.

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