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Warum brauchen Männer immer so lange auf dem Klo?

In unserer hochwissenschaftlichen Umfrage haben sechs Männer angegeben, regelmäßig eine Stunde (!) auf dem Lokus zu verbringen. Ein Psychotherapeut hat eine Theorie.
Ein Mann steht vor einer Toilette und hält eine Rolle Klopapier in der Hand, vielleicht verbringt er wie viele andere Männer jetzt sehr viel Zeit auf dem Klo; ein Psychotherapeut erklärt, warum das für viele Männer eine Art Flucht vor dem Alltag ist
Symbolfoto: Atlas Studio / Alamy Stock Photo

Im Film Immer Ärger mit 40 gibt es eine besonders denkwürdige Szene: Paul Rudd tut als sein Charakter Pete so, als sitze er auf dem Klo, um in Ruhe auf seinem iPad zocken zu können. Seine Frau erwischt ihn und schreit durch die Badtür, sie wisse, dass er nicht wirklich kacken ist. Pete widmet sich wortlos wieder seinem Tablet.

Erst vor Kurzem geschah mir etwas Ähnliches. Meine Freundin sagte mir, dass ich angeblich "abnormal" viel Zeit auf dem Klo verbringen würde. Da fragte ich mich, ob alle Männer den Großteil ihres Lebens auf der Toilette sitzen – oder zumindest so tun. Oder bin es nur ich, der viel mit Pete aus Immer Ärger mit 40 gemeinsam hat?

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2018 führte das britische Bad-Accessoire-Unternehmen Pebble Grey eine Studie durch, bei der herauskam, dass Pete und ich nicht alleine sind: Ein Drittel der britischen Männer verbringen pro Jahr insgesamt mehr als sieben Stunden auf dem Lokus, sie "genießen die Pause" und "vermeiden so Stress".

Meine Neugier war geweckt und ich arbeitete eine eigene Umfrage zu Klo-Gewohnheiten aus, die ich an 38 Männer im Alter zwischen 19 und 55 schickte. Und siehe da: 92 Prozent von ihnen kreuzten an, dass sie 20 Minuten oder länger auf ihren Porzellanthronen sitzen. Bei etwas mehr als 70 Prozent sind es über 30 oder über 40 Minuten. Sechs Männer gaben sogar zu, regelmäßig über eine Stunde auf dem Klo zu verbringen. Meine Beine sind schon alleine bei dem Gedanken eingeschlafen.

Zum Vergleich stellte ich zehn Frauen die gleiche Frage – und sie alle sagten, dass sie nicht länger als zehn Minuten im Bad bräuchten.

Laut der US-amerikanischen Gesundheitsorganisation Geisinger dauert der durchschnittliche Stuhlgang zwölf Sekunden. Zwar kann es manchmal auch länger gehen, aber mehr als zehn Minuten sollte eigentlich niemand auf der Toilette verbringen. Frauen machen also alles richtig. Aber was geht bei den Männern ab? 

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Auf die Frage, was sie – abgesehen vom Offensichtlichen – auf dem Klo so treiben, antworteten 84 Prozent der männlichen Teilnehmer meiner Umfrage, dass sie sich durch die sozialen Medien klicken. 68 Prozent schauen Videos und 62 Prozent lesen Nachrichten. Danach folgten das Lesen von E-Mails und Nachrichten (49 Prozent) und das Schauen von TV-Serien (24 Prozent). Einige sagten noch, sie lesen ein Buch (14 Prozent) oder rufen jemanden an (8 Prozent).

Einige der Männer nannten Langeweile als Grund, andere Entspannung und Hygiene. Die häufigste Antwort mit fast 80 Prozent war aber, dass man aufs Klo ginge, um auch mal Zeit für sich allein zu haben.

"Manchmal kommt es echt vor, dass das Kacken so lange dauert."

Andy ist 30 Jahre alt und sagt, dass er seine durchschnittlichen 25 Minuten auf der Toilette dazu nutze, um das Essen zu planen und um "über Dinge nachzudenken". Das habe auch schon zu einigen Diskussionen mit seiner Freundin geführt.

"Ich habe das halt schon immer so gemacht", erzählt Andy am Telefon. Die Dinge, über die er auf dem Klo nachdenkt, hätten sich dabei über die Jahre geändert. "Inzwischen lebe ich mit meiner Freundin zusammen. Da nutze ich diese Zeit für mich dazu, um das gemeinsame Abendessen zu planen und um allgemein durchzugehen, was die kommenden Tage so ansteht."

"Ich kann da richtig produktiv sein", sagt er.

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Der 25-jährige Harry sagt, dass er schon "seit er denken kann" rund 20 bis 30 Minuten auf dem Klo verbringe.

"Manchmal kommt es echt vor, dass das Kacken so lange dauert", erzählt er und lacht. "Meistens verbringe ich aber so viel Zeit auf dem Klo, weil ich am Handy hänge oder Fußball schaue."

Im Gespräch mit dem Psychotherapeuten Benjamin Jackson, der sich auf Probleme von Männern spezialisiert hat, wird klar, dass Männer die Zeit für sich vielleicht dazu brauchen, um ein Testosteron-Level wieder hochzufahren, das durch Sozialisierungs-, Arbeits- oder gar sexuellen Druck gesunken ist.

"Ich frage die Männer in unseren Sitzungen immer, wo sie Zeit für sich haben", sagt Jackson. "Wenn sie in kleinen Wohnungen oder großen WGs leben, ist dieser Ort oft die Toilette." 

Um seine Hormontheorie weiter zu erklären, sagt der Psychotherapeut: "Oxytocin beeinflusst als sogenanntes Kuschelhormon unsere sozialen Interaktionen und senkt das Testosteron-Level. Wenn ein Mann also viel Zeit alleine in einem Zimmer verbringt, versucht er vielleicht, dieses Level wieder hochzubringen, damit er der Partner oder Mitbewohner sein kann, der er seiner Meinung nach sein sollte."

Laut Jackson neigen Männer zu Aktivitäten, bei denen man sich nur auf eine Sache konzentrieren muss – etwa ein Fußballspiel anschauen oder Nachrichten lesen –, um Stress zu lindern. "Wenn man nach den typischen Gender-Stereotypen geht, bevorzugen Männer in diesen Situation das Denken und Machen, während es bei Frauen das Fühlen und das Sein ist", sagt Jackson. "Deswegen ist es Frauen im Allgemeinen viel wichtiger, mit Freundinnen und Freunden zu reden."

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"Für mich ist das wie ein Reset – und die Chance auf ungestörte Zeit nur für mich selbst."

63 Prozent der Männer, die bei meiner Umfrage mitgemacht haben, gaben an, dass sie vor allem dann absichtlich länger auf dem Klo sitzen, wenn sie wegen der Arbeit oder ihres Privatlebens frustriert sind. Der Grund: Sie sehen die Toilette als Safe Space.

Andy sagt dazu: "Für mich ist das wie ein Reset – und die Chance auf ungestörte Zeit nur für mich selbst." Offensichtlich ist das Klo für Männer viel mehr als nur ein Ort, an dem sie ihre körperlichen Abfälle loswerden. Dort werden sie auch ihren psychischen Ballast los.

Das Schamgefühl, das viele Männer mit dem Sprechen über ihre Gefühle empfinden, ist nichts Neues: Bei einer Studie aus dem Jahr 2019 kam heraus, dass 58 Prozent der Männer in den USA, Großbritannien, Kanada und Australien immer noch glauben, emotional stark sein zu müssen und keine Schwächen zeigen zu dürfen. Da überrascht es kaum, dass Jackson andeutet, wie die ideale Therapiestunde für Männer aussieht: Sie verbringen eine Stunde alleine und müssen mit niemandem reden. Klingt verdächtig nach der Zeit auf dem Klo. 

"Dieser Rückzugsort ist sehr wichtig", sagt Jackson. "Genauso wichtig ist es aber, dass dieser Ort nicht dazu genutzt wird, um Dingen aus dem Weg zu gehen."

Ein Teilnehmer meiner Umfrage beschrieb das Klo als Ort, an dem er einen ruhigen Moment ohne den Druck des Alltags nur für sich genießen kann. Und plötzlich klingt das viel ergreifender als vorher.

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