Politik

Dieser Arbeitsrechtler erklärt, wie sehr du in deinem Lebenslauf schummeln darfst

Es ist zum Beispiel OK zu behaupten, einen Abschluss von Hogwarts zu haben.
Ashkan Saljoughi, Leiter der Kanzlei Chevalier, erklärt, was beim Lebenslauf erlaubt ist und was nicht
Foto: Alan Ovaska

Lebensläufe öffnen Türen, das kann schön sein. Dumm nur ist es, wenn Lebensläufe Einträge enthalten, die nicht stimmen. Annalena Baerbock zum Beispiel ärgert sich dieser Tage über einige solcher Einträge. 

War sie nun Büroleiterin in Brüssel oder Potsdam? War sie Mitglied beim Flüchtlingshilfswerk oder nur Spenderin? Jedenfalls strauchelt die Grünen-Vorsitzende und Spitzenkandidatin derzeit.

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Wir haben mit dem Juristen Ashkan Saljoughi darüber gesprochen, ob ein bisschen Lebenslauf-Tuning erlaubt ist und wo die Grenzen liegen. Er ist Partner bei Chevalier Rechtsanwälte in Berlin, die auf Arbeitsrecht spezialisiert ist.


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VICE: Hallo Ashkan, hast du selbst mal in einem Lebenslauf falsche Informationen angegeben?
Ashkan Saljoughi:
Ein bisschen geschönt habe ich sicherlich mal. Ich glaube – mein Gott, ob ich mich damit jetzt zu weit aus dem Fenster lehne – eher nein? Ich spende schon seit vielen Jahren für das UNHCR und ich glaube, ich gebe auch in meinen Lebensläufen an, dass ich Mitglied sei. Das ist man praktisch auch, glaube ich. Aber ich bin auch kein Politiker. 

Das ist also noch zulässig?
Ja, das sehen auch beide Seiten so. Ich führe als Partner der Kanzlei ja auch selbst Bewerbungsgespräche und denke, beide Seiten finden solche Sachen noch in Ordnung.

Ich möchte auch lieber über Dinge sprechen, die nicht zulässig sind. Dafür habe ich mir ein Beispiel überlegt: Ich will Hundefriseur werden. Darf ich im Lebenslauf schreiben, ich hätte selbst einen Hund, Hunde trainiert und ich würde regelmäßig mit ihnen spazieren gehen, obwohl nichts davon stimmt?
Das ist einer der Bereiche, bei denen es noch nicht auf die inhaltliche Arbeit ankommt. Du kannst vielleicht besser mit Hunden umgehen, wenn du dich mit ihnen auskennst, aber für das Schneiden der Haare ist das egal. Das hätte wohl noch keine rechtlichen Konsequenzen. Trotzdem kommen wir da schon in einen Bereich, wo ich eher davon abraten würde.

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Mein Chef könnte mich dann hinterher nicht rauswerfen?
Nicht, wenn du auf der Arbeit das ablieferst, was von dir erwartet wird. Nämlich: Du bist gut im Umgang mit Hunden. Du kannst die Haare der Hunde vernünftig schneiden und die Leute, die zu dir zum Haareschneiden kommen, fühlen sich wohl.

Auch nicht, wenn ich Skills erfinde, von denen ich weiß, dass ein Arbeitgeber sich die Finger danach lecken wird, wenn er sie in meinem Lebenslauf sieht? Wenn ich etwa behaupte, ich könnte perfekt mit Photoshop umgehen, kurz nachdem der Hundesalon seine Grafikerin verloren hat?
Nicht, wenn du als Hundefriseur eingestellt werden sollst. Wer definiert denn, ob du es perfekt kannst? Nein, das ist wohl im Bereich dessen, was noch zulässig ist. Vor allem, wenn es nicht explizit gefordert ist. Du willst es einfach, um deinen Lebenslauf ein bisschen aufzuplustern, das ist in Ordnung. Arbeitgeber sind da ja nicht anders. 

Was heißt das denn?
Arbeitgeber tun ja in Stellenanzeigen auch so, als ob sie alles bieten würden. Als handele sich um ein spannendes Unternehmen mit flachen Hierarchien, top Work-Life-Balance und super Flexibilität. Da würde ja auch keiner auf die Idee kommen, das Arbeitsverhältnis zu beenden, weil das nicht alles so stimmt. Also darfst auch du sagen, dass du super team- und kritikfähig bist, obwohl du sofort anfängst zu schimpfen, sobald jemand sagt, dass dein Haar nicht richtig sitzt.

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Was ist denn, wenn ich lüge, um meinem Chef zu schmeicheln, wenn ich weiß, dass er Pokémon-Fan ist und ich ihm erzähle, dass ich selbst Pokémon-Go spiele?
Schmeicheln dürftest du sicherlich. Du könntest deinem Chef sagen, du seist auch großer Pokémon-Fan. Das wäre nicht problematisch. 

Und angenommen, ich erführe, dass mein Chef zum Beispiel muslimisch ist. Dürfte ich behaupten, ich sei selbst Muslim?
Religion, Weltanschauung, Politik und Gewerkschaftsmitgliedschaften sind sowieso etwas Besonderes. Wenn du im Bewerbungsgespräch darauf angesprochen wirst, darfst du lügen. Auch wenn dein Chef fragt, ob du zum Beispiel Kinder willst. Proaktiv zu lügen halte ich aber für unzulässig. Also wenn dein muslimischer Chef dich fragt, ob du Muslim bist, darfst du ja sagen, obwohl du jeden Tag in die Kirche gehst. Du solltest es aber nicht ungefragt in den Lebenslauf schreiben.

OK, und wenn ich nun behaupte, ich sei nicht nur Hundebesitzer, sondern auch, dass ich eine abgeschlossene Friseur-Ausbildung habe?
Da überschreitest du definitiv Grenzen. In dem Augenblick, wo du vorgibst, Ausbildungen abgeschlossen zu haben, oder anfängst, Dokumente zu fälschen. Das wäre eine arglistige Täuschung. Da wird es sofort arbeitsrechtlich und gegebenenfalls auch strafrechtlich relevant. Da gibt es auch Urteile – zum Beispiel über Juristen, die sich ein besseres Staatsexamen erfunden haben, um in bessere Kanzleien zu kommen, und dann zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Auch arbeitsrechtlich kann das noch nach Jahren angefochten werden.

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Wie lang?
Bis ein Jahr nach Kenntnis. Zwar verjährt Urkundenfälschung nach fünf Jahren, du kannst dann also strafrechtlich nicht mehr belangt werden. Aber wenn dein Chef nach acht Jahren herausfindet, dass dein Abschluss gefälscht ist, hat er ein Jahr, um dich rauszuwerfen. Dies geschieht durch Anfechtung.

Sonst nichts?
Wenn deinem Arbeitgeber durch deine Lügen Schaden entsteht, kann er Schadensersatz fordern. Wenn zum Beispiel aufgrund dessen Aufträge von Kunden zurückgezogen werden, für die ihr bereits in Vorleistung gegangen seid, dann kannst du dafür haftbar gemacht werden. Du verlierst also nicht nur Job und Einkommen, sondern musst plötzlich auch einen Haufen Geld zahlen. Das ist mitunter besonders bitter.

In der Schule war ich im Rechtskundeunterricht. Einmal im Monat kam ein Anwalt und hat von seiner Arbeit erzählt. Jeder hat am Ende einen Wisch bekommen "Soundso hat am Rechtskundeunterricht teilgenommen". Einer hat zu oft gefehlt und den Wisch nicht bekommen, dürfte er das trotzdem in den Lebenslauf schreiben?
Das wäre eine arglistige Täuschung. Ob es reicht, damit dein Arbeitgeber dich rauswerfen kann, weiß ich nicht. 

Warum?
Man muss wissen: Die Arbeitsgerichte werten Arbeitnehmerrechte zu Recht höher als die von Arbeitgebern. Und sie sind bemüht, Arbeitsverhältnisse, die an sich funktionieren, zu schützen.

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Und wenn mein Schulkamerad sich den Wisch selbst ausstellen würde?
Das wäre möglicherweise Urkundenfälschung und wahrscheinlich strafrechtlich relevant, von arbeitsrechtlichen Konsequenzen ganz zu schweigen.

OK, kannst du noch mal sagen, wo genau der Unterschied ist zwischen meiner Behauptung, ich hätte einen Harvard-Abschluss und einem Photoshop-Harvard-Zeugnis?
Es gibt keinen Unterschied. Wenn du behauptest, einen Hochschulabschluss oder einen Ausbildungsabschluss oder auch einen Schulabschluss zu haben, ohne den tatsächlich zu haben, ist das immer eine arglistige Täuschung und ein Grund, der die nachträgliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Beides ist im Extremfall ein Betrug, nur kommt bei einem Urkundenfälschung hinzu.

Wann?
Na ja, wenn du keine Urkunde hast, dann hast du keine Urkunde, dann hast du keine Urkundenfälschung betrieben. Aus dem Bereich des Betrugs bist du vermutlich nicht raus. Wenn der Arbeitgeber keine Pflicht hat, sich ein Zeugnis zeigen zu lassen, dann ist es am Ende egal, ob du es auch vorlegst oder eben nicht. 

Und wenn ich einen Abschluss von Hogwarts vorlege?
Bei Hogwarts könnte man vielleicht sagen: "Ey komm, das ist doch offensichtlich ein Scherz." Aber wenn es etwas ist, was ein Arbeitgeber auch schlucken könnte, dann sind das dieselben Tatbestände, weil du jemanden bewusst getäuscht hast. Du könntest also auf jeden Fall gekündigt werden und wahrscheinlich wäre es auch strafrechtlich relevant.

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Ich habe mal ein Praktikum gemacht, bei dem die Stelle innerhalb des Betriebs "Gastredakteur" hieß, obwohl es offensichtlich ein Praktikum war. Darf ich "Gastredakteur" in den Lebenslauf schreiben.
Da kann ich dir Absolution erteilen, das darfst du.

Puh. Was ist denn, wenn eine Qualifikation, für die ich angestellt wurde, später wegfällt? Wenn ich etwa einen Doktortitel verliere, der mich bei der Bewerbung aus der Masse der ungebildeten Masterabsolventen hervorstechen ließ?
Du darfst den Doktortitel dann nicht mehr tragen, aber wenn du den überall rausnehmen lässt, ist das in Ordnung. Dann hast du ja in der Bewerbung selbst nicht gelogen.

Zum Abschluss: Hast du eine Faustregel, nach der ich abschätzen kann, was ich im Lebenslauf darf und was nicht?
Es gibt den "Frag deine Oma"- und den "Ich hau mir auf die Stirn"-Test. Wenn du etwas Übertriebenes in den Lebenslauf schreibst, zum Beispiel "Ich spreche sehr gut Englisch", obwohl du nur mittelmäßig Englisch sprichst, und dir vorstellst, wie deine Oma reagieren würde, wenn du es ihr erzählst. Wenn sie sagt: "Ach komm, die sollen sich nicht so haben", dann ist es meistens OK. Wenn du aber etwas hineinschreibst wie zum Beispiel "Ich führe seit Jahren verhandlungssicher Gespräche auf Englisch", obwohl du deine Serien mit deutschen Untertiteln guckst, dann möchte man sich auf die Stirn hauen. Das ist dann meistens nicht OK. 

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