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Technologie

Diese Kalorienzähl-App bombardiert dich mit Beleidigungen

Die neue App „Carrot Hunger“ will dich zum Abnehmen motivieren, indem sie dich mit Beleidigungen bombardiert und mit Vollbild-Werbungen foltert, sobald du maßlos in dich reinfutterst.
Hilary Pollack
Los Angeles, US

Der britische Gewichtscoach und Hypnotherapeut Steve Miller musste letzte Woche ganz schön den Kopf hinhalten, nachdem er versuchte hatte, den 7. Januar (angeblich) im Namen der gesunden Ernährung als „Warn a Friend They're Fat"-Tag (Warne einen Freund, dass er zu dick ist-Tag) zu erklären. Wenig überraschend trat die übergewichtige Community in Horden hervor und sagte ihm, er solle sich verpissen. Die meisten Leute, egal wie schwer sie sind, wollen nicht von einem Freund oder einer Freundin hören, dass ihr Körper und ihre Ernährung nicht akzeptabel sind. Würdest du es aber von einer App lieber hören wollen?

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Einem Freund oder deinem Liebling zu sagen, dass er oder sie eine fette Kuh ist, ebnet dir den direkten Weg in die Hölle. Bekommt man es aber von einer neutralen dritten Partei zu hören, können viele Leute damit besser umgehen. Zumindest hatten die Macher der neuen App Carrot Hunger das genau so im Kopf.

Wie wir bereits erwähnt haben, Neujahrsvorsätze sind gar nicht so einfach einzuhalten wie es vielleicht scheint—besonders, wenn es darum geht, abzunehmen oder gesund zu essen. Der Grund, warum es Personal Trainer und Ernährungsberater gibt, ist, damit sie uns mit einer liebevollen Härte auf dem Weg zur Schlankheit begleiten, weil wir diese Härte für uns selbst nicht aufbringen können. Carrot Hunger hat sich voll und ganz diesem Konzept verschrieben. Die App bombardiert dich mit Beleidigungen und verlangt sogar Geld, wenn du von deinem Ziel abkommst.

Sie sagt mir, ich werde mir wünschen, nie geboren worden zu sein, während mein Avatar plötzlich dicker wird. Der Text in meinem „Tagebuch" wird aktualisiert und lautet nun: „Du hast deine Portionen nicht unter Kontrolle und solltest dich schlecht fühlen."

„Greetings, Meatbag," sagt die App zu mir (hörbar, wenn du den Sound an hast) beim ersten Öffnen. „Ich bin dein neuer Gebieter der Nahrungsaufnahme."

Als ich mein Gewicht eingebe, bemerke ich, dass Frauen unter 158 cm als „Ewoks" oder „Jockeys" bezeichnet werden, Frauen über 175 cm als „Bigfoot", „Wookie" oder „Giraffe". Wenn du nach unten scrollst, um dein Gewicht auszuwählen, wächst dein Avatar mit.

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„Wenn du fett wirst", warnt mich die App, „werde ich angepisst sein."

Mahlzeiten einzutragen geht ganz einfach und es gibt eine recht ausführliche Kaloriendatenbank, die alle möglichen, leckeren, bösen Dinge beinhaltet. Ich sage der App, dass ich ein halbes Kilo pro Woche abnehmen möchte und es schlägt mir vor, täglich nicht mehr als 1400 Kalorien zu mir zu nehmen. Wie zu erwarten war, klettert die Zahl rasant nach oben. Das Käse-Ei-Sandwich und der gezuckerte Orangensaft von heute Morgen bringen mich schon beängstigend nahe an die tägliche Maximalgrenze. Unruhe macht sich in mir breit. Carrots Urteil sitzt mir im Nacken.

Aus Spaß sage ich der App, dass ich zu meinem recht dekadenten Frühstück gerade noch 11 Milky Ways gefuttert habe. Mit diesem „Snack" überschreite ich mein tägliches Kalorienlimit bei weitem. Ich kann mich entscheiden zwischen Bestechung—für 0,99 Cent verschwindet mein Snack aus meiner Kalorienliste (eine ziemlich clevere Monetarisierungsstrategie, muss ich zugeben)—und „DIE KONSEQUENZEN AKZEPTIEREN".

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Carrot Hunger ist wegen der 11 Milky Ways angepisst.

Da ich kein großer Fan von In-App-Käufen bin, entscheide ich mich für Letzteres—und bekomme sogleich eine Benachrichtigung, dass der „Angry Mode" jetzt an ist. „Als Strafe", sagt Carrot, „steigt die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass du bei der nächsten Essenseingabe eine gefürchtete Vollbild-Werbung eingeblendet bekommst."

Dann verändert sich die Farbe meines Bildschirms von grün auf pink und die App sagt zu mir, ich werde mir wünschen, nie geboren worden zu sein, während mein Avatar plötzlich dicker wird. Der Text in meinem „Tagebuch" wird aktualisiert und lautet nun: „Du hast deine Portionen nicht unter Kontrolle und solltest dich schlecht fühlen." Wieso gefällt mir das bloß?

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Obwohl ich die 11 Milky Ways zwar nicht wirklich gegessen habe, fühle ich mich ein bisschen angegriffen, verärgert und (ja) beschämt. Aber um ehrlich zu sein, gefällt mir diese Art der Strafe. Das Interface ist so fröhlich, dass es sich mehr wie eine Art spielerischer geistiger Klaps auf den Hintern als ein emotionaler Zusammenbruch anfühlt.

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Eine weitere Art der Bestrafung ist eine Benachrichtigung an all meine Freunde, in der ich für meine bemitleidenswerte Selbstbeherrschung und meine Fressorgie angeprangert werde. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob das etwas damit zu tun hat, aber die Werbung ganz unten auf dem Bildschirm änderte sich außerdem von Schlangenöl zu einem mysteriösen Getränk namens „Slusho" und schließlich zu einer Aufforderung, eine Pferdemaske zu kaufen, IN GROSSBUCHSTABEN.

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Aktuelle Studien haben gezeigt, dass Beleidigungen gar nicht zu einer Gewichtsabnahme führen, sondern sogar das Gegenteil bewirken können. Das liegt daran, dass die Beleidigungen bei den Betroffenen für mehr Stress sorgen, was wiederum dazu führen kann, dass sie mehr essen. Um ehrlich zu sein, ist es aber immer noch um einiges leichter, von einem Cartoon auf deinem Handy ,Fleischhaufen' genannt zu werden, als von deinem Tinder-Date.