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Religion

Ein Gespräch mit jungen Muslimen über Schweinefleisch

Der Verzicht auf Schweinefleisch ist für viele jugendliche Muslime ein Kompromiss. Ich bin Muslim und habe es nicht gegessen, bis ich 25 war. Vor Kurzem habe ich mit einer Facebook-Gruppe junger Muslime über ihre Gedanken bezüglich dieses Themas...
Foto: Flickr-User Ernesto Andrade

Wenn du einem Kind Verbote auferlegst, dann wird es eine unstillbare Neugier auf genau das entwickeln, was verboten wurde. Muslimische Eltern müssen das erst noch kapieren und versuchen immer noch mit aller Kraft, den Verzehr von Schweinefleisch, den Konsum von Alkohol und den Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu verhindern. Ein Verbot ist bei Alkohol und Sex zwecklos, sei es nun auf einem landesweiten Level oder innerhalb eines einzelnen Haushalts. Jugendliche werden immer von veränderten Bewusstseinszuständen und der Fleischeslust angezogen, womit die von den Eltern aufgestellten Regeln gebrochen werden. Der Verlockung von Schweinefleisch kann man vergleichsweise leichter widerstehen, aber junge, muslimische Menschen sehen die Enthaltung als einen Kompromiss. Wenn du auch nur ein bisschen loyal zu deinen Eltern oder dem Islam sein willst, dann bleibst du so mit einem Fuß innerhalb der Grenzen. Ich bin in Thailand aufgewachsen, einer der besten Orte der Welt, um sich kulinarisch am Schwein zu ergötzen. Bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr war ich einigen der leckersten Schweinefleisch-Gerichte der Welt ausgesetzt und durfte keines davon probieren. Meine Eltern sind muslimische Pakistani und es gab keinen Spielraum für Fehltritte beim Essen, obwohl ich in Thailand lebte.

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Ich erlebte die verschiedenen Schritte des Erwachsenwerdens genauso wie jeder amerikanische Jugendliche, aber wie bei so vielen Kids mit muslimischem Hintergrund beinhaltete meine Rebellion kein Schweinefleisch. Bis zum Alter von 25 habe ich diese Grenze nicht überschritten. Als ich letztendlich damit anfing, Schwein zu essen, war das ein inszenierter Schritt. Ich wollte meine Schweinefleisch-Jungfräulichkeit verlieren, um Inspiration und eine einprägsame Grundlage für einen Blog zu schaffen. Was darauf folgte, war der Verzehr von viel Schwein und das Niederschreiben vieler Wörter darüber. Am Ende war ich komplett desensibilisiert gegenüber dem Ekel, den so viele Muslime vor dem Tier haben. Da mein lebenslanges Konditionieren jetzt nicht mehr Bestand hatte, klangen die klassischen muslimischen Argumente gegen Schweinefleisch in meinen Ohren plötzlich auch wie der Bullshit, für den ich sie schon immer gehalten hatte.

Vor Kurzem sammelte ich in einer Facebook-Gruppe voll junger Muslime ein paar Meinungen zu diesem Thema. Ich fragte, ob irgendjemand von ihnen Schweinefleisch esse und falls ja, warum. Es folgten eine Menge Antworten: Einige zeigten Gleichgültigkeit der Sache gegenüber, andere strikte Ablehnung. Die lautesten Stimmen waren die am ehesten zu erwartenden, wie es bei Kommentaren eben so ist. Um ihre Enthaltung zu rechtfertigen, argumentierten einige, dass Schweinefleisch „unrein" sei und stellten dazu noch Behauptungen wie die folgenden auf:

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„Die Tatsache, dass man Schweinefleisch immer pökeln muss, bevor es verkauft werden kann, ist angsteinflößend. Es riecht ekelhaft und sieht auch so aus."

„Schweine verdauen Essen sehr schnell. Die Giftstoffe bleiben im Fleisch. Schweine aus industriellen Farmen fressen wortwörtlich Scheiße. In Schweinefleisch befinden sich viel mehr Bakterien als in anderen Fleischsorten und man muss es vor dem Kochen sehr lange vorbereiten und säubern."

„Ich glaube, ich könnte innerhalb eines Tages eine empirische Arbeit schreiben, die zeigt, wie viel höher die Wahrscheinlichkeit eines Schweins ist, von Viren/Seuchen und allgemein schlechter Gesundheit befallen zu sein."

Bei diesen Behauptungen wurde auch oft bestritten, dass Religion darauf irgendwie einen Einfluss hätte:

„Meine Vorstellungen von Schweinefleisch habe ich nicht durch Religion oder die Meinung meiner Familie. Ich habe viel über Schwein, Fleisch und Lebensmittel allgemein gelesen."

„Ich glaube, zum Teil will man an einer Kultur festhalten, aber es ist auch das ungesündeste Fleisch."

All diese Spekulationen ignorieren komplett die Tatsache, dass Milliarden Menschen täglich Schweinefleisch konsumieren und dadurch nicht ständig Parasiten-Epidemien ausbrechen. Es ist nicht „schmutziger" als andere Fleischsorten und die empfohlene Kochtemperatur ist die gleiche wie die von Rindfleisch oder Lamm. Die Leute bestehen so auf die Unreinheit von Schweinefleisch, weil Schweine angeblich eine Angewohnheit haben (dies haben mir auch schon meine Eltern und meine Großeltern eingebläut, damit ich mich ja nicht damit anfreunde):

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„Schweine fressen ihre eigene Scheiße."

Fairerweise diskriminieren Schweine dabei niemanden und fressen die Scheiße von jedem. Sie essen tatsächlich alles, was du ihnen hinstellst. Das bedeutet aber nicht, dass sich die heute aufgezogenen Schweine nur von Scheiße, Müll und Leichen ernähren. Das Futter von Zuchtrassen wie dem berühmten Berkshire-Schwein wird streng kontrolliert und besteht aus frischem Gemüse und Getreide. Die meisten der auf Farmen aufgezogenen Schweine der USA werden mit Mais und Sojabohnen gefüttert, genauso wie der meiste kommerzielle Viehbestand. Darin befinden sich vielleicht ein wenig Exkremente, aber du kannst auch einen drauf lassen, dass du schon Rindfleisch einer Kuh verzehrt hast, die vorher schon etwas Scheiße gefressen hat. Sie sind nicht besser. Und du hast auf jeden Fall schon ein Hühnchen gegessen, das einen seiner Artgenossen verschlang.

Ein anderes, weit verbreitetes Argument besagt, dass Schweinefleisch dem menschlichen Fleisch sehr ähnlich ist. Eine der vernünftigeren Antworten besagte dies ebenfalls:

„Man wurde auf jeden Fall das ganze Leben lang darauf programmiert, es nicht zu essen. Mir war klar, wie dumm das ist, habe aber dennoch 18 Jahre meines Lebens so gedacht. Ich hörte die Leute sagen, dass Schweinefleisch dreckig sei. Einige sagten sogar, dass wir es nicht essen, weil Schweinehaut/-fleisch sehr menschenähnlich ist. Schweine werden für die Insulin-Xenotransplantation und Hauttransplantation bei Menschen hergenommen, also habe ich das eine Weile als Ausrede benutzt."

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Es ist wahr, dass Schweineorgane den menschlichen Organen ähnlicher sind, als die von anderen von uns konsumierten Säugetieren. Neben Primaten sind Schweinehaut und -organe der Standard bei Xenotransplantationen. Das wirklich Paradoxe an diesem Argument ist, dass es das genaue Gegenteil der Vorstellung darstellt, dass Schweine ekelhafte, scheiße-fressende Monster sind. Trotzdem wird beides ständig zusammen als Argument verwendet. Hier die Meinung vieler in anderen Worten: „Schweine sind dreckig und voller Scheiße-Parasiten, dazu ist ihr Fleisch genauso wie unseres, also esse ich es nicht. Übrigens, dieser akzeptierte Gegensatz hat gar nichts mit meiner Religion zu tun."

Die Vorherrschaft dieses Doppeldenkens erstaunt mich immer wieder, wenn ich diesem begegne. Viele dieser jungen Muslime haben in vielerlei Hinsicht progressive Ansichten. Sie glauben an die Evolution, sie erkennen, dass Fundamentalismus eine politische Verdrehung ihrer Religion ist, und sie brechen Regeln aufgrund von Auswirkungen im echten Leben anstelle von Gründen aus einem 1400 Jahre alten Buch. Viele von ihnen würden von traditionellen Muslimen gar nicht als solche angesehen werden. Wie zum Beispiel dieser Typ:

„Saufen und Ficken versetzen dich in einen euphorischen Rauschzustand, aber der Verzehr von Schwein oder generell Fleisch hat bei mir nicht die gleiche Wirkung. Also habe ich meinen Fleischkonsum beschränkt und fühle mich durch das Essen von organischen/Freilandhühnern und Fisch allgemein besser. Was die moralischen Probleme betrifft, so weiß ich, dass der Verzehr von Schwein im Islam als bösartig angesehen wird, aber ich bin mir sicher, dass all die riesigen, feuchten Schwänze, die schon das Hintere meines Halses gesehen haben, auch nicht ganz halal waren! … Hmmm."

Ich habe das „Hmmm" in diesem letzten Zitat bewusst stehen gelassen, denn es kann zwei Dinge bedeuten: Entweder erkennt der Verfasser sein gegensätzliches Denkmuster, wenn er dem Weg einer Ideologie folgt, die seine Sexualität verteufelt oder er schwelgt in Erinnerung an einen riesigen, feuchten Schwanz, den er mal gelutscht hat. Wie auch immer, die Inkonsistenz ist nicht zu übersehen.

Ich will damit nicht sagen, dass es falsch ist, wie jemand die religiösen Vorschriften umsetzt. Ein zentraler Aspekt des Islam, auf den ich und andere gerne zurückgreifen, ist der, dass der Glaube eine „Jedem das Seine"-Attitüde bezüglich der Spiritualität fördert. Egal ob du deine Verbote selbst auswählst, deinen Glauben mit der Realität verbinden musst oder beim Umsetzen eines jeden Buchstabens der Vorschriften kämpfst, du bist immer noch Muslime. Trotz meiner Verbotsüberschreitungen ist der Islam das einzige kulturelle Glaubenssystem, nach dem mich meine Eltern erzogen haben, also sehe ich mich immer noch als Muslime. Davon konnte ich andere Leute noch leichter überzeugen, als ich zumindest noch einer Vorschrift gefolgt bin—Abstinenz vom Schweinefleisch. Wie ich bereits erwähnt habe, ist dies die am leichtesten zu befolgende Regel, wenn du davon ausgehst, dass Trinken und Sex einfach zu viel Spaß machen. Jeder, der Schweinefleisch schon immer gemieden hat, kam noch nie in den Genuss von perfekt gekochtem Schweinebauch, Schweinerippchen oder etwas Köstlichem im Speckmantel.

Wie bei jeder Abstinenz: Sie haben einfach keine Ahnung, was ihnen entgeht.