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Interviews

"Trinkt nicht so viel Alkohol, klebt euch lieber Tesa auf die Brillengläser" – Staiger trifft Balbina

Balbina hat sich aus dem Rap-Untergrund zu einer der spannendsten Pop-Künstlerinnen entwickelt. Jetzt stellt sie sich Staigers Fragen.

Foto im Header: Nicolas Höfer

Balbina macht Songs über das Nichtstun, gegen das sie etwas tun muss und über Uhren, die dem Zahn der Zeit erliegen. Sie nimmt die Pechsträhne beim Wort, erweckt die Schatten auf der Tapete zum Leben, singt über berühmte Psychotherapeuten, Seife, Goldfische, Schwämme und kleine Heizungen. Ihre Stimme ist eindringlich und ihre Sprache voller Poesie. Jedermanns Sache ist das nicht und so fallen die Reaktionen auf die Berlinerin durchaus unterschiedlich aus. Einfacher ausgedrückt: Entweder-oder. Entweder man hält Balbina für ein echtes Genie – was sie ohne Zweifel auch ist – oder man ist ein Mensch ohne jeglichen Geschmack, Gefühl und Sinn für Ästhetik und findet sie scheiße. Dann kann man aber auch gleich auf ein Helene Fischer-Konzert gehen.

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Am 17. Februar erscheint Balbinas neues Album Fragen über Fragen und Fragen haben wir uns auch gestellt. Warum sie so unglücklich ist und was sie so antreibt zum Beispiel. Warum man sich Tesafilm auf die Brille kleben soll oder wie das so war, in der deutschen Rapszene, damals als alles noch Untergrund war und die Auftritte als Vorgruppe von Herbert Grönemeyer noch in weiter Ferne lagen. Ist Balbina jetzt angekommen, im Kunstuniversum der Hauptstadt zwischen Modemagazinen und Galerien? Wir haben uns mit ihr getroffen und über die Abgründe eines Künstlerdaseins gesprochen.

Staiger: Du hast neulich ein Konzert mit dem Babelsberger Filmorchester gespielt. Bist du jetzt angekommen im staatlichen Kunstbetrieb?
Balbina: Wenn du jetzt meinst, ob ich Subventionen bekomme, leider nein. Schön wäre es. Ich sehe mich immer noch jeden Tag in meiner Butze an meinen Skizzen formulieren und dann ins Studio radeln und gucken, was ich fertig kriege. Ich bin immer noch fest in meinem Alltag verwurzelt.

Hat dich die Arbeit mit einem klassischen Orchester beeindruckt?
Auf jeden Fall. Wann kann man so etwas schon mal machen? Mit so vielen Profis zusammenarbeiten, die dann auch noch deine Musik spielen. Ich komponiere mit Händen und Füßen und dann gibt es studierte Menschen, die das dann spielen. Die fanden das auch noch richtig spitze. Und auch die Professionalität hat mich beeindruckt. Da gibt es kein, "Ich mach jetzt mal kurz Pause" oder einer geht jetzt mal ans Handy oder, "Hey, ich komm zwei Stunden zu spät, könnt ihr schon mal anfangen?" Das war so on point. Da könnten wir im Bereich der Popmusik vielleicht doch noch was optimieren.

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Angefangen hast du aber im deutschsprachigen Rap-Untergrund und mit Songs, die sich von deinen jetzigen stark unterscheiden. Wie hat sich deine Musik entwickelt?
Auf meinen ersten CDs waren auch rebellische Songs drauf, weil ich versucht habe, mir in dieser Rap-Szene, die superwichtig für meine Entwicklung war, eine Stimme zu geben. Dieser Wunsch ist dann irgendwann in den Hintergrund getreten, weil ich das Gefühl hatte, mich in dieser Szene bewiesen zu haben und mich nicht mehr mit Fäusten da reinkämpfen zu müssen. Weil ich von vielen Kollegen und Rappern den Respekt bekommen habe, konnte ich mich dann mit Themen auseinandersetzen, in denen die Traurigkeit sehr wichtig ist.

Warum war dir der Respekt so wichtig?
Weil ich ansonsten keine Musik hätte machen können. Du brauchst in dieser Szene zwar kein Instrument spielen können, aber du brauchst den Respekt, damit die Leute mit dir arbeiten. Wenn du ein graues Mäuschen bist, das in der Ecke sitzt und darauf wartet, bis jemand kommt und fragt, ob du mal ne Hook singen willst, dann wird das nichts. Du musst dafür sorgen, dass dein Organ gehört wird und dass die Leute richtig hinhören. Und das musste ich mir erstmal erkämpfen.

Hättest du ohne diese Rap-Szene überhaupt die Möglichkeit gehabt, Musik zu machen?
Ich habe in einer Zeit mit dem Musikmachen angefangen, da war deutschsprachige Popmusik nicht sehr angesagt und ich habe wie gesagt kein Instrument gespielt. Super scheiß Voraussetzungen, um mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Im Rap-Untergrund waren deutsche Texte erlaubt und keiner hat ein Instrument gespielt, sondern man hat Beats mit der Playstation gebaut. Dort habe ich mir mein Selbstbewusstsein antrainiert, was mir auch später auf meinen Touren sehr geholfen hat. Wenn wieder mal keiner mich sehen wollte, dann habe ich trotzdem gesagt: "Ich spiel das Set jetzt zu Ende und es ist mir scheißegal, wie viele Becher da fliegen."

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Wenn man deine Karriere verfolgt, dann könnte man durchaus von einem holprigen Start mit einigen Widerständen sprechen. In was für einem Umfeld wirst du jetzt gehört, nach all der Zeit?
Das ist sehr gemischt. Ich habe keine bestimmte Zielgruppe, was ja Plattenfirmen ganz gerne sehen würden. In Essen kam ein älterer Herr zum Konzert, der ging schon auf die 90 zu und der war blind. Der kannte meine Musik, weil er es im Kulturradio gehört hat. Der hatte überhaupt keinen Bezug zu Popmusik und der meinte, dass ihn meine Texte sehr berühren und dass er da eine sehr tiefe Melancholie empfindet, die er teilt und ich da die richtigen Worte finden würde. Ein anderes Mal stand ein Mädchen auf meinem Konzert, die war sieben und die hatte ein Plakat dabei, auf dem stand: "Bitte 'Pechsträhne' vor 21 Uhr spielen, weil danach muss ich ins Bett." So eine Mischung überfordert die Plattenindustrie.

Das kann ich mir vorstellen, weil es wahrscheinlich auch nicht genug erfolgreiche Beispiele dafür gibt. Hast du persönlich irgendwelche Vorbilder aus dem Musikbusiness?
Nicht direkt, vor allem nicht auf musikalischer Ebene. Bei mir ist immer die Textarbeit an erster Stelle, dann die Vertonung und da gibt es niemanden, von dem ich sage, der arbeitet genauso. Aber es gibt Menschen, die mit ihrer Musik einen langen Atem bewiesen haben und ihre Karriere über viele Jahrzehnte aufgebaut haben. Das sind Vorbilder für mich. Da zählt zum Beispiel auch ein Herbert Grönemeyer dazu, der mich mit auf Tour genommen hat und von dem man lernen kann, dass man sich immer wieder disziplinieren und motivieren muss.

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Deine Inszenierung ist sehr aufwendig, was wahrscheinlich ebenfalls viele Verantwortliche im Biz abschreckt. Da willst du auch keine Abstriche machen, oder?
Nein. Bei mir läuft das Musikalische immer parallel zur Inszenierung. Ich habe immer ein bestimmtes Bild im Kopf, das ich präsentieren möchte. Ich möchte diese Balbina-Welt richtig eröffnen, wenn ich auf die Bühne gehe. Vielleicht mache ich mal eine Tour, wo ich mit Jeans und T-Shirt auftrete, weil die Songs so sind, aber das müsste dann auch inhaltlich Sinn machen. Solange wird eben inszeniert. Es wäre eher schwierig, das nicht zu inszenieren, weil ich dann das Gefühl hätte, dass ich irgendwas unterdrücken müsste.

Ist Balbina eine Kunstfigur?
Ich denke, das ist die beste Version meiner selbst, die ich präsentieren möchte. Darüber mache ich mir dann auch sehr detailliert Gedanken. In dem Video von "Regenwolke" zum Beispiel, wo ich dieses Kleid aus einer Bettdecke anhabe und dieses Herz in der Hand halte. Da ging es mir darum darzustellen, wie man sich am besten vor der Außenwelt schützen kann. Am besten packe ich mich in Kissen und Decken ein, verstecke mich im Schrank und den Schrank lass ich dann in einen Keller stecken, in einen Tresor und dann mach ich auch noch die Tresortür zu. Diesen Gedanken spinne ich weiter und komme dann auf die Idee, mich auf eine Müllhalde zu stellen, weil das der gefährlichste Ort ist, den ich mir vorstellen kann. Überall Bedrohung, überall Bakterien, Dreck, alles ist Schrott und genau da stelle ich mich hin mit meinem Kleid aus Bettdecken, das mich schützen soll und halte mein Herz in der Hand, das überhaupt nicht geschützt ist.

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Und warum willst du genau diese Seite von dir zeigen?
Weil diese Seite sehr intensiv ist und weil ich gar keine bewusste Wahl treffe, welche Seite ich zeige, sondern das kommt automatisch. Dann habe ich am Ende wieder ein Album geschrieben, auf dem alle Lieder traurig sind, sogar die fröhlichen. Alle Lieder sind traurig und ich kann nichts dagegen machen. Diese Melancholie ist überall.

In genau diesem Song "Regenwolke" sagst du, dass du keine Lieder über die Liebe schreibst, womit du ja doch ein Lied über die Liebe schreibst. Warum ist das alles so verschachtelt?
Für mich ist es gar nicht so verschachtelt. Ich schreibe ja tatsächlich keine Lieder über die Liebe. Ich habe gar kein Bedürfnis danach, aber ich habe auch vor allem nicht das Gefühl, dass ich das kann, ein Liebeslied so zu nailen, ohne dass es zur Phrasendrescherei verkommt, die man ansonsten aus dem deutschen Radio hört. Davon bin ich gelangweilt. Ich finde es gibt selten Lieder, die mich im Herzen treffen. Meistens sind es nur Phrasen, die schon mal benutzt wurden. Reime die umgeändert werden, die auf Harmonien komponiert werden, die man schon tausendmal gehört hat – so sind Liebeslieder aus dem deutschen Radio. So lange ich nicht das Bedürfnis habe, ein Liebeslied zu schreiben und solange ich nicht denke, dass ich zu dem Thema was zu sagen habe, solange mache ich es nicht.

Ist die Außenwelt eine Gefahr?
Die Außenwelt kann durchaus eine Gefahr für mich sein. Aber die kann ja für jeden eine Gefahr sein, wenn man sich die menschlichen Entwicklungen anschaut, die politische Situation, die Kriege. Da könnte man schon auf die Idee kommen, dass die Außenwelt eine Bedrohung sein kann.

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Man könnte es aber auch anders lesen und sagen, der Mensch ist die erfolgreichste Spezies auf diesem Planeten. Er vermehrt sich und entwickelt sich weiter.
Ja, Wahnsinn. Wenn man sieht, was politisch so abgeht, in Deutschland, in Österreich, in Dänemark, in Polen, in den USA, dann kann man tatsächlich sagen, dass wir uns entwickeln. Ich weiß nur nicht in welche Richtung. Aber hey, vielleicht ist das alles auch nur Auslegungssache.

Eine berühmte sozialistische Revolutionärin hat einmal gesagt: Sozialismus oder die Barbarei.
Na ja, gerade eher so Barbarei, oder?

Du hast gerade beschrieben, dass du dich in einem Schrank verstecken willst, der in einem Keller steht, in einem Tresor. Das klingt nach einem Schutzpanzer. Hast du manchmal den Wunsch, diesen Panzer zu durchbrechen?
Nein. Ich habe es mir ganz gut bequem gemacht in diesem Panzer. Und wenn der ab und zu mal ein Einschussloch abbekommt, dann bin ich auch immer bemüht, das sofort zu kitten und da Leim reinzuschmieren und Gaffatape drüber zu kleben und Holz drüber zu nageln. Ich polarisiere ja auch krass mit dem was ich tue. Wenn man so eine klare Kunst macht, wie ich, muss man sich halt auch einen Panzer bauen, damit du damit weiterkommst. Ansonsten hast du überall Verletzungen. Das ist meine Art, damit umzugehen.

Das ist zwar eine billige und zwangsläufige Frage, aber ist deine Musik eine Art Zuflucht vor dieser Welt?
Nein. Ich würde eher sagen, sie ist meine Leidenschaft. Meine Zuflucht ist mein Bett. Wenn ich wirklich frustriert bin, dann schlafe ich halt. Ich kann Tage durchpennen. Wenn gar nichts mehr geht, dann schließe ich mich einfach ein und tu so, als wäre nichts Schlimmes. Die Musik dagegen ist meine Leidenschaft. Die kann ich auch nur ausüben, wenn es mir gut geht. Musik treibt mich an und ich will immer wieder was Neues erschaffen. Wenn eine Sache fertig ist, will ich schon das nächste machen und mit meinem Kopf bin ich schon beim übernächsten Projekt. Ich bin getrieben. Vielleicht auch manchmal zu viel, weil ich nie stillstehen kann. Ich erwische mich dabei, wie ich mir sage, dass ich jetzt mal was kochen muss. Ganz bewusst. Aber schon nach drei Minuten muss ich schon wieder irgendwas aufschreiben oder was nachsuchen oder muss die Paprika kurz weglegen oder irgendwas brennt an, weil ich getrieben bin, irgendwas zu machen. Ich muss was gegen das Nichtstun tun.

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Du machst sehr viele Sachen alleine. Könntest du das auch abgeben?
Ach, delegieren könnte ich schon sehr gut, wenn ich die Möglichkeit hätte. So als Creative Director, wie in der Werbung, die dann so dasitzt und sagt: "Die Idee habe ich. Das, das, das und jetzt, bitte!" Das könnte ich schon, aber Im Moment habe ich keine Möglichkeiten dazu und deshalb muss ich halt alles selber machen.

Du nähst auch deine Kostüme selbst?
Ja, das sieht man auch an der beschissenen Verarbeitung. Von diesem Oberteil habe ich gerade noch die Fäden abgeschnitten. Aber das muss ja nicht halten und auf den Fotos sieht man das zum Glück ja nicht. Alles nur Fassade.

Foto: Nicolas Höfer

Wenn man deine Songs durchhört, dann hat man den Eindruck, hinter der realen Welt verbirgt sich noch eine andere Welt. Die Dinge verwandeln sich, wie bei Alice im Wunderland. Die Schatten tanzen auf der Tapete und beginnen ein Eigenleben. Wie erlebst du die Welt? 
Es ist nicht so sehr das Fantastische, was mich interessiert, sondern die Banalität, in der ich die Schönheit finde. Das meine ich gar nicht negativ. Banal ist für mich etwas, was interessant ist, weil es die ursprünglichste Form von etwas ist, das man dann hinterfragen kann. Natürlich ist es eine Banalität, dass der Himmel sich in einer Pfütze spiegelt, aber wenn ich sage, "Warum schwimmt der Himmel in Pfützen?", dann finde ich es eine sehr interessante Tatsache, dass Dinge von oben unten in einer einfachen Pfütze reflektiert werden. Das heißt, ich kann den Himmel in der Reflexion berühren, obwohl er eigentlich unerreichbar ist, und dann stelle ich mir die Frage: Kann ich auch andere Dinge, die unerreichbar sind in irgendeiner Weise in der Reflexion berühren? Über solche Sachen denke ich nach.

Worüber denkst du sonst noch so nach?
Was mich immer wieder interessiert, ist der Zeitbegriff. Wir machen Zeit an Ereignissen fest, die aufeinander chronologisch folgen und versuchen sie irgendwie einzukästeln. Auf der anderen Seite ist Zeit aber das einzige, wovon unendlich viel da ist. Wir versuchen sie nur aus einem einzigen Grund einzukästeln und messbar zu machen – weil wir vergänglich sind. Weil unser Körper abbaut. Trotzdem stellt sich die Frage: Was ist das eigentlich? Dann gucke ich mir so eine beknackte Uhr an und stelle fest, dass sogar die vergänglich ist. Die wird irgendwann mal kaputtgehen, egal, wieviel Batterien du da reinmachst. Die wird irgendwann mal zerfallen, egal aus welchem Material sie gemacht ist. Solche Dinge beobachte ich und zerlege sie dann bis ins Detail.

Langweilst du dich manchmal?
Nie. Weil ich die ganze Zeit was mache. Ich habe immer das Gefühl, ich habe zu wenig Zeit (lacht). Ich wünsche mir Langeweile zu Weihnachten. Das wäre so geil, wenn ich das mal hätte. Aber dann würde ich wahrscheinlich wieder was machen.

In einem Song singst du über das Glück. Was wäre das Glück?
Wenn ich das finde, dann weiß ich es.

Bist du in deiner Kunst auf der Suche danach oder ist die Kunst eine Verpackung um diese Leerstelle?
Ich bin auf der Suche. Manchmal, wenn ich dem zu nahekomme, dann distanziere ich mich auch wieder und gehe nochmal einen Schritt zurück, aber ich forsche da schon. Mich beschäftigt die Thematik der Vergänglichkeit allgemein und der Vergänglichkeit von schönen Momenten und der Definition von Glück. Weil ich es eben nicht fassen kann. Ich kann für mich keine Definition von Glück erstellen, aber es interessiert mich. Ich würde auf der anderen Seite aber auch nicht sagen, dass ich ein unglücklicher Mensch bin. Ich habe nur eine Grundmelancholie, aber in dem was ich tue, wenn ich was umsetzen kann, in diesen Augenblicken … Dann macht mich das schon heiter. Mit anderen Menschen meine Musik zu teilen.

Im Song "Milchglas" wendest du eine andere Taktik an. Da klebst du Tesafilm über die Brille, damit die Konturen der Welt nicht mehr so hart sind. Das klingt nach Selbstbetrug.
Partieller Selbstbetrug. Warum nicht? Das kennt ja auch jeder. Es gibt Leute, die kleben sich Tesa auf die Brillengläser und dann gibt es andere die trinken Wein und wieder andere rauchen halt einen Joint. Das ist doch eine gute Idee. Trinkt nicht so viel Alkohol, klebt euch lieber Tesa auf die Brillengläser. Sollte man vielleicht nicht im Straßenverkehr anwenden. Aber ansonsten, prima Sache.

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