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tsg 1899 hoffenheim

Wie Hoffenheim das Leben seiner Spieler organisiert

Trotz Millionen für Transfers hat der Fußball verschlafen, Neuzugänge auch gut zu integrieren. Wir haben die TSG besucht, wo „Laufbahnbegleiter” südamerikanischen Schlendrian und asiatische Nickerchen erfolgreich bekämpfen.
Станислав Ведмидь/Wiki Commons

Als Thomas Gomminginger 1985 beim VfB Stuttgart unterschrieb, zählten die Schwaben noch zu den ganz Großen im deutschen Fußball. Erst ein Jahr zuvor war der VfB deutscher Meister geworden und für den 19-Jährigen war der Wechsel ein Traum. Einer seiner neuen Mitspieler war kein Geringerer als der spätere Weltmeister und Sommertraum-Dirigent Jürgen Klinsmann. Zuvor hatte Gomminginger bei der A-Jugend des SV Sandhausen gekickt, ganz in der Nähe seiner beschaulichen Heimatstadt Leimen. Als er dann in der großen Stadt ankam, hatte er noch keine Bleibe. Doch der Verein ließ seinen neuen Mann im Stich und bot keinerlei Unterstützung an. Eine Wohnung musste er sich alleine suchen.

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„Ich hatte Kontakt zu einem anderen Spieler, der Stuttgart verlassen hatte und von dem ich die Wohnung samt Einrichtung übernahm", erinnert sich Gomminginger, „der Verein war bei alledem zu keiner Zeit involviert."

Für viele Jahre war das die Normalität für frisch gewechselte Spieler in den Ligen Europas. Selbst bei den Spitzenmannschaften mussten sich die Spieler selbst zurechtfinden, mit viel Unterstützung beim Wechsel von einem Club – oder manchmal sogar Land – zum nächsten konnten sie nicht rechnen. Getreu dem Motto: Hier unterschreiben, man sieht sich dann am Montag!

„Das ist ja wohl das Verrückteste überhaupt", zitieren Simon Kuper und Stefan Szymanski den früheren Barcelona-, Chelsea- und Liverpool-Spieler Boudewijn Zenden in ihrem 2012 erschienenen Buch Warum England immer verliert: Und andere kuriose Fußballphänomene, „dass du zwar für einen Spieler 20 Millionen auf den Tisch legst, dann aber keinen Finger krümmst, damit der sich auch wirklich zu Hause fühlt." Kuper und Szymanski nannten dieses fehlende Investment – wenn Vereine neuen Spielern nicht beim Eingewöhnen helfen – „eine der größten Ineffizienzen auf dem Transfermarkt."

Man braucht keinen Uniabschluss, um zu verstehen, dass die berufliche Leistung einer Person massiv vom häuslichen Glück abhängt. Doch während traditionelle Wirtschaftskonzerne seit jeher darum bemüht sind, neue Mitarbeiter möglichst reibungsfrei einzugliedern, hat die Fußballwelt diese Aufgabe weitestgehend ignoriert.

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Mittlerweile scheinen die Vereine in Europa aufgewacht zu sein, auch wenn die Unterstützung, die ein Spieler außerhalb des Spielfeldes erhält, noch immer stark von Verein zu Verein bzw. Liga zu Liga variiert. In England ist es die Aufgabe des sogenannten Player Liaison Officer, einen neuen Spieler beim Eingewöhnungsprozess beiseite zu stehen. Hierzulande fällt das in den Aufgabenbereich spezieller Teambetreuer.

In Deutschland beschäftigen die Vereine schon seit einiger Zeit Teambetreuer mit verschiedenen Aufgabenbereichen. Doch ihre Rolle war traditionell nie so „kundenorientiert". Bei Hoffenheim, wo Gomminginger jetzt als Teammanager der U-23-Mannschaft arbeitet, ist sein Job sehr vielschichtig. Gomminginger und seine Kollegen sind unter anderem für die Reiseorganisation verantwortlich. Und wenn ein neuer Spieler kommt, melden sie ihn beim DFB und besorgen ihm schnellstmöglich eine Spielberechtigung.

„Im Anschluss daran", erklärt mir Timmo Hardung – Teammanager bei den Profis der Kraichgauer, „widmen wir uns dem Privatleben der Spieler, indem wir ihre Familien einladen und für ihren Nachwuchs nach Kindergarten- und Schulplätzen suchen. Damit sie bei uns auch als Menschen so schnell wie möglich ankommen."

Das bedeutet natürlich, dass man sich erstmal um die Basics kümmert—Bankkonto, Handy, Wohnung und Auto. Bei ausländischen Spielern besteht der nächste Schritt darin, dass man sie bei der kulturellen Eingewöhnung unterstützt. Und hier kann es kompliziert werden.

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Zu allererst ist da natürlich der Sprachenaspekt. Wie wir alle wissen, ist die Stadt Hoffenheim mit ihren 3.000 Einwohnern nicht gerade eine Metropole. Darum überrascht es auch nicht, dass die meisten Spieler im nahegelegenen Heidelberg wohnen. In der Universitätsstadt kommt man mit Englisch recht weit. Doch wer kein Englisch kann, der ist dann doch auf Deutsch angewiesen. Hoffenheims Trainer sind bilingual, doch das Training findet auf Deutsch statt. Außerdem ist Deutsch auch die Sprache, die auf dem Platz gesprochen wird. Der Verein bietet den Dienst von Dolmetschern an, falls ein Spieler weder Englisch noch Deutsch versteht. Gleichzeitig werden ausländische Spieler angehalten, Grundkenntnisse der deutschen Sprache schnellstmöglich zu erwerben. Dafür erhalten sie intensives Sprachtraining, wobei der Fokus nicht nur auf alltäglichen Kommunikationssituationen liegt, sondern auch auf fußballspezifischen Begriffen sowie Codewörtern.

„Manche Spieler sind schnelle Lerner und knien sich wirklich rein", so Hardung. „Nach zwei bis drei Monaten haben sie dann schon ein gutes sprachliches Niveau erreicht." Bei anderen Spielern dauere das natürlich deutlich länger. Manche lernen auch nie Deutsch, was die Kommunikation mit dem Trainerteam erschwert und sie privat in einigen Fällen vereinsamen lässt.

Hoffenheim, hier zu sehen, ist eine kleine, gemütliche Stadt. Aber auch Heidelberg kann bei Südamerikanern einen Kulturschock auslösen // Wiki Commons

Dann wäre da noch die Hürde Kulturschock. Für Spieler, die von anderen europäischen Ländern nach Deutschland wechseln, ist der Unterschied überschaubar (außer man heißt Immobile). Doch die Barrieren, die sich beispielsweise für Spieler aus Südamerika oder Asien auftun, können die Neuankömmlinge vor große Herausforderungen stellen.

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Eine solche Hürde kann den Schlaf betreffen. Spieler aus Asien, ist Hardung aufgefallen, haben einen anderen Schlafrhythmus. Sie würden ständig und überall ein Nickerchen machen. „Sie nutzen jede Gelegenheit dazu, um zu ruhen, egal ob im Bus oder zwischen Trainingseinheiten", so Hardung. Doch genau diese Schläfchen sind nicht besonders förderlich, was die Integration mit den Mitspielern betrifft. Und sollten die Nickerchen aus irgendeinem Grund mal nicht möglich sein, ist der Spieler womöglich in einer Tour müde. Darum ist es wichtig, dass sich der Spieler an die deutschen Schlafgewohnheiten anpasst.

Dann gibt es da noch den Aspekt Time-Management. Wir Deutschen sind nun mal bekannt für unsere Pünktlichkeit. Bei Hoffenheim hat César Thier – ein Ex-Profi, der 1993 von Brasilien nach Deutschland wechselte – unter anderem die Aufgabe, Spielern aus Südamerika die deutsche Obsession für Pünktlichkeit näherzubringen. Er ist bekannt dafür, so manche Neuverpflichtung von zu Hause bis zum Trainingsplatz zu begleiten. Hardung erklärt, welche Botschaft man vor allem südamerikanischen Spielern mit auf den Weg gebe: „Kommt nicht zu spät zum Training. Kommt einfach gar nicht zu spät….. Die Spieler sind gewohnt, 30 bis 45 Minuten zu spät zu sein, ohne dass es Probleme gibt. Die gibt es aber hier in Deutschland."

Gommingingers Job sieht etwas anders aus. Er bekommt nicht so viele ausländische Spieler zu Gesicht wie Hardung. Gomminginger hat eine andere Zielgruppe: Jugendliche. Gomminginger, der sich zu seiner aktiven Zeit selbst eine Wohnung organisieren musste, hilft jungen Hoffenheim-Spielern beim Übergang von der Jugendakademie hin zum Leben eines typischen Fußballprofis. Seine Rolle hat fast schon väterliche Züge. Nicht nur, dass er den Nachwuchskickern beim Finden einer Wohnung oder eines Stromanbieters hilft, er setzt sich auch mit ihnen hin und führt ein ernstes Gespräch über ihre Zukunft.

„Die jungen Spieler sind in der Regel so auf ihre Profikarriere fokussiert, dass sie sich über einen Plan B keine Gedanken machen. Manchmal muss man sie dazu drängen, einen Schulabschluss zu machen. Denn man weiß ja nie: Sei es aufgrund einer schweren Verletzung oder großer Konkurrenz: Mit 23 oder 24 kann schon alles vorbei sein. Bei der Ausarbeitung von genau einem solchen Plan B stehen wir zur Seite."

Gomminginger ist einer, der weiß, wovon er spricht – seine eigene Karriere wurde durch eine Verletzung jäh beendet.

Auch wenn die Teambetreuer helfen, wo sie nur können, achten sie auch darauf, am Ende nicht zu viel abzunehmen, und ermutigen ihre Schützlinge, eigene Lösungen zu finden. „Es geht nicht darum, dass wir alles für sie machen", erklärt Hardung. „Das ist nicht das wahre Leben. Wir werden dafür bezahlt, ihnen zu helfen. Und auch wenn wir das gerne und mit Leidenschaft tun, so ist es immer noch unser Job. Sie müssen sich echte Freunde suchen."

Heutige Profis haben den Ruf, ziemlich verhätschelte Typen zu sein, und das nicht ohne Grund. Aber ist all die Aufmerksamkeit, die Vereine wie Hoffenheim ihnen zuteil werden lassen, wirklich gut investiertes Geld? Schließlich wechseln Spieler ja sehr gerne mal den Verein. Doch Gomminginger, der beide Seiten aus eigener Erfahrung kennt, hat dazu eine eindeutige Meinung. Für ihn steht fest, dass Teambetreuer und Laufbahnbegleiter wie er einen Job ausüben, den sich die Fußballwelt besser schon Jahrzehnte früher aus der Wirtschaftswelt abgeschaut hätte. „Sie sind ein weiterer Ausdruck für die Professionalisierung des Fußballs."