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prinz a.d.

Wie Podolski mit seiner Ballack-Ohrfeige seinen Status beim DFB zementierte

Am 1. April 2009 ohrfeigte Podolski Kapitän Michael Ballack mitten im Spiel. Er kam ungeschoren davon und leitete eine Zeitenwende ein.

Wenn Lukas Podolski nicht Lukas Podolski wäre, dann stünde er wahrscheinlich nicht heute Abend als Kapitän der Nationalmannschaft, als unumstrittener Sympathieträger, zum letzten Mal auf dem Rasen. Doch das war nicht immer so. Seine offene, ehrliche Art zementierte allerdings am Abend des 1. April 2009 seine Nationalmannschaftskarriere.

Die DFB-Elf bestritt damals ein WM-Quali Spiel in Wales, führte komfortabel mit 2:0, als Podolski nach einer Meinungsverschiedenheit mit Michael Ballack die Hand ausrutschte. Vor einem Millionenpublikum verpasste er dem Capitano, dem großen Michael Ballack, eine Schelle. Eine Majestätsbeleidigung und ganz sicher kein Aprilscherz. Für Poldi natürlich halb so wild („Das passiert halt mal auf dem Platz"), für Ballack allerdings ein heftiger Schlag ins Gesicht. Sprichwörtlich. „Lukas ist ein junger Spieler, der noch viel zu lernen hat. Das muss er akzeptieren."

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Nur: Lukas Podolski war zu diesem Zeitpunkt bereits ein gestandener Profi. Einer, der schon zwei Europa- und eine Weltmeisterschaft gespielt hat. Und vor allem einer, der in der Nationalmannschaft von Trainern, Fans und Mitspielern mehr als nur akzeptiert wurde. Podolski war ein Musterschüler: Ehrlich, hochmotiviert und eigentlich pflegeleicht.

Doch an diesem Abend ging es um mehr. Es ging auch um die Vormachtstellung innerhalb des Teams, an die sich der 32-jährige Ballack 2009 fieberhaft klammerte. Denn Gegenwind spürte der stolze Mittelfeldmann vom FC Chelsea gehörig. Sein Verhältnis zu Joachim Löw war angespannt, selbst eigene Mitspieler wie Lahm oder Friedrich kritisierten und hinterfragten Ballack öffentlich. An dem Denkmal des Capitano wurde gewackelt – und der wehrte sich dagegen mit beinhartem Führungsstil.

Die Backpfeife, die der damals 23-jährige Prinz Poldi seinem Kapitän verpasste, war im Grunde Lukas Podolski in Reinform: Ehrlich, unüberlegt, straßenkicker-like. Eine Kurzschlussreaktion – nicht mehr, nicht weniger. Aber: Warum hatte Michael Ballack es überhaupt gewagt, Lukas Podolski – der damals ganz frisch die prestigeträchtige Nummer 10 übernommen hatte – taktische Anweisungen zu geben? Hatte er nicht mitbekommen, was dieser von Taktik hält? „Es geht nicht um Systemfußball oder einen anderen Scheißdreck", hatte Poldi schon 2005 nach einem 3:6 gegen Frankfurt gesagt.

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Ganz so lustig fand Fußballdeutschland diesen Vorfall allerdings nicht. Der Grundtenor: Podolski sei ein respektloser Bengel, den man auf jeden Fall bestrafen müsse. Der „Ohrfeigen-Skandal" war geboren und wurde ausführlich durchgekaut. Die FAZ engagierte gar eine Lippenleserin, um den Dialog zu entschlüsseln. Vergeblich. Und so wird es wohl für immer ein Geheimnis bleiben, ob Poldi, wie von der Bild behauptet, tatsächlich „Halt's Maul, lauf selber, du Arschloch" sagte. Ja, sogar eine anonyme Anzeige gegen Podolski ging bei der Kölner Staatsanwaltschaft ein. Opfer und Täter hatten sich da schon längst ausgesprochen – und sich laut Oliver Bierhoff sogar am Abend nach dem Spiel schon wieder „tief in die Augen geschaut".

Podolskis Backpfeife ist zumindest nachvollziehbar. Bei den Bayern war er gescheitert – seine Rückkehr zum 1. FC Köln war im April 2009 bereits bekannt – doch in der Nationalmannschaft brachte er immer Top-Leistungen. Und auf einmal kommt der Gockel Ballack und sagt ihm, er solle sich mehr bewegen. Da können einem die Sicherungen schon mal durchbrennen.

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Dass der Prinz seine DFB-Karriere trotzdem unbehelligt fortführen konnte, verwunderte allerdings doch. Denn es wurden schon Kicker für weniger aus der Nationalmannschaft geworfen. Stefan Effenberg nach seinem Mittelfinger. Oder Kevin Kuranyi, der bei einem Quali-Spiel vorzeitig das Stadion verließ und danach nie wieder Beachtung fand. Podolski aber kam ungeschoren davon. Vielleicht war ihm das Trainer-Team dankbar, dass in der grundsätzlichen Leader-Debatte ein unbequemer Anführer wie Ballack einen empfindlichen Treffer einstecken musste. Der Todesstoß kam in Form von Kevin-Prince Boateng und einer Verletzung, die Ballack von der WM in Südafrika ausschloss. Die WM 2010 zeigte, dass man auch ohne Lautsprecher Erfolg haben kann.

Lukas Podolski ist inzwischen 31 Jahre alt. Ein Jahr jünger als Ballack damals – und hört dennoch auf. Die nächste Generation steht längst bereit, ein stilvoller Abgang auf der Höhe seines Schaffens ist nicht mehr lange drin. Und Poldi lässt sich nicht abwatschn. Nicht einmal symbolisch. Und jetzt der Abschied: Was wäre dafür besser geeignet als ein Test gegen England? Im Westfalenstadion. Als Kapitän. Oder um Lukas Podolski zu zitieren:

„Das ist kein Test. Das ist ein Länderspiel und jedes Länderspiel nehmen wir Ernst, das ist ein guter Test."

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