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homophobie

Was Fußballprofis über Schwule sagen—bewertet von einem schwulen Fußballer

Profis haben Erklärungsversuche für die bisher fehlenden Coming-Outs im Fußball geliefert oder sich schlicht und einfach mit ignoranter Homophobie gerühmt. Wir wollten verstehen, wie ein schwuler Fußballfan und -Spieler diese Sätze einschätzt.
Foto: Nils Jöhnk

Tony Quindt spielt in der Kreisklasse C für die S.I.G. Elmenhorst. Am liebsten räumt er als Sechser vor der Abwehr auf—auf der „Schweinsteiger-Position", wie er selbst sagt. Momentan hilft er als Torwart aus, weil es ja irgendwer machen muss. Also eigentlich die klassische Karriere eines Kreisligakickers in der schleswig-holsteinischen Provinz. Nicht ganz. Mit 24 Jahren outete sich Tony auf dem Geburtstag eines Teamkollegen, indem er einen unbekannten Mann als seine „Frau" vorstellte. „Am nächsten Tag wusste das ganze Dorf Bescheid", erinnert er sich. Anschließend berichtete das Fernsehen über sein seltenes Coming-Out in der Fußball-Welt. Acht Jahre sind nun vergangen. Neben seinem „Hetero-Klub"—wie er selbst sagt—spielt er seit Jahren auch in einem schwul-lesbischen Sportverein in Hamburg.

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Während er seine Sexualität im fußballerischen Kleinstadt-Kosmos relativ offen ausleben kann und auch auf Facebook zum Vorbild geworden ist, sieht die Situation im Profifußball immer noch anders aus. „Es gäbe nicht Schöneres, wenn bei Bayern gegen Dortmund zwei oder drei offen schwule Fußballer auf dem Platz stehen würden. Irgendwann mal", hofft er. Der 31-Jährige weiß um schwule Spieler in der Bundesliga und um Agenturen, die Alibi-Freundinnen vermitteln.

Das Gros der Gesellschaft ist sich darüber einig, dass es ein Armutszeugnis für den Fußball ist, dass sich noch kein aktiver Fußballer geoutet hat. Doch im Grunde belastet es einen kaum, wenn man nicht betroffen ist. Tony hat wie Tausende anderer schwuler Fußballfans und -spieler ein persönliches Interesse daran, wie der Volkssport Fußball mit Homosexualität umgeht.

Profis und Kommentatoren haben sich in der Vergangenheit immer wieder über Homosexualität in ihrem Sport geäußert, was nicht wirklich zu einem Abbau von Vorurteilen geführt hat. Sie haben Erklärungsversuche für die bisher fehlenden Coming-Outs geliefert oder sich schlicht und einfach mit ignoranter Homophobie gerühmt. Wir wollten verstehen, wie ein schwuler Fußballfan und -spieler diese Sätze versteht und bewertet.

Wir haben Aussagen von Profikickern über Homosexualität im Fußball gesammelt und Tony gebeten, sie einzuordnen. (Jede Aussage ist verlinkt, damit ihr ihren Kontext verstehen könnt.)

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Ich würde einem schwulen Fußballspieler ein Outing nicht raten

Oliver Kahn in einem Interview mit dem Magazin „Gala" (2013)

Tony Quindt: Wenn ein Profifußballer so einen Satz sagt, dann sagt das natürlich sehr viel aus. Vielleicht hat Kahn damit schon Erfahrungen bei Mitspielern gemacht. Er kennt zumindest das Geschäft und die Mechanismen mit Medien, Sponsoren und Zuschauern wie kein anderer. Ich würde jedem Profi immer ein Coming-Out empfehlen—aber mit einem Einwand: Wenn man sich outen möchte, dann muss man sich selbst sehr sicher sein, dass Mitspieler, Trainer, Verein und die Fans hinter einem stehen. Ich kann natürlich nur von der Kreisliga und über mein Dorf berichten. Das ist nicht mit der Aufmerksamkeit der ausverkauften Stadien oder zahlungskräftiger Sponsoren, die etwa auch in homophoben Ländern wie Russland Geld machen müssen, zu vergleichen. Niemand weiß, wie die alle reagieren. Vielleicht geben sie sich nur nach außen hin so tolerant. Ich kann es verstehen, dass sich schwule Fußballer dann verstecken, das habe ich ja früher auch gemacht. Nachdem sich Thomas Hitzlsperger geoutet hat, hatte ich mir gewünscht, dass sich mehrere Spieler gleichzeitig outen würden, damit sie als kleine starke Gemeinschaft von dem Druck entlastet werden.

Tony (im weißen Trikot) in Aktion auf dem Fußballfeld. (Foto: Privat)

Zuerst einmal: Ich bin nicht schwul. Ich bin mit meiner Frau Claudia nicht nur zum Schein verheiratet, und ich habe keinen Freund in Köln, mit dem ich Wahrheit zusammenlebe.

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Philipp Lahm in seiner Autobiographie „Der feine Unterschied" (2011)

Es muss sehr schwer für Philipp Lahm und andere Spieler sein, sobald im Internet sich solche Gerüchte verbreiten und die ersten Medien immer wieder nachfragen. Über schwule Freunde kriege ich mit, dass es diese Agenturen gibt, die Models für Scheinbeziehungen mit homosexuellen Profis vermitteln. Ich weiß, dass das so manche schwuler Profi nicht ausgehalten hat und wieder Schluss gemacht hat. Die Frau ist für offizielle Veranstaltungen und sonst verkehren die Spieler verdeckt in der Schwulenszene, was aber natürlich als öffentliche Person sehr riskant ist. Diese Angst muss sehr bedrückend sein. Ich hoffe, dass diese Profis da draußen den ganzen Druck aushalten. Ich kenne drei schwule Profis aus der Bundesliga. Dass sie schwul sind, bekommt man von gemeinsamen Freunden schnell mit—auch vielleicht weil sie Sex mit jemanden hatten. Ich hatte nie eine Alibifreundin, aber dieses Doppelleben mit falscher Frau muss unglaublich hart sein.

Wir sind großartige Schauspieler, weil wir Angst haben, die Leute wissen zu lassen, wer wir wirklich sind.

US-Nationalspieler Robbie Rogers in einem Interview mit der englischen Zeitung „Guardian" (kurz nach seinem Coming-Out 2013)

Rogers hat da recht. Als ich meine Homosexualität noch versteckt habe, habe ich manchmal ganz bewusst härter gespielt, damit es keiner merkt. Ich habe sogar ab und zu mal homophobe Sprüche gemacht. Bis zu meinem Coming-Out musste ich auch in der Kabine immer Lügen erzählen, wenn meine Mitspieler gegenseitig von ihren Eroberungen geprahlt haben. Wenn sie bei mir nachgefragt haben, erklärte ich einfach auch, dass ich eine Freundin habe und auch mal hier und da eine abschleppe. Am meisten hatte ich Angst, ausgestoßen zu werden, also log ich immer wieder. Die ständigen Lügen sind das schwerste, es macht einen müde. Man muss immer darauf achten, dass man die eigenen erfundenen Geschichten noch im Kopf hat. Ich musste von Training zu Training schauen, dass meine Geschichten alle noch zueinander passen. Es war ein schreckliches und anstrengendes Versteckspiel.

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Wer schwul ist, sollte sich outen. Da fällt doch eine Last ab.

Manuel Neuer im Interview mit dem Magazin „Bunte" (2011)

Dieser Aussage von Manuel Neuer stimme ich zu 200 Prozent zu. Und ich würde jedem schwulen Fußballer diesen Satz ans Herz legen. Nach meinem Coming-Out war ich auch frei. Ich musste nicht mehr bewusst härter spielen, keine Lügen mehr erzählen und nicht mehr ständig Angst haben, entdeckt zu werden. Ich hatte danach so ein befreiendes Gefühl, dass meine Leistungen sogar gestiegen sind. Das war ein positiver Teufelskreis: Die Akzeptanz meiner Mitspieler stieg durch meine Leistung und durch diese Bestätigung wurde ich noch besser.

Ich weiß nicht, was ich gedacht hätte, wenn ich mit jemandem zusammengespielt hätte, den ich tagtäglich gesehen hätte: beim Duschen, in Zweikämpfen. Niemand kann seine Gedanken kontrollieren.

Jens Lehmann in der Fernsehsendung „Sky90" nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsperger (2014)

Herr Lehmann holt hier ein Vorurteil heraus, ohne sich scheinbar wirklich je mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. Ich empfinde es sogar ein bisschen als Angriff, weil es keine Aussagekraft hat. Nur weil ich mit Männern im Bett schlafe, heißt das nicht, dass ich mir andauernd ihre Penisse anschaue und unter der Dusche Mitspieler anspringe. Sexualität hat mit Fußball nichts zu tun. Vor allem ein Profispieler wie Jens Lehmann sollte doch wissen, dass man sich auf dem Platz zu 100 Prozent auf das Spiel konzentriert.

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Ich hatte auf dem Platz noch nie einen sexuellen Gedanken. Und es ist ja klar, dass man sich nach dem Spiel in der Umkleide nackig sieht und ich mir nicht die ganze Zeit die Augen zuhalte, aber ich betrachte da ja nicht die Penisse und vergleiche sie. Alleine schon aus dem Grund, weil ich vermeiden will aufzufallen und ganz ‚normal' sein will, weil ich immer noch das Gefühl habe, es nicht zu sein. In meinem Schwulenverein ist das ähnlich: Ja, wir sind alle schwul, aber da wird nicht sonderlich viel herumgeglotzt oder eine Orgie veranstaltet—da wird sich sauber gemacht.

Lehmann und Hitzlesperger; Foto: Imago

**Ich *habe* eine Männer-Körpersprache. Ich bin nicht schwul und werde auch kein Schwuler sein.**

Mo Idrissou nach dem Spiel mit Kaiserslautern gegen Cottbus zu „Sky" (2013)

Da kriege ich ja gleich einen Wutanfall… Solche Aussagen und solch ein Rollenbild von Idrissou finde ich extrem traurig und gefährlich. Schwule sind zunächst einmal auch Männer, lieber Herr Idrissou. Viele Menschen, die keine Ahnung haben, stellen sich bei schwulen Männern immer eine feminine Person vor—also eine Art ‚Tucke' mit Handtasche. Das ist völliger Quatsch. Schwule Fußballer erkennt man auf dem Platz natürlich nicht. Sie setzen sich genauso kämpferisch ein, gehen in die Zweikämpfe und grätschen. Ich bin da auch ein gutes Beispiel, denn ich renne auch wie ein Verrückter auf dem Feld und hole mir die Bälle in den Zweikämpfen. Oder auch Thomas Hitzlsperger, der ebenfalls nie der filigrane Spielertyp war.

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Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind.

Italiens Nationalspieler Antonio Cassano bei einer Pressekonferenz während der EM in Polen und der Ukraine (2012)

Ich vermute, dass Antonio Cassano entweder nichts über Homosexualität weiß oder sogar Angst davor hat. Es geht in seiner Aussage scheinbar nicht um die Leistungen von homosexuellen Spielern, sondern vielmehr um das Verhalten neben dem Platz. Er hat vielleicht Ängste wie Jens Lehmann, dass er unter der Dusche angegrabscht wird oder so. Beim Paartanzen stürzen Frauen und Männer doch auch nicht sofort noch auf dem Parkett aufeinander, oder? Leider sind diese irrsinnigen Bilder bei vielen Menschen immer noch in den Köpfen verankert.

Nach meinem Coming-Out habe ich erwartet, dass ich ausgeschlossen werde oder einige meiner Mitspieler erst nach mir duschen wollen. Aber das war gar nicht der Fall—ganz im Gegenteil. Ich habe mich danach nicht anders verhalten, aber sie schon. Beim Torjubel haben sie mich zum Beispiel viel herzlicher umarmt. Ich habe mich geoutet, weil wir als Team wie eine kleine Familie zusammengewachsen waren und ich mich bereit fühlte. Ich habe eine Sicherheit in der Mannschaft gespürt. Und sie waren so glücklich, dass ich ihnen vertraut habe, dass sie es mir mit Herzlichkeit zurückgezahlt haben. Dadurch war ich wie ausgewechselt und habe so gut gespielt wie nie. Ich musste endlich nicht mehr daran denken, wie ich jetzt laufe oder mich bewege, sondern konnte einfach drauf los spielen. Ich war einfach ich.

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Homosexualität wird im Fußball schlicht ignoriert.

Thomas Hitzlsperger im Interview mit der Zeitung „Die Zeit" (2014 zu seinem Coming-Out)

Einerseits finde ich das gut, weil es ja völlig egal ist, ob mein Mitspieler schwarz, weiß, muslimisch, christlich oder homosexuell ist. Auf dem Feld zählt nur die Leistung. Doch Thomas Hitzlsperger meint damit wohl eher den negativen Aspekt: Es ist schlimm, wenn es völlig ignoriert wird, denn dadurch entstehen schnell Vorurteile. Die Leute sollten sich wenigstens mit Homosexualität auseinandersetzen, damit sie wissen, was das ist. Das ist auch die Aufgabe von Verbänden und Vereinen.

Es gibt verschiedene Spielertypen und ich maloche auf meine Art und Weise. Genauso müssen die Leute verstehen, dass homosexuelle Spieler auch grätschen und harte Spieler sein können.

Roman Neustädter im Interview mit VICE Sports (2016)

Roman Neustädter hat vollkommen Recht. Wenn man auf dem Platz steht, dann gibt man immer alles—ob man jetzt hetero- oder homosexuell ist. Und Spieler, die nicht so hart spielen, müssen ja nicht unbedingt homosexuell sein. Ich spiele eigentlich immer noch hart, weil ich total ehrgeizig bin. Aber das liegt auch immer irgendwie an meiner Homosexualität: Ich möchte meine weiche Seite nicht auf dem Platz zeigen, weil ich mir niemals anhören will: ‚Er hat den Ball zu lasch verloren, weil er schwul ist!' Das ist schon so in mir drin. Ich will immer beweisen, dass schwule Spieler nicht schlechter sind als Hetero-Spieler.

Das Gespräch führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie