Darum tragen immer mehr Politiker öffentlich Jogginganzug
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Darum tragen immer mehr Politiker öffentlich Jogginganzug

Von Fidel Castro bis hin zu Barack Obama—Politiker achten immer mehr darauf, extra sportlich-leger rüberzukommen. Ganz nach dem Motto: Trainingsanzug für Street Cred.

Im 21. Jahrhundert gibt es fast nichts mehr, was den Argusaugen der Massen durch die Lappen gehen würde. Das gilt vor allem für die Politik, wo die Damen und Herren kontinuierlich im Rampenlicht stehen. Darum überrascht es umso mehr, dass in einer Welt, wo das öffentliche Bild so penibel kontrolliert wird, manche Politiker bei wichtigen Anlässen zum Jogginganzug greifen.

Ich habe mich gefragt, warum so viele Politiker—von Nelson Mandela über Fidel Castro bis hin zu Barrack Obama—Wert darauf legen, extra sportlich-leger rüberzukommen. Darum habe ich mich darüber mit Menschen unterhalten, die darauf eine Antwort wissen müssten.

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Einer von ihnen ist Jorge Santiago. Der Dozent von der renommierten Madrider Privathochschule Universidad Camilo José Cela erklärt mir: „Kleidung hat immer eine Bedeutung, Kleidung kommuniziert."

Fidel Castro schlüpfte sogar beim Papstbesuch in den Jogginganzug. Foto: Reuters.

Der Ursprung von Sportklamotten in der Politik geht laut Cela auf Fidel Castro und einen Jogginganzug zurück. Nach seinem Rücktritt als kubanischer Staatspräsident 2006 aus gesundheitlichen Gründen tauchte der alte Revolutionsführer bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten regelmäßig in Adidas-Trainingsanzügen auf. Nur manchmal switchte er zu Puma, Fila und sogar—Achtung, Klassenfeind!—Nike.

Natürlich hätte der Widerspruch kaum größer sein können: Eine Galionsfigur der kommunistischen Bewegung zeigt sich mit Marken, die ein Aushängeschild des Sport-Kapitalismus sind. Das Bild schlug dermaßen ein und blieb im kollektiven Gedächtnis hängen, dass viele vergessen haben, dass Castro bis zu diesem Moment immer in Militäruniform zu seinem Volk gesprochen hatte.

„Ein Politiker im Jogginganzug vermittelt mehr Nähe als ein Politiker im Anzug. Fotos von Staatsführern, die im Urlaub Sport machen, sind keine Seltenheit. Der Unterschied ist, wenn sie die gleichen Klamotten im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit anziehen", erzählt uns die politische Beraterin Gabriela Ortega.

Soldaten hören dem damaligen Staatsoberhaupt Venezuelas, Hugo Chavez, zu. Der—wie auch seine Assistenten—trägt natürlich einen Jogginganzug. Foto: Reuters

„Der Trainingsanzug ist ein Kleidungsstück, das mit den unteren Bevölkerungsschichten assoziiert wird. Nicht jeder kann sich einen Anzug leisten, aber jeden einen Trainingsanzug. Indem man zum Trainingsanzug greift, sagt man den Leuten: ‚Ich bin einer von euch.'", ergänzt Santiago. Die Liebe für den sportlichen Look breitete sich in Lateinamerika schnell aus.

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Der venezolanische Revolutionsführer Hugo Chávez war der Erste, der Castros Stil übernahm. Und seitdem kann man sich Politik in Venezuela ohne Sportklamotten kaum mehr vorstellen. Sowohl sein Nachfolger Nicolás Maduro als auch dessen Widersacher Henrique Capriles haben in ihren Präsidentschaftskampagnen sportliche Outfits getragen. „Die Verwendung solcher Kleidungsstücke nimmt vor allem bei lockeren Wahlkampfveranstaltungen, Pressekonferenzen am Wochenende und informellen Interviews stark zu. Also bei nicht-offiziellen Veranstaltungen, bei denen der Politiker sein Image des immer Arbeitsamen schafft und schärft", analysiert Ortega.

So sehen Präsidentschaftskandidaten aus. Foto: Reuters

Auch der brasilianische Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und vor allem die frühere argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner überraschten mit einem sehr sportlichen Look in der Öffentlichkeit. Letztere sogar mal in XS-Leggings. Wladimir Putin trägt nicht nur gerne sportliche Outfits, er geht sogar noch einen Schritt weiter und macht Sport. Ob Reiten, Eishockey oder Pumpen: Wladi lässt sich nicht zweimal bitten, wenn es darum geht, den agilen und fitten Herrscher zu mimen.

Auch Nelson Mandela war gerne sportlich gekleidet unterwegs. Foto: Reuters

Auch in der asiatischen Politik hat es durchaus Tradition, bei bestimmten Veranstaltungen in den langen Bequemen zu schlüpfen. Selbst chinesische Funktionäre wurden in der Öffentlichkeit schon im Sportdress gesichtet. In Afrika hat sich Nelson Mandela auch neben steifen Anzugträgern im Trikot der südafrikanischen Fußball- und Rugby-Mannschaft ablichten lassen.

In Europa sind Ausflüge von Politikern im Trainingsdress auf das private Umfeld beschränkt. „Es ist eine sozio-kulturelle Frage, was gerne gesehen wird und was nicht", erklärt Santiago. Trotzdem haben es sich José Luís Rodríguez Zapatero und sein ehemaliger Kollege David Cameron nicht nehmen lassen, sich gemeinsam beim Joggen fotografieren zu lassen. Angela Merkel haben wir bisher noch nicht im Jogginganzug erblicken können, manch einer würde jetzt meinen, gar nicht mal so schade. Was nicht heißen soll, dass sie sportlichen Veranstaltungen fernbleiben würde. Vor allem wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt, zeigt sie mehr Einsatz als so manche Trantüte auf dem Platz.

„Bekleidung ist ein wichtiger Part nonverbaler Kommunikation. Manche Politiker wählen vor diesem Hintergrund eben einen Jogginganzug, andere hingegen benutzen andere Mittel, um Nähe zum Wähler zu suggerieren. Varufakis beispielsweise hat extra auf eine Krawatte verzichtet", fährt Ortega fort.

Der französische Politiker Nicolás Sarkozy und der US-amerikanische Präsident Barack Obama sind weitere Leader, die in der Öffentlichkeit gern für ein sportliches Image sorgen. „Sport wird immer positiv gesehen. Er ist gut für die Gesundheit. Rauchen hingegen ist schlecht fürs Image. Darum ist ein Auftritt in der Öffentlichkeit mit einer Zigarette keine so gute Idee", meint Santiago.