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Sex

Die illegalen Pornokinos von Jordanien

Auch in Jordanien, das ein mehrheitlich muslimisch und traditionsbewusstes Land ist, schauen Männer sich Pornos an: obwohl es gesellschaftlich verpönt ist, steht mitten auf dem Marktplatz das gutbesuchte Pornokino. Wir haben uns dort eine Vorstellung...

Vintage-Poster an den Stufen, die zum Eingang des Kawakib-Kinos führen.

Während er leise und nervös vor sich hin murmelt, kneift der alte Mann seine Augen zusammen, richtet sie auf den Boden und hält sich die Ohren zu. Seine Stirn ist gegen den Holzstuhl vor sich gepresst und das blaue Licht vom Filmprojektor, das aus dem Kämmerchen hinter ihm strahlt, beleuchtet den weißen Bart und sein erschöpftes, verwittertes Gesicht. Der Film, der da gerade auf die Leinwand vor ihm projiziert wird und den er kaum anschauen kann, zeigt einen nackten, rundlichen, schwitzenden, künstlich gebräunten vokuhilatragenden Mann beim Sex mit einer kurzhaarigen Brünetten, mit sahnefarbener Haut auf einer Küchentheke. Sie hat ein Tattoo auf dem Arsch und trägt eine Kette mit einem riesigen silbernen Kruzifix, das zwischen ihren Brüsten hin und her schwingt, während er von hinten in sie hineinstößt. Der Ton ist schlecht, die Kamera wackelt und der knappe Dialog enthüllt, dass der Film wahrscheinlich aus Italien stammt: „Ahh, fuck me! Sì! Sì! Sì!“

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Der alte Mann schaut weg und scheint auch nicht den anderen Typ drei Sitze weiter zu sehen, der unter einer über seinem Schoß ausgebreiteten, hellbraunen Jacke masturbiert. In der vordersten Reihe steckt sich ein Mann seine vierte Zigarette innerhalb von zehn Minuten an. Der Rauch vermischt sich mit den Projektorstrahlen und verdunkelt dabei kurz die untere rechte Ecke der Leinwand. Das Paar auf dem Schirm wechselt zu Analsex.

Der Mann, der zuvor zwanghaft auf den Boden gestarrt hat, steht auf.

„Pepsi, Leute?“ ruft er auf Arabisch. „Will irgendjemand Pepsi?“

Er läuft die Reihe hoch und runter, ignoriert die sich selbst Liebenden und versucht weiterhin, seinen Blick von der Leinwand fern zu halten. Sein Hin- und Hergelaufe zieht den Zorn der rund 15 Männer auf sich, sie buhen ihn aus. Sie alle sind gekommen, um ihren Samstagnachmittag mit einem unscharfen, schlecht produzierten Porno im Kawakib-Kino zu verbringen—einem der wenigen quasi-öffentlichen, aber trotzdem illegalen Sexkinos in der jordanischen Hauptstadt Amman. Sie wollen nicht, dass ihre Sicht gestört wird—besonders nicht während des Analsex und einem Mann, der selber nicht mitschaut. Der Pepsi-Verkäufer setzt sich wieder hin, nimmt seine ursprüngliche Position ein und versucht weiter so zu tun, als wäre der Film nicht da. Schweißüberströmt und keuchend zieht der Vokuhila-Mann seinen Schwanz raus und spritzt auf dem Rücken der Brünetten. Die Kamera schwenkt nach links, bevor das Bild in eine neue Szene mit einem neuen Paar blendet.

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Das Kawakib, ein kleines Rattenloch im alten Suq von Amman, befindet sich gut sichtbar auf der König-Talal-Straße im historischen Zentrum der Stadt. Es ist gleich bei der König-Hussein-Moschee, einem von Ammans spirituellen Zentren und regelmäßiger Versammlungsort für den jordanischen Zweig der Muslimbrüder. Wenn man gerade zur richtigen Tageszeit da ist, kann man beobachten, wie die Besucher der Pornonachmittagsvorstellungen von dem Ruf des Muezzin, der durch die dünnen Kinowände dringt, unterbrochen werden.

Kein Schild und keine Laufschrift kündigen den Namen des Kawakib an oder die Zeiten der Filmvorführungen. Auf den Betonwänden des Kinos kleben Poster von lange vergessenen europäischen und amerikanischen Actionfilmen der untersten Schublade, daneben Werbung für ägyptische und türkische Filme und klassische Pornofilmplakate. Ein Plakat von Predator hängt gleich neben Filme wie Peep and Show und dem türkischen Vahşi ve Tatlı („Wild und süß“).

Unter den Postern liegen verstreut alte Männer mit rot-karierten Kufiyas auf den mit Müll übersäten und nach Katzenurin stinkenden Treppen zum Eingang des Kinos. Außerhalb des Kassenhäuschens trinken die Stammkunden Tee oder Kaffee und unterhalten sich fröhlich. Da steht auch Rushdi, ein 54-jähriger ehemaliger Manager und zeitweise Angestellter beim Kawakib. Er sagt mir, dass die Poster, die keine Pornos zeigen, nur Show sind. Heute zeigt das Kino nur noch Pornos, aber das war nicht immer so. Als Kind sah Rushdi sich hier alle möglichen Filme an, damals noch in Schwarz-Weiß und größtenteils auf Ägyptisch—Abenteuerfilme, Komödien, Romanzen und alles, in dem der ägyptische Schauspieler Omar Sharif mitspielte. Rushdi formt mit seiner rechten Hand eine Pistole, zieht den Hahn nach hinten und sagt auf Arabisch, dass seine Lieblingsfilme früher „Cowman“-Filme waren. Er feuert die fiktive Waffe ab, lächelt und korrigiert sich auf Englisch: „Cowboy“.

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Aber das war das alte Kawakib, das in den späten 70ern (sie wissen nicht mehr genau, wann) geschlossen wurde. Einige Jahre später, 1987 sah Rushdi in dem verlassenen Kino eine Geschäftsmöglichkeit. Er kaufte das Kawakib, säuberte es und machte es wieder zu einem Kino für die „normalen“ Leute—eins, das Großbildunterhaltung zu erschwinglichen Preisen anbot. Es zeigte nicht immer die neusten Filme, aber die Tickets kosteten nur einen Bruchteil von dem, was man in den neuen Kinos in Ammans Shoppingcentern bezahlte.

Rushdi erzählt, dass der erste Film, den er 1987 vorführte, ein Actionfilm namens The Tiger and the Woman war. Es waren Filmen für ein großes Publikum und die das Kino am Laufen hielten—zumindest eine Zeit lang. Dann begann er Pornos ins Programm aufzunehmen, nur ein paar am Anfang. In den frühen 2000er führte er dann nur noch Sexfilme vor.

Nur noch Pornos zu zeigen, war eine wirtschaftlich motivierte Entscheidung. Trotz der Regulierungsversuche der Regierung sind Internet- und Pay-TV-Pornos in Jordanien legal und leicht verfügbar. DVDs und Sexkinos sind eine andere Sache. Das Balad ist voll mit Läden, die illegal heruntergezogene DVDs mit Filmen verkaufen, aber um nach außen hin nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, werden Pornos dort nicht offen verkauft. Das bedeutet für das Kawakib, dass es nicht mit den DVD-Läden konkurrieren kann, indem es alte Mainstream-Hits zeigt. Viele seiner nach Pornos lechzenden Kunden—die meisten Wanderarbeiter—können sich die Internet- und Pay-TV-Sender nicht leisten. Pornos wurden zur Marktlücke des Kawakib und es funktioniert.

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Viele der Männer (Frauen sind im Kino nicht erlaubt), die regelmäßig zu den Vorführungen kommen, ist es verständlicherweise unangenehm, über ihre Besuche zu reden. Die Arbeiter, die an diese Orte kommen, sind meistens nicht mal Jordanier. Oft sind sie Ägypter, Syrier, Philippiner oder vom indischen Subkontinent. Unverheiratete Männer verschiedener Konfessionen, die von ihren Familien und Freunden abgeschnitten sind und oft einsam sind.

Die Kinogänger, die kein Problem damit haben, darüber zu sprechen, sind perverserweise stolz auf ihren Pornokonsum. Sie trauen sich nicht, allein mit mir zu reden, aber in der Gruppe sind sie sehr redselig, sogar enthusiastisch. Die Filme selbst sind nicht besonders exotisch. Es gibt zwar Brüste, Schwänze, Muschis und Ärsche ohne Ende, aber kein S&M, keine Homosexualität und nur selten mehrere Sexpartner oder Orgien—die Filme zeigen im Grunde klassischen, heterosexuellen Sex von zwei Menschen.

„Ich mag diese Sexfilme, sie sind wirklich schön“, sagt Jaffar, ein glattrasierter, kahlköpfiger Kunde des Kawakib, der mir nicht seinen Nachnamen nennen will. „Dass die Frauen ficken und lutschen und so—ich mag das!“

Jaffar erzählt, dass er ein jordanischer Arbeiter ist, wie seine Freunde auch. Für ihn sind die DVDs und die Sachen aus dem Internet nicht gut genug. Er sieht sich Pornos lieber auf dem großen Bildschirm an. Für nur anderthalb Dinar (ungefähr anderthalb Euro) kann er jederzeit zwischen acht Uhr morgens und acht Uhr abends im Kino sitzen und sich mit gleichgesinnten Herren überlebensgroße, verwackelte Pornos anschauen. Er kommt nach einem langen Arbeitstag gerne her, um den Tag „abzuschließen und zu entspannen“. Er grinst und macht eine Wichsbewegung mit seiner linken Hand—diese Art von Abschluss.

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Männer im Eingang des Kawakib.

Ein paar Blocks weiter macht das Raghadan-Kino immer noch das, was das Kawakib früher gemacht hat: eine Mischung aus Pornos und abgelaufenen Mainstreamfilmen. Das Management des Raghadan streitet ab, dass es Pornografie im Programm gibt, aber ein Angestellter, der anonym bleiben will, sagt, dass es dort auch Pornos gibt, nur nicht ständig. Neben dem Haupteingang zum Raghadan ist eine Seitenür, durch die eine Treppe nach unten zum Amman-Kino im Keller des Gebäudes führt. Obwohl es nicht immer geöffnet ist, so wie das Kawakib, sind die Treppenwände mit den gleichen Vintage-Pornoplakaten tapeziert, was den Aussagen des Angestellten Glaubwürdigkeit verleiht. Es ist schwer zu sagen, ob diese Mischungsmethode funktioniert. Letztens musste das Kawakib 15 Männer in den kleinen Vorführraum zwängen, während das Raghadan einen jugendfreien Jackie-Chan-Film zeigte und nur 10 Besucher in ihrem viel größeren Kino hatte. Nachmittagsschweinkram schlägt Jackie Chan um Längen, und das am helllichten Tag. Niemand im Kawakib streitet ab, was sie vorführen, und auch die Nachbarn wissen Bescheid.

Zaid Naggar, ein Schlosser und Eisenwarenverkäufer mittleren Alters, der neben dem Kawakib arbeitet, wünscht sich, dass die Behörden das Kino dicht machen. „Es ist ein schlechtes Kino, es zeigt nur Sexfilme, was schlecht für Kinder und sogar Jugendliche ist“, sagt Zaid, während Ladenbesitzer sich um ihn scharren und zustimmend nicken. Die Aktivitäten des Kawak verstoßen gegen arabische und islamische Werte, sagt er. Er hat gehört, dass Männer dort homosexuellen Sex haben und Jungs die Schule schwänzen, um zu den Vorstellungen zu gehen. Er glaubt, dass die Polizei keine Razzia durchfürt, weil sie wichtigere Dinge zu tun hat. Obwohl er gegen das Kino ist, gibt er zu, dass in Jordanien eine Doppelmoral herrscht, wenn es um Pornos geht. „Um ehrlich zu sein“, sagt Zaid, „du kannst dir Pornos im Pay-TV ankucken, warum ist es dann in Kinos verboten?“

Die staatlichen Zeitungen berichten manchmal von Razzien gegen Ammans Pornokinos, aber das Kawakib hat Notfallpläne, falls das passieren sollte—Atif sagt, er würde die Rolläden vorm Eingang runterlassen und die Plakate runternehmen und es so aussehen lassen, als sei das Kawakib geschlossen. Er sagt, er weiß, dass die religiöse Gemeinschaft über das Kawakib nicht glücklich ist, aber meint achselzuckend, dass sie eh nicht viel tun können. Rushdi geht ein bisschen weiter und gibt zögerlich zu, dass manchmal Schmiergelder die Hände wechseln, um die Behörden aus dem Kino zu halten—aber er sagt keine Namen, Summen oder wie oft er bezahlt.

Das islamische Gesetz ist Teil von Jordaniens Rechtssprechung und es gibt eine geheime Polizeieinheit, die Mukhabarat, allerdings keine offiziellen religiösen Vollstrecker wie die Mutaween im benachbarten Saudi-Arabien. Jordanien ist auch insofern anders als Saudi-Arabien, als dass es überhaupt öffentliche Filmtheater gibt—wie so viele andere Dinge in Saudi-Arabien sind Kinos verboten, mit der Begründung, sie würden Abartigkeiten fördern. Wenn es der normalen jordanischen Polizei egal ist, oder sie dafür bezahlt wird, dass es ihr egal ist, werden demnächst keine imamgeführten Milizen vorbeikommen und das Kawakib niederbrennen. Kultur, Religion und landläufiger Meinung zum Trotz haben die Kinos eine solide Kundschaft. So werden sie also weiter ihre Kunden einladen, sich hinzusetzen, eine Pepsi zu kaufen, Pornos zu kucken und wiederzukommen.