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In Uruguay werden die Träume eines jeden Kiffers wahr

Es scheint fast sicher zu sein, dass Uruguay im November Gras legalisieren wird. Das Gramm wird knapp 3 Euro kosten und jeder Pothead darf pro Monat ganz legal 40 Gramm vom Staat angebautes Marihuana durchziehen.

Ein Pro-Weed-Marsch in Montevideo. (Foto von Santiago Mazzarovich)

Der repressive Kampf gegen die Drogen ist gescheitert. Der Senat in Uruguay hat jetzt einem neuen Marihuana-Gesetz zugestimmt. Damit wird der Anbau, Verkauf und Konsum von Marihuana legalisiert. Mit dem neuen Gesetz wird Uruguay auch das erste Land, in dem der Staat alle drei Bereiche kontrollieren darf. Hier könnt ihr nachlesen, wie es dazu kam.

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Es scheint fast sicher zu sein, dass Uruguay gegen Ende des Jahres Gras legalisieren wird. Dieser Schritt—der vom uruguayischen Präsidenten Jose Mujica als „Experiment“ begrüßt wurde, das einen „Beitrag zur Humanität“ leisten könnte—wäre insofern einzigartig, als dass es sich um das weltweit erste Programm handelt, in dem die Regierung die Kontrolle über die gesamte Marihuana-Industrie, d.h. inklusive Anbau, Handel und Verkauf der Droge, übernimmt. Obwohl der Konsum sämtlicher Drogen in Uruguay seit über 30 Jahren entkriminalisiert wird, mussten Konsumenten ihr Gras bislang von Straßendealern kaufen. Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird der Stoff von legitimen und, wichtiger noch, stark regulierten Quellen bezogen werden können. Mit geschätzten 2,50 Dollar pro Gramm steht der Preis in direktem Wettbewerb mit dem Schwarzmarkt—mit dem Vorzug, dass Leute kein minderwertiges Produkt von einem Drogendealer kaufen müssen, wenn sie für genau den gleichen Preis qualitätsgeprüfte Drogen vom Staat bekommen können. Wenn sie sich beim Staat registriert haben, werden Bürger bis zu 40 Gramm Marihuana pro Monat erwerben und zudem ihren eigenen privaten Vorrat anpflanzen können. Was die unternehmerisch ambitionierten Amateurbotaniker betrifft, dürfen private Unternehmen und Genossenschaften ihr eigenes Produkt anbauen, so lange die Menge bestimmte Grenzen nicht überschreitet und die Ernte nur über staatlich betriebene Apotheken verkauft wird. Doch so glücklich die Kiffer des Landes sein mögen, das Gesetz wird nicht nur durchgesetzt, um ihnen einen besseren Zugang zu Gras zu verschaffen. Stattdessen geht es in diesem Teil des 15-Punkte-Regierungsprogramms darum, das Land sicherer zu machen und den Behörden mehr Kapazitäten zu schaffen, um gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen, anstatt Zeit mit Verhaftungen wegen ein paar Gramm Gras zu vergeuden. Es ist nicht überraschend, dass dieser Schritt hin zur Legalisierung nicht über Nacht geschah. Die Entscheidung bildet den Höhepunkt jahrelanger Kampagnen von Bürgern, NGOs und Politikern. Clara Musto von der uruguayischen Aktivistengruppe Pro Derechos erzählte mir von all den Hindernissen, denen ihre Organisation auf dem Weg zu dieser historischen Gesetzesänderung ausgesetzt war.

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Ein Pro-Weed-Marsch in Montevideo. (Foto von Santiago Mazzarovich)

Es stellt sich heraus, dass das Hauptproblem darin lag, die Leute zu überzeugen, dass es in der Debatte nicht um die Drogen an sich ging. Es hat lange gedauert, bis „der Wendepunkt in der öffentlichen Debatte erreicht war, an dem die Leute dies nicht mehr als eine Diskussion ansahen, in der es um Marihuana oder die Frage geht, ob es schädlich für die Gesundheit ist“, erzählte mir Clara, „oder darum, ob es gut oder schlecht ist, Marihuana zu konsumieren, sondern um die Marihuana-Gesetze selbst.“ Auch die Massenmedien waren nicht besonders hilfreich dabei, diese Botschaft zu verbreiten: „Marihuana ist ein Thema, das wirklich stigmatisiert ist“, fuhr Clara fort, „das Bild, das dir von den Zeitungen und dem Fernsehen vermittelt wird, ist ein Junge, der einen riesigen Joint raucht […], das ist ihre Sicht auf den Sachverhalt, und die hilft uns nicht dabei, das Stigma zu dekonstruieren.“ Unterstützer der Kampagne von Pro Derechos wehren sich gegen das typische Image einer Pro-Marihuana-Gruppe. Statt einer schlecht organisierten Menge mit Dreadlocks, die in kollektivem Dunst vor sich herschreit, dass Marihuana nur eine Pflanze sei, handelt es sich hier um Männer und Frauen mit allen möglichen Lebenshintergründen—Junge und Alte, Hausfrauen und Geschäftsmänner und Menschen, die nicht einmal selbst Marihuana rauchen. Die Kampagne hat diese Art der Unterstützung mit Grafiken aufgegriffen, die die sozialen Vorteile einer Legalisierung betonen: von einem Antrieb der Wirtschaft bis hin zum möglicherweise starken Rückgang des Drogenkonsums.

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Ein Kampagnenplakat von Pro Derechos mit einem Bild des uruguayischen Präsidenten (mit freundlicher Genehmigung von Pro Derechos)

Doch am wichtigsten für den Vorstoß zur großen Weed-Übernahme der Regierung ist die Auffassung, dass Unsicherheit und Verbrechen innerhalb des letzten Jahrzehnts in diesem vormals eher verschlafenen Land angestiegen sind. Obwohl sich Montevideo nicht mit den mörderischen kolumbianischen Schlachtfeldern von Bogotá und Medellín vergleichen lässt (in denen etwa zehnmal mehr Morde verübt werden), bezeichnen die Bewohner der uruguayischen Hauptstadt ihre Heimat eher als „äußerst unsicher“ als diejenigen, die in einer der beiden brutalsten Städte Kolumbiens leben. Diese Ansicht erscheint vielleicht etwas übertrieben, doch die Zahl der Verbrechen ist in den letzten zehn Jahren in der Tat gestiegen. Laut Polizei und Drogenbeamten hängt dies mit der Einfuhr von Paco zusammen. Die Droge überschwemmt das Land, seitdem die Chemikalien, die zur Herstellung von Kokain benötigt werden, in Kolumbien und Peru reguliert worden sind—was bedeutete, dass die Händler einen neuen Absatzmarkt für ihr Produkt finden mussten. Die Kombination aus der Wirtschaftskrise von 2002, den Wellen der Arbeitslosigkeit und einer neuen Billigdroge bewirkte im Land die Zunahme krimineller Bandenaktivitäten. Als ich Geoff Ramsey anrief, einen Forscher der Open Society Foundations, erzählte er mir, dass eine Legalisierung von Marihuana—wenngleich es sicherlich kein Königsweg sei—dabei helfen könnte, lokale Gangs zu schwächen, die sich auch im Bereich der Prostitution und Kleinkriminalität betätigen. „In Uruguay gibt es peruanische und kolumbianische transnationale Verbrecherorganisationen, die den Hafen von Montevideo dazu nutzen, um vor allem den europäischen Markt mit Kokain zu beliefern“, erzählte er mir, „und diese wird die Legalisierung wahrscheinlich nicht beeinflussen. Die typischen lokalen und urbanen Gangs, die es durchaus gibt, wird es hingegen stark treffen.“

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Ein Pro-Weed-Marsch in Montevideo. (Foto von Santiago Mazzarovich)

Wenngleich es profitablere Drogen zu verkaufen gibt, ist der Markt für Marihuana der gefragteste in Uruguay—20 Prozent der Bevölkerung rauchen es im Laufe ihres Lebens. Wenn dieser Handel aus den Händen der lokalen Kriminellen genommen wird—Kriminelle, die zur Unsicherheit der Stadt beitragen—, dann dürften sich ihre Brieftaschen bald um einiges leichter anfühlen.

Da dies das erste Experiment dieser Art ist, könnte es natürlich nach hinten losgehen. Kriminelle schmeißen nicht einfach alles hin und stellen sich an die Schlange vor dem Arbeitsamt an, um sich nach einem rechtschaffenen Beruf umzusehen. Zum Glück scheint sich der uruguayische Präsident dessen aber bewusst zu sein, da er auch die Ausgaben für den Gesetzesvollzug erhöhte. Das Geld, das voraussichtlich durch den Verkauf von staatlichem Marihuana erwirtschaftet wird, soll zur Eindämmung des Handels mit harten Drogen verwendet werden, zu dem Kriminelle ausweichen werden, sowie für die Überprüfung, dass die neuen Marihuanazüchter die festgelegten Obergrenzen nicht überschreiten. Wenn man mit diesen möglichen Folgen fertig wird, hat die Legalisierung von Marihuana in Uruguay—zumindest Geoff zufolge— „gute Aussichten, die Zahl der Morde und anderen Gewaltverbrechen zu verringern.“

Der Fall könnte zum Präzedenzfall in der Drogenpolitik anderer Länder in Lateinamerika und der ganzen Welt werden, oder diese zumindest dazu anregen, gegen den Status Quo der Prohibition anzugehen. Einige Länder tun tatsächlich schon genau dies: Ecuador etwa hat vor Kurzem den privaten Drogenkonsum entkriminalisiert, und die Präsidenten von Kolumbien und Guatemala gaben bekannt, dass sie Alternativen zu dem zerstörerischen ,War on Drugs‘ der USA ausfindig machen wollen.

Natürlich sollte man sich mit voreiliger Begeisterung zurückhalten, da das Vorhaben bislang nur ein „Experiment“ ist, das die Welt sehr genau beobachten wird. Wenn es sich allerdings als erfolgreich herausstellen sollte und tatsächlich all die Vorteile bringt, die die uruguayische Regierung momentan verspricht—wer weiß, welches Land dann als Nächstes seinen politischen Anführer an die Spitze seiner Marihuana-Industrie setzen wird.