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Gefährliche Männlichkeit

Wenn Männerfreundschaften körperlich werden

Hetero-Männer verzichten nicht selten lieber auf gegenseitige Zuneigung, als für schwul gehalten zu werden – und schaden sich damit vor allem selbst.

Mit den Worten "18 years later and he still under my arm" veröffentlichte Eric Owens eine Fotocollage auf Facebook, die ihn mit seinem Sohn über mehrere Jahre hinweg beim Kuscheln zeigt. Das Posting ging viral – die Reaktionen reichten von "einfach falsch" über "komisch" bis hin zu "ekelhaft". Leider fast schon selbstredend ist auch die Häufigkeit, mit der "schwul" als Beleidigung zum Einsatz kam.

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Obwohl die abwertenden Kommentare unter dem Posting später einer Welle aus positiven Gegenreaktionen gewichen sind, scheint körperliche, nicht-sexuelle Zuneigung zwischen zwei Männern immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema zu sein.

Im Fall von Eric Owens ist es die gegebene Vater-Sohn-Beziehung, die für viele eine Art Streichel-Legitimation darstellt – aber alleine die Tatsache, dass man liebevolle Berührungen mit einem familiären Verhältnis rechtfertigen muss, sagt viel darüber aus, wie wir Männern jegliche Form von nicht-sexueller Zuneigung absprechen.

Letztens saßen mir in der U-Bahn zwei Jungs im Teenager-Alter gegenüber. Der eine hatte seinen Arm um den anderen gelegt, der andere streichelte mit seinen Fingern ganz nonchalant über das Knie des einen. "Süßes Pärchen", dachte ich mir und erwischte mich dabei, wie ich einfach davon ausging, dass es sich offensichtlich um ein romantisches Verhältnis handeln müsse. Als ich schuldbewusst die Musik in meinen Ohren unterbrach, um heimlich ihr Gespräch mitzuhören, stellte sich heraus, dass der eine Liebeskummer hatte—wegen seiner Freundin.

Während Händchenhalten und Bussis in Frauenfreundschaften gesellschaftlich eher akzeptiert und popkulturell propagiert werden—und erfahrungsgemäß auch der Großteil von Beziehungen mit queerem Einschlag dazu neigt, liebevoll zu sein—, machen Hetero-Männer untereinander meist nur Fist-Bumps oder diese komische Pseudo-Umarmung, bei der sie mit der flachen Hand den Rücken des anderen abklopfen. Die Schläge sind essentiell—sie machen die Umarmung erst zu einer echten Männer-Umarmung. Dreimal kräftig, bum, bum, bum. Als würden sie sich geheime Morsezeichen schicken: "He-te-ro".

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Oder: "Ho-mo-phob". Was hier gelebt wird, ist ein Musterbeispiel für "Toxic Masculinity": Emotionen dürfen nicht zugelassen werden, Frauen eignen sich ganz gut als Deko und körperliche Zuneigung kann ausschließlich in Verbindung mit Sexualität stattfinden.

Das bringt Männer irgendwie dazu, zu glauben, Intimität unter Männern wäre immer auch zwingend sexuell—homosexuell. Und wenn es etwas gibt, wofür die meisten heterosexuellen Männer nicht fälschlicherweise gehalten werden möchten, dann ist das homosexuell. Also wird körperliche Zuneigung lieber völlig aus dem Programm gestrichen.

Heterosexuelle Männer isolieren sich demnach von jeglicher Form von Intimität, die nicht mit einer Frau und nicht sexuell passiert. Platonische Berührungen sind quasi nichtexistent. Dass so ein Verhalten nicht gerade glücklich macht, ist nur logisch. Mangelnde Berührung kann sich erheblich auf die Zufriedenheit und sogar die Gesundheit eines Menschen auswirken—nicht selten sind Aggressionen und Gewalt das Resultat. Ihr seht schon, wie tief dieses Problem sitzt und wie groß das Ausmaß seiner Konsequenzen sein kann.

Junge Männer wachsen inmitten unserer Gesellschaft in dem Glauben auf, körperliche, nicht-sexuelle Nähe zu anderen Männern—vielleicht zu ihren engsten Freunden, ihren wichtigsten Bezugspersonen, oder eben ihren Vätern—sei für sie nicht möglich, nicht erlaubt. Dabei war nicht immer so: Anfang des 20. Jahrhunderts sahen fotografisch dokumentierte Männerfreundschaften (zumindest in den USA) noch ganz anders aus. Von Berührungsängsten war damals keine Spur. Erst mit dem heutigen Schwarzweiß-Konzept von Hetero- und Homosexualität in unseren Köpfen kam auch der Rückgang von männlicher Intimität und die damit verbundene Berührungs-Quarantäne.

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In vielen nicht-westlichen Kulturen hingegen gelten Händchen haltende, heterosexuelle Männer bis heute als völlig normal—etwa in Indien oder Teilen Afrikas. Auch im arabischen Raum ist Händchen halten unter Männern ein Zeichen von Freundschaft und Respekt. Ein Muster zeichnet sich ab: Körperliche Zuneigung unter Männern scheint vor allem in Kulturen als akzeptiert zu gelten, in denen Homosexualität wenig Bühne geboten wird.

"Wir erziehen Jungs nicht dazu, Männer zu sein. Wir erziehen sie dazu, keine homosexuellen Männer oder Frauen zu sein."

Vielleicht ist es deshalb auch nichts Besonderes, wenn in Nepal zwei männliche Polizisten Hand in Hand durch die Straßen gehen—weil in erster Linie niemand überhaupt auf die Idee kommen würde, es könnte sich dabei um ein homosexuelles Verhältnis handeln. Man könnte also sagen: je größer die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Homosexualität in einer Kultur, desto größer auch die Ablehnung von körperlicher Intimität unter heterosexuellen Männern.

Im Vergleich zur nepalesischen mag jede Form von westlicher Kultur vielleicht auf den ersten Blick weltoffen und liberal erscheinen. Trotzdem gibt es immer noch eine tiefsitzende Homophobie in den Köpfen der Menschen—mit dem Unterschied, dass man das in Nepal nicht abstreiten würde. In vielen westlichen Ländern hingegen heucheln wir zwar Toleranz, bringen heterosexuelle Männer aber dazu, gegenseitige Berührungen eher gänzlich abzulehnen, bevor man sie noch fälschlicherweise für schwul halten könnte. Lieber dreimal kräftig auf den Rücken, bum, bum, bum. Keine einfache Situation, aber auch keine, aus der wir uns nicht befreien können.

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April 2005: US-Präsident George W. Bush und der saudische König Abdullah spazieren Hand in Hand. Im arabischen Raum ein Zeichen der Freundschaft—in den USA sorgten die Bilder für Aufregung. Foto: Public Domain

"Wir erziehen Jungs nicht dazu, Männer zu sein. Wir erziehen sie dazu, keine homosexuellen Männer oder Frauen zu sein." Die National Football League ist wahrscheinlich die größte heterosexuelle Bastion der Vereinigten Staaten—wenn 2016 aber sogar ein ehemaliger Quarterback wie Don McPherson zu diesem Schluss kommt, ist das ein Anzeichen dafür, dass die Dinge sich ändern. Genauso wie die Jungs aus der U-Bahn ein Zeichen dafür sind, dass eine jüngere, liberalere Generation langsam aber sicher beginnt, mit dieser Einstellung zu brechen.

Ich erlebe das auch in meinem eigenen Umfeld. Befreundete Hetero-Männer—jene, denen ich persönlich das höchste Bewusstsein für Homophobie zuschreiben würde—erzählen mir von ihren Männerfreundschaften, in denen man sich mit Küsschen begrüßt, beim Biertrinken die Oberschenkel gestreichelt werden und sogar richtige Umarmungen stattfinden, ganz ohne Schläge auf den Rücken.

Dieser sich abzeichnende Umschwung lässt einen hoffen, dass unsere Söhne vielleicht mal ein bisschen weniger angestaute Aggressionen in sich tragen werden. Vielleicht weniger häufig gewalttätig werden. Vielleicht ein bisschen weniger Druck verspüren, sich einem vorgegebenen Rollenbild beugen zu müssen. Letztendlich schießen sich homophobe Hetero-Männer mit ihren Berührungsängsten nur selbst ins Knie. Oder eben anderen Menschen anderswo hin. Dreimal kräftig, bum, bum, bum.

Franz auf Twitter: @FranzLicht


Header: torbakhopper | Flickr | CC BY-ND 2.0