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Popkultur

Wie viel man für ein fair produziertes Outfit ausgeben muss

Ein Shirt, das man guten Gewissens tragen kann, kostet halt mehr als fünf Euro. Nachhaltigkeit muss aber nicht teuer sein.

Foto: Solidarity Center | Flickr | CC BY-ND 2.0

Wenn ich neue Sachen brauch, geh ich einfach schnell zum nächsten Billig-Shop. In der Regel finde ich im Sortiment der großen Ketten immer was im Rahmen von OK bis super und die Sachen behalten meiner Erfahrung nach auch mehr oder weniger ihre Form—auch wenn ich manche Shirts zugegebenermaßen schon nach einmal Waschen wegwerfen muss. (Natürlich kann das auch daran liegen, dass ich echt keinen Plan von Waschen habe.)

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Trotzdem kann man inzwischen einfach nicht mehr behaupten, nichts über die Arbeitsbedingungen zu wissen, unter denen die Produkte vieler Textil-Großhändler hergestellt werden. Früher konnte man seine Mitmenschen und sich selbst noch ganz gut anlügen, aber man müsste die letzten zehn Jahre schon unter einem sehr taubblinden Stein verbracht haben, um nicht zumindest ansatzweise davon gehört oder gelesen zu haben.

Ende 2012 kamen über 100 Arbeiter bei einem Großbrand in einer Textilfabrik in Bangladesch ums Leben—die Opfer waren aufgrund fehlender Notausgänge in den Flammen eingeschlossen. Einige Monate später stürzte das neungeschossige Gebäude Rana Plaza ein und forderte über 1.100 Todesopfer, weitere 2.400 wurden verletzt. Bereits zuvor wurden Risse im Gebäude gemerkt, jedoch aufgrund von Produktionsdruck ignoriert. Bei mir war das damals sogar Thema im Englisch-Unterricht, Ahnungslosigkeit simulieren funktioniert also nicht mehr.

Jetzt ist es als Student halt so, dass man kein Geld hat. Also geht man einfach trotzdem zum nächstbesten Billig-Kleider-Laden—wissend, dass Arbeiter in Bangladesch oder anderswo wahrscheinlich eine 80-Stunden-Woche drücken mussten, damit das Leiberl bei uns für einen Fünfer über den Tisch gehen kann. Als Ausrede funktioniert die eigene Studentenarmut meistens ganz gut, eine Art Schuldgefühl bleibt trotzdem. Man redet sich dann immer darauf hinaus, dass einem ja gar nichts anderes übrig bleibt, immerhin ist fair produziertes Zeug einfach nicht erschwinglich für mich.

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Irgendwann muss man sich aber einfach Prinzipien setzen, wenn man nicht ständig daran erinnert werden möchte, dass mindestens viereinhalb Kinderleben im neuen Hoodie stecken—obwohl er echt fein und auch noch verdammt billig ist. Ganz ehrlich, meine Vorstellung von einem fairen Outfit besteht halt auch mehr aus gemütlichen Schlapfen und diesen gemusterten MC Hammer-Hosen. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass Green Fashion mittlerweile groß genug sein müsste, um etwas zu finden, das nicht „Weltladen" schreit.

Der besondere Twist ist in meinem Fall, dass ich mich eigentlich in Männersachen ganz wohl fühle und somit wohl auch eher danach Ausschau halten werde. Das könnte schwierig werden, zumal die Mehrzahl der nachhaltigen Shops bislang noch eher auf Damenmode beschränkt sind—von fast vierzig Adressen, die in einer Liste der „Top Ökoshops in Wien" angeführt werden, geben gerade mal drei explizit an, auch Herrenmode zu führen.

Ich möchte also wissen, wie viel ich für straßentaugliche Männersachen zahlen müsste, wenn ich damit gleichzeitig auch ein paar Kinderleben retten kann, oder zumindest nicht auf Kosten der Lebensbedingungen anderer Menschen Geld ausgeben möchte.

Als Designer, der auf Fairtrade-Produktion setzt und fast ausschließlich mit bio-zertifizierten Stoffen arbeitet, kennt sich der Wiener Mark Baigent ziemlich gut aus: „Wenn man sich statt 20 billigen Shirts pro Monat ein qualitativ hochwertiges Teil holt, das einem auf lange Sicht mehr bringt, weil es nun mal länger hält, dann halte ich das für preiswerter."

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MOTHERBOARD hat sich das Öko-Bike aus Oberösterreich angesehen.

Faire Outfits werden mich also in jedem Fall ein bisschen mehr kosten als zwei Euro pro Kleidungsstück—langfristig ist es aber im Idealfall trotzdem nicht wesentlich teurer. Eine Freundin empfiehlt mir Avocado, einen Online-Store, der Mode von nachhaltigen Marken anbietet und auf den ersten Blick eher nach ziemlich zeitgemäßer Fashion als nach „Ich rette den Regenwald" aussieht. Das taugt mir, also schau ich mich virtuell nach Shirts um—Hoffnung habe ich anfangs nicht viel, nachdem mir auf der Startseite gleich mal ein Hemd um heiße 80 Euro angeboten wird. Mit viel Glück gingen sich davon vierzig Primark-Leiberl aus.

Nach kurzer Filterei finde ich sie aber doch—die günstigen tragbaren Shirts. Es gibt sie also. Sie kosten höchstens 20 Euro und wenn sie nicht gerade einfärbig sind, sind sie mit den Oberteil-Motiven einer ganzen Generation bedruckt. Jahreszahlen, selbst verliehene Titel wie „Lieblingscousin" (beste Geschenkidee), Cartoons, dieses Hipster-X oder Sprüche, die ungefähr „Ich bin echt kess" lauten—das ist im Grunde genommen alles, was ich je wollte. Wer mit dem Schriftzug „I hate everyone" als Arsch-Dekor leben kann, wird hier um erschwingliche Preise nachhaltig glücklich.

Foto: Martin Monroe | Flickr | CC BY-SA 2.0

Wie die Preisbildung eines in Asien hergestellten Shirts eigentlich zustande kommt, machen Recherchen der Clean Clothes Campaign ziemlich gut deutlich: Der Arbeiterlohn macht tendenziell 0,5 bis 3 Prozent des Endpreises, 15 Prozent gehen an die Markenunternehmen, 60 Prozent an Einzelhandel und Steuern. Der Rest ergibt sich aus Transport, Fabrikation und Materialien. Die Arbeiter verdienen etwas über einen Euro täglich.

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Für Rohstoff, Herstellung und Transport aus Asien bezahlt ein Billigkleidungs-Konzern etwas mehr als 1,40 Euro pro Shirt. Abzüglich weiterer Kosten wie Filialmiete, Gehälter und Werbung bleiben am Ende zirka 60 Cent Gewinn. Bei der Anzahl der weltweit verkauften Shirts rentiert sich das durchaus für den Konzern—nicht aber für die Arbeiter in Bangladesch, die schon durch eine minimale Preiserhöhung unseres Shirts genug Geld zum Leben hätten. Ein T-Shirt für zum Beispiel 5,70 Euro passe aber nicht mehr zur Preisgestaltung solcher Kleidungsunternehmen, weil Kunden gewohnt seien, nicht mehr als 5 Euro für ein T-Shirt zu zahlen, so Horst Sahm, ein Modemanager, gegenüber Die Zeit.


Sex, Sklaverei und Drogen in Bangladesch


Bei allem preispolitischen Verständnis kann auch den Mode-Aspekt nicht ganz ausgeklammert werden. Warum müssen nachhaltige Modelabels immer so ungünstige Namen haben? Selbst, wenn die Sachen für meine Begriffe überraschend gut aussehen, ruinieren nicht selten die Namen das Gesamtbild, weil sie klingen wie ein Nightwish-Album. „Mein Shirt ist von Armed Angels" verlangt doch förmlich ein ergänzendes „Und meinen Nietengürtel hab ich aus dem EMP-Katalog". Dasselbe gilt für Labels, die sich Dancing Shiva oder Göttin des Glücks nennen—eine meiner alten Lehrerinnen hatte immer diese filzartigen Röcke von denen, und es sah ja ganz lustig an ihr aus, aber werde ich mir je ein 50-Euro-Shirt mit „Ritter des Glücks"-Aufschrift gönnen? Ich glaube nicht.

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Mit anderen Kleidungsstücken verhält es sich ähnlich, wenn auch nicht gleich. Jeans bekommt man bei den großen Kleiderkonzernen schon ab 20 Euro, für die fair produzierten Gegenstücke muss man mindestens mit einem Hunderter rechnen. Im Vergleich ist das viel, aber meine Mama sagt immer „Eine gute Jean hast dein Leben lang"—und für ein ganzes Leben lang ist der Preis dann irgendwie schon gerechtfertigt, zumindest möchte ich das glauben. Ansonsten gibt es immer noch den Abverkauf. (Und ja, meine Mama gehört zu diesen komischen Leuten, die wirklich „Jean" sagen.)

Schuhe sind da schon ein schwierigeres Thema. Sneakers, die wie Gürtel an einem Regal dranhängen und 15 Euro kosten, erfüllen zwar kurzzeitig ihren Zweck, aber eben nur kurzzeitig. Wenn man nichts auslässt und die Latschen bei jeder Gelegenheit anzieht, beziehungsweise einfach viel Fußweg in ihnen zurücklegt, sind sie bereits nach ein paar Wochen nur noch die ranzigen Überreste eines Häufchen Plastiks. Mich hat das bis jetzt nie daran gehindert, die Dinger weiterhin zu tragen, allerdings muss man dann halt Schmerzen und eine gegen Null tendierende Wasserdichte in Kauf nehmen.

Foto via VICE Media

Fair produzierte Alternativen zu Chucks kriegt man um 65 Euro, was sich preislich ungefähr in derselben Gegend wie das Original bewegt und damit nicht viel falsch macht.

Somit hätte ich an dieser Stelle ein Paar Schuhe um 65 Euro, das voraussichtlich länger als zwei Wochen hält, ein 20-Euro-Shirt mit Arsch-Aufdruck und Jeans aus dem Abverkauf, an denen kein Blut klebt, um 70 Euro. Das sind zusammen 155 überaus nachhaltige Euro. Der durchschnittliche Preis eines guten Gewissens. Das ist eigentlich verschmerzbar. Wie immer liegt das Problem aber woanders: Denn solange es günstigere Alternativen gibt, lässt sich das Gewissen schon mal ganz gut verdrängen.

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Die Clean Clothes Kampagne in Österreich versucht seit kurzem auf einem anderen Weg, das Thema zurück in unser Gewissen zu holen. Die Idee ist es, gekaufte Kleidungsstücke über die Seite Living Wage Defect symbolisch als „mangelhaft" zu deklarieren—in den meisten Produktionsländern verdienen NäherInnen nur 20 bis 30 Prozent eines existenzsichernden Lohnes. „Wenn von unserer Kleidung 70 oder 80 Prozent fehlen würde oder mangelhaft wäre, würden wir sie zurückgeben", so Michaela Königshöfer von der Clean Clothes Kampagne in einer Presseaussendung. In diesem Fall ist der Defekt eben der fehlende Existenzlohn.

Foto: Clean Clothes Kampagne

Wenn man, aus welchen Gründen auch immer, fair produzierte Kleidung trotzdem noch vehement ablehnt, gibt es immer noch die Möglichkeit, auf Secondhand zurückzugreifen. Lokale Geschäfte, Portale im Internet und sogar Facebook-Gruppen für bereits getragene Kleidung erhöhen die Nachhaltigkeit, weil so der Rohstoffverschleiß entschleunigt und die Umweltbelastung gesenkt wird.

Wörter wie „fair", „nachhaltig", „grün" und „öko" haben für mich eben immer noch Attribute, mit denen ich meine Kleidung nicht wirklich gerne in Verbindung bringen möchte. Das liegt daran, dass sie für viele—mich eingeschlossen—immer noch diesen gewissen hippiesken „Rettet die Wale"-Beigeschmack haben. In Wahrheit hebt sich grüne Mode optisch aber kaum noch von den herkömmlichen Kommerz-Riesen ab.

Ich hätte auch einen Vorschlag, was man machen könnte, um dieses Bild langsam aber langfristig zu ändern: Statt faire Produkte extra mit „fair"—oder „öko" oder „grün"—zu kennzeichnen, könnte man ja auch die übrigen Kleidungsstücke „unfair"—oder „unnachhaltig" oder „blutig"—nennen. Blutige Shirts will wahrscheinlich niemand tragen. Ich zumindest nicht.

Franz auf Twitter: @FranzLicht